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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 01.05.2008


Meine Mutter, mein Bruder und Ich
Kristina Tencic

Der märchenhafte Film von Nuran D. Calis zeigt ein Familienporträt armenischer Einwanderer zwischen dem Damals und Heute, dem Hier und Dort und dem Sein und Werden – eben eine "vertraute Fremdheit"




Areg ist ein 23 jähriger Student, der sein Jurastudium für seine Vision, Filmemacher zu werden, abgebrochen hat und sich selbst verwirklichen möchte. Er träumt von einem Oscar und einem Leben mit seiner deutschen Freundin Lilly in München. Doch hat er seine Zukunftspläne ohne seine Vergangenheit gemacht: Der Zustand seiner an Diabetes erkrankten, verwitweten Mutter wird zusehends schlechter und dann ist da ja auch noch sein kleiner Bruder Garnik, der mit seinen 10 Jahren vor große Aufgaben gestellt wird. Areg sieht ein, dass er zurück nach Regensburg zu seiner Familie muss, die zwar einerseits so schön schräg ist, aber andererseits ein schweres Schicksal zu tragen hat.

Geflohen ist die Mutter Maria mit ihrem Mann und Areg vor dem Bürgerkrieg in Armenien in den neunziger Jahren. Sie wollten ursprünglich nach Amerika, sind aber schließlich in Regensburg gelandet. Dort lebt die Mutter allerdings weniger in Deutschland, als viel mehr in einer kleinen armenischen Enklave, die sich über die Wohnung erstreckt: Sie spricht armenisch, kocht auf armenische Art mit viel Fett und lebt in gewisser Weise auf gepackten Koffern. Das Bleiben verbittert sie von Tag zu Tag ein Stück weit mehr.

Im Gegensatz hierzu ist Areg so etwas, was man ein Vorzeigebeispiel für eine gelungene Integration nennen könnte. Doch als er bei einem Vorstellungsgespräch für die Filmhochschule aufgefordert wird, zu erzählen, wer er denn sei, braucht er lange für eine Antwort. Er weiß es im Grunde genommen gar nicht, da er seine Vergangenheit, genauso wie seine Muttersprache, unreflektiert in seinem Herzen trägt.

"Ich lebe in Deutschland. Ich spreche die Sprache. Es ist die Sprache, in der ich schweige, träume, liebe und hasse. Ich lebe in der Sprache, die nicht meine ist."

Die Krankheit seiner Mutter verschlechtert sich und Areg wird gezwungen, sich von München abzuwenden, um für seine Mutter da zu sein und seinen zwar starken und verantwortungsbewussten, aber dennoch jungen Bruder zu entlasten und den letzten Wunsch seiner Mutter zu erfüllen. Hierdurch fängt er an, sich endlich mit seiner Identität auseinanderzusetzten.

Die Geschichte ist eigentlich ein moderner Heimatfilm. Es geht um die Liebe und Verbundenheit zu den eigenen Wurzeln, die bei der ganzen politischen Integrationsdebatte oft genug missachtet werden. Der Regisseur Nuran David Calis stellt die Tragik der Flüchtlingsfamilie komödienhaft dar und verbindet sie mit hoffnungsvollen Zukunftsbildern zu einem märchenhaften Ende.

AVIVA-Tipp: "Meine Mutter, mein Bruder und ich!" ist eine fantasievolle Auseinandersetzung mit den Realitäten und Sehnsüchten einer Migrantenfamilie in Deutschland, die zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft keine Trennlinien ziehen kann. Die Charaktere des Films sind sorgfältig gewählt, vor allem der kleine Bruder zieht die Sympathien der ZuschauerInnen auf sich und verleiht dem Thema eine unterhaltsame Sorglosigkeit. Einfach ein schöner Film für die ganze Familie.

Zum Regisseur: Nuran David Calis ist der Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei und arbeitete seit 1992 als Türsteher. Von 1996 bis 2000 absolvierte er ein Regiestudium an der Otto-Falkenberg-Schule in München und assistierte zeitgleich an den Münchener Kammerspielen und am Schauspielhaus Zürich. Neben Hip-Hop-Musikclips arbeitete er als Regisseur bereits an verschiedenen Theaterinszenierungen und profilierte sich als Theater- und Drehbuchautor. Nuran David Calis lebt in München. (Quelle: Filmverleih)

Meine Mutter, mein Bruder und Ich!
Deutschland 2007
Buch und Regie: Nuran David Calis
Darsteller: Erhan Emre, Lida Zakaryan, Kurt Onar Ipekkaya u.a.
Verleih: Movienet Film GmbH
Lauflänge: 98 Minuten
Kinostart: 01. Mai 2008
FBW: Prädikat besonders wertvoll

Weitere Infos finden Sie unter: www.meinemuttermeinbruderundich-derfilm.de

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Beitrag vom 01.05.2008

Kristina Tencic