Tabu. Eine Geschichte von Liebe und Schuld - ein Film von Miguel Gomes. Ab 20. Dezember 2012 im Kino - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 13.12.2012


Tabu. Eine Geschichte von Liebe und Schuld - ein Film von Miguel Gomes. Ab 20. Dezember 2012 im Kino
Britta Meyer

Pilar (Teresa Madruga) ist ebenso wohltätig, wie einsam. Sie lebt, um sich um andere Menschen zu kümmern, vor allem um ihre achtzigjährige Nachbarin Aurora (Laura Soveral). Diese ist eine unter...




... Verfolgungswahn leidende, rassistische, von alten Schuldgefühlen zerfressene, spielsüchtige Frau, die mit ihrer kapverdischen Haushälterin Santa (Isabel Cardoso) zusammen lebt und deren Tochter sie seit Jahren nicht mehr besucht hat.

Nachdem Aurora ihr letztes Geld im Casino verzockt hat und im Krankenhaus landet, bittet sie Pilar, einen alten Freund ausfindig zu machen: Gian Luca Ventura (Henrique Espírito Santo). Als Pilar diesen in einem Altersheim tatsächlich findet, beginnt er, ihr seine und Auroras fünfzig Jahre zurück liegende Geschichte zu erzählen...

"Aurora hatte eine Farm in Afrika, am Fuße des Monte Tabu …"

Unmöglich, bei diesen Worten nicht an Karen Blixens berühmten ersten Satz in "Jenseits von Afrika" zu denken, und genau wie Blixen erzählt Regisseur Miguel Gomes in Rückblenden vom Blühen und Scheitern einer verbotenen Liebe zwischen zwei weißen KolonialherrInnen in den portugiesischen Kolonien Afrikas. Die ganze Erzählung spielt mit Zitaten der Filmgeschichte und bedient eine stark ausgeprägte Retroästhetik. War schon die Lissaboner Gegenwartshandlung Schwarz-Weiß gehalten, wird "Tabu" bei der Reise in die Vergangenheit nun auch zum Stummfilm: neben den leicht wackeligen Bildern führen nur sparsame Erklärungen des alten Gian durch die Handlung.

Aurora und ihr Ehemann leben in Afrika inmitten wort- und namenloser einheimischer Bediensteter wie die KönigInnen – wenn die Hautfarbe stimmt, kann auch jemand, die oder der in Europa nur eine Randexistenz führte, es hier zu etwas bringen. Der Mann ist geschäftlich viel unterwegs, Aurora wiederum geht – begleitet von schwarzen Dienern, die ihre Ausrüstung schleppen – gern auf die Großwildjagd. Ist das Paar zusammen, sind sie auf den extravaganten Dinnerparties der NachbarInnen anzutreffen, und Auroras Begegnung mit dem charismatischen Schlagzeuger von nebenan ist nur eine Frage der Zeit.

Während sich um sie herum die politische Situation langsam zuspitzt und der Ausbruchs des portugiesischen Kolonialkriegs kurz bevor steht, verlieren sich Gian und Aurora in einer mühsam geheim gehaltenen Liebesaffäre, die ihre FreundInnen gegen sie aufbringt und sich nicht mehr um den Rest der Welt schert. Wohl wissend, dass ihre Geschichte auf Dauer nicht gut gehen kann, haben sie trotzdem nur Augen füreinander und bewegen sich geradewegs auf eine Katastrophe zu...

Weiße BesatzerInnen, die sich mit organisierten Waffenübungen auf die Rebellion der Bevölkerung vorbereiten, weiße Männer, die sich das Recht herausnehmen, ganz selbstverständlich Beziehungen zu mehreren schwarzen Frauen zu unterhalten und die Projektion romantischer Träume gelangweilter EuropäerInnen auf das Land, welches sie ausbeuten, werden in "Tabu" verhandelt, ohne direkt angesprochen zu werden – es passiert einfach ganz nebenher, indem es einer tragischen Lovestory als Bühne dient.

Zum Regisseur: Miguel Gomes, geboren 1972 in Lissabon, studierte in seiner Heimatstadt Film und hat bisher drei Spielfilme und einige Kurzfilme gedreht. 1999 wurde er auf dem Festival Curtas Vila do Conde für seinen Kurzfilm "Entretanto" als bester portugiesischer Regisseur ausgezeichnet. Sein erster Spielfilm "Das Gesicht, das dir gebührt" war 2006 für einen Globos de Ouro nominiert, ein Preis, den sein späteres Werk, "Jener geliebte Monat August", 2009 schließlich gewann.

Auszeichnungen

"Tabu" gewann auf der Berlinale 2012 den Alfred-Bauer-Preis und den FIPRESCI-Preis.

AVIVA-Tipp: Extrem langsam erzählt und in gewollt altmodischen Einstellungen in Szene gesetzt, ist "Tabu" keine leichte Kost, aber wenn mensch sich auf den Film einlässt, lassen sich hundert stumme kleine Details entdecken, die jedes für sich ein beißender Kommentar zu den achtlosen Handlungen der ProtagonistInnen um sie herum sind.

Tabu – eine Geschichte von Liebe und Schuld
Originaltitel: Tabu
Frankreich, Portugal, Brasilien, Deutschland, 2012
Verleih: Real Fiction
Regie: Miguel Gomes
Drehbuch: Miguel Gomes und Marina Ricardo
DarstellerInnen: Teresa Madruga, Laura Soveral, Ana Moreira, Henrique Espírito, Santo, Carloto Cotta
Produktion: Luís Urbano und Sandro Aguilar
Ton: Vasco Pimentel
Schnitt: Telmo Churro und Miguel Gomes
Länge: 110 Minuten
Kinostart: 20. Dezember 2012
www.realfictionfilme.de







Kultur

Beitrag vom 13.12.2012

Britta Meyer