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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 05.01.2010


Die Schachspielerin - Ein Film von Caroline Bottaro mit Sandrine Bonnaire
Claudia Amsler

5.00 Uhr morgens, Hélène steht auf, macht sich einen Knoten ins Haar, zieht ihr geblümtes Oberteil an, trinkt hastig ihren Kaffee und fährt mit ihrem alten Tretsessel zur Arbeit. Monotonie...




...prägt ihr Leben, immer derselbe Rhythmus - doch eine unbekannte Dame bringt neben Mistral und Libeccio neuen Wind nach Korsika.

"Ich bin hierher gekommen um zu heiraten.", dies erzählt Hélène (Sandrine Bonnaire) ihrer Arbeitskollegin, die mit ihr zusammen als Zimmermädchen im Hotel arbeitet. Doch sie sagt es nicht wehmütig, nicht sehnsüchtig, sondern zufrieden. Die Protagonistin ist mit ihrem einfachen Leben scheinbar glücklich, sie lebt mit ihrem Mann und ihrer fünfzehnjährigen Tochter in sehr bescheidenen Verhältnissen, würde diese jedoch nicht beklagen oder verklagen.

Frau erfährt auch keine Details zu Hélènes Passé, es sind stets subjektive Blicke durch die Hauptdarstellerin und diese befinden sich im Präsenz. Und so erlebt frau durch ihre Augen das reaktionäre Schlüsselerlebnis. Hélènes Blick ist zunächst ausschließlich auf die schmutzige weiße Bettwäsche im Hotel gerichtet, die sie jeden Tag erneuern muss, doch plötzlich hört sie dieses verführerische Lachen - die Augen werden Richtung Veranda geschwenkt und dort verharrt die Perspektive: Eine junge schöne Frau im Spitzennegligé zusammen mit ihrem Mann, im Zentrum das Schachspiel und dann "Schach Matt", die Frau besiegt mit der stärksten Figur "der Dame" ihren Gegenspieler - ihren Mann, doch dies mit Lust und Freude.

Diese Szene fasziniert und das Spiel zieht die unscheinbare Hélène in einen geheimnisvollen Bann, in eine Welt, die sie zuvor nicht kannte. Doch diese Faszinationskraft kann sie mit ihrer Umwelt nicht teilen, bei ihrem Mann stößt sie auf Missverständnis und er will ihr diese neu erblühte Passion verbieten. Hélène scheint jedoch in eine Art Trancezustand verfallen zu sein, schleicht sich in der Nacht heimlich in die Küche und spielt rauchend alleine Schach. Bereits als "Schachverrückte" wird sie im Dorf betitelt.

Nur in dem kauzigen Dr. Kröger (Kevin Kline), um dessen Haushalt sie sich kümmert, findet sie einen Mentor und einen Freund, mit ihm kann sie ihre Leidenschaft ausleben und bald wird klar, dass es sich nicht um eine bloße passionierte Spielerei handelt, sondern dass sich hinter der scheinbar ungebildeten Hélène eine sehr talentierte Schachspielerin verbirgt.

Sie beginnt an Turnieren teilzunehmen und demonstriert, dass auch eine Frau, welche noch nie ein Buch in die Finger bekommen hat und sich täglich um Putzarbeiten kümmert, das Spiel der Logik - das männliche intellektuelle Gesellschaftsspiel - beherrscht.

"Die Schachspielerin" präsentiert der Zuschauerin dadurch eine neue "Heldin", es ist eine Frau, die ohne wirkliche Hilfestellung, ohne große Unterstützung, nur aus eigener Kraft und eigenem Willen ihre Leidenschaft durchsetzt. Diese schafft, wie so oft, im Umfeld Leiden und so werden gekonnt die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau demonstriert.

Zudem wird im Film aufgezeigt, dass das Leben nicht vorherbestimmt ist, es kann und darf sich ändern. So lässt sich Hélène nicht auf das "Putzfrau-Sein" reduzieren und ist offen für die Veränderungen, die sich aus dem Schachspiel ergeben. Vor allem sind es Erneuerungen des eigenen Ichs - des Selbst - so wird klar, dass individuelle und gesellschaftliche Grenzen überschritten werden können und in diesem Falle "nur" mit dem Ausüben des Schachspiels.

Dies rückt die Filmproduktion, welche frei auf dem Roman "Die Schachspielerin" von Bertina Henrichs basiert, nicht in ein kitschiges Licht, denn die frau zieht nicht in ein neues Land, fängt nicht einen vollkommen neuen Beruf an und ist auch nicht "Superwoman". Sie ist ein Individuum, wie du und ich, mit der frau sich identifizieren will und kann. Die Hauptdarstellerin bestätigt somit durch ihre Emanzipation während des Films, dass die Dame die stärkste Figur ist, auch wenn sie dafür oft kämpfen muss.

AVIVA-Tipp: Die Schauspielerin Sandrine Bonnaire spielt ihre Rolle als Hélène sehr intensiv und authentisch - die Muße, die Leidenschaft während des Schachspiels macht so der Zuschauerin Appetit, selbst Hand anzulegen. So wird der gesamte Film zu einer Metapher für eine Frau, die sich mit Leidenschaft und Mut über die sozialen und individuellen Grenzen hinwegsetzt. Die Zuschauerin geht ermutigt aus dem Kinosaal, mit dem Wissen, dass sie sich nicht auf "fremde" Unterstützung verlassen kann, doch stets auf ihre eigene Willensstärke.

Die Schachspielerin
Orginaltitel: Joueuse
Frankreich 2009
Buch und Regie: Caroline Bottaro
ProduzentInnen: Mon VoiDominique Besnehard, Michel Feller
DarstellerInnen: Sandrine Bonnaire, Kevin Kline, Francis Renaud, Jennifer Beals, Valérie Lagrange, Alexandra Gentil, Alice Pol, Elisabeth Vitali, Dominic Gould, Daniel Martin
Musik: Nicola Piovani
Kamera: Jean-Claude Larrieu, AFC
Länge: 97 Minuten
Verleih: Concorde
Filmstart: 07. Januar 2010

Mehr zum Film: www.condorde-film.de

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Ihr Name ist Sabine, Sandrine Bonnaires Dokumentation über ihre autistische Schwester.

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Beitrag vom 05.01.2010

AVIVA-Redaktion