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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 23.02.2010


60. Berlinale - Die PreisträgerInnen
Tatjana Zilg

Die Japanerin Shinobu Terajima wurde für die hervorragende Darstellung der Ehefrau eines schwerversehrten Kriegsheimkehrers mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Der Teddy ging an die ...




... lesbische Familienkomödie "The Kids Are All Right", die ihre umjubelte Premiere im Berlinale Palast feierte, aber im Wettbewerb um die Bären der Internationalen Jury außer Konkurrenz lief.

Lang ist die Liste der PreisträgerInnen, denn wie jedes Jahr vergaben viele unterschiedliche Organisationen und Stiftungen Auszeichnungen für Filme aus allen Sektionen.

Die Wettbewerbs-GewinnerInnen sowie derjenige Filmemacher, der die gesonderte Jury des Alfred-Bauer-Preises für neue Perspektiven in der Filmkunst mit seinem Spielfilm überzeugte, standen am Samstagabend während der großen Gala auf der Bühne des Berlinale Palastes. Es war nicht erstaunlich, dass sich dieses Mal dort eine komplette Männerriege einfand, bis auf Shinobu Terajima, die den Silbernen Bären als beste Darstellerin erhielt. Koji Wakamatsu, der Regisseur des Films "Caterpillar", nahm für sie den Preis entgegen.

In den meisten Filmen des Wettbewerbs erhielten die Schauspielerinnen nicht wirklich die Gelegenheit, in Hauptrollen zu glänzen. Denn das Motiv, dass sich durch viele der ausgewählten Filme zog, war der beziehungsunfähige Mann, der in Beziehung zu seiner (Rest-)Familie und potentiellen Lebenspartnerinnen treten wollte, darin scheiterte, oder gleich den Weg des einsamen Wolfs vorzog. So nahmen Frauen meist Nebenrollen ein, und wurden in diesen aus der Sicht des männlichen Haupt-Protagonisten gezeichnet. Da gab es unter anderem die Persönliche Assistentin einer gehobenen Mittelschichtfamilie in Amerika, die relativ nachsichtig mit den ausgesprochen ambivalenten Annährungsversuchen des leicht chaotischen Bruders ihres Arbeitgebers umging (Greta Gerwig, "Greenberg"), die raue und doch fürsorgliche Vermieterin eines norwegischen Haftentlassenen (Jorunn Kjellsby, "A Somewhat Gentle Man") und die Erzieherin des Kindes eines dänischen Drogensüchtigen (Helene Reingaard Neumann, "Submarino").

Eine selbstbewusste iranische Frau, über die man nur wenig erfährt, weil sie im ersten Drittel in einer Schießerei zwischen DemonstrantInnen und Polizisten umkommt, wurde von der Schauspielerin Mitra Hajjar in dem verstörenden Melodram "Shekarchi (Zeit des Zorns)" unter der Regie Rafi Pitts gespielt, das eine Parabel über den Verlust des Vertrauens in einem totalitären Regime ist.
Ebenfalls differenziert, und von Anfang bis zum Ende erlebbar, war die Rolle, die das Script von "The Ghost Writer" für Ruth Lang (gespielt von Olivia Williams) vorsah, der Ehefrau des ehemaligen britischen Premierministers Adam Lang, der für seine Biografie einen Ghost Writer anheuert und in dubiose Politikgeschäfte verwickelt ist. Regie führte der sich in der Schweiz im Hausarrest befindende Roman Polanski. Für seinen Politthriller erhielt er den Silbernen Bären für die beste Regie.

Männer in Krisen und im Konflikt mit ihrem sozialen Umfeld

Die Internationale Jury entschied sich, den Silbernen Bären für den zweitbesten Film (wie auch die Alfred-Bauer-Preis-Jury ihre Auszeichnung) an den rumänischen Film mit dem poetischen Titel "Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want To Whistle, I Whistle)" zu vergeben. Regisseur Florin Serban erzählt von den letzten fünf Tagen vor der Entlassung eines jugendlichen Straftäters in einer Besserungsanstalt. Einen Großteil der NebendarstellerInnen entdeckte er während seiner Recherchen in Jugendstrafanstalten, die ihn auch dazu veranlassten, das Drehbuch wesentlich umzugestalten. So erfuhr der realistische Blick, der in vielen Filmen eingenommen werden sollte, hier für die ZuschauerInnen besonders glaubhafte Komponenten.

Der Goldene Bär der 60. Berlinale ging an den türkischen Film "Bal" unter der Regie von Semith Kaplanoglu (mit einem deutschen Koproduzenten) über eine Vater-Sohn-Beziehung mit dem ausdrucksstarken Kinderschauspieler Bora Altas und malerischen Landschaftsaufnahmen.

Gleich zweimal wurden Leistungen aus dem russischen Film "Kak ya provel etim letom (How I Ended This Summer)" - Regie Alexei Popogrebsky - mit Silbernen Bären bedacht. Grigori Dobrygin und Sergei Puskepalis teilen sich den Silbernen Bären für den besten Darsteller und Kameramann Pavel Kostomarov nahm den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung entgegen.
Das sensible Drehbuch des chinesischen Eröffnungsfilms "Tuan Yuan (Apart Together)" aus der Hand des Regisseurs Wang Quan´an nahm die Jury so für sich ein, dass der Gewinner der 58. Berlinale ("Tuyas Hochzeit") den Silbernen Bären für das beste Drehbuch erhielt.

Drei Regisseurinnen zeigten ihre aktuellen Filme im Wettbewerb, zwei weitere außer Konkurrenz:
Die Argentinierin Natalia Smirnoff spürt in "Rompecabezas (Puzzle)" der leisen Emanzipation von Maria (Maria Onetto), der 50jährigen Mutter von zwei erwachsen gewordenen Söhnen, nach. Durch die Teilnahme an einem Puzzle-Wettbewerb entdeckt sie eine neue Lebensqualität. Die Berlinale-Gewinnerin Jasmila Zbanic von 2006 ("Esmas Geheimnis (Grbavica)") präsentierte ihr aufrüttelndes Soziodram "Na putu (On The Path)", in dem die Beziehung eines jungen bosnischen Paares (Zrinka Cvitesic und Leon Lucevdaran) zerbricht, dass der Partner in einer fundamentalistischen, muslimischen Gruppierung Halt sucht, als er seine Arbeit verliert. Die Dänin Pernille Fischer Christensen begeisterte 2006 die Jury für den besten Erstlingsfilm mit "En Soap". In ihrem neuen Film "En Familie (A Family)" durchdringt sie eine konfliktreichen Familienstruktur.
Die Wettbewerbs-Jury der "Fédération Internationale de la Presse Cinématographique", des internationalen Verbands der Filmkritik, wählte "En Familie" für den FIPRESCI-Preis aus.

Als heiteren Lichtblick zwischen den eindringlichen Melodramen begrüßte das internationale Publikum in der Mitte des Festivals "Please Give" von Nicole Holofcener und "The Kids Are All Right" von Lisa Cholodenko, welche durch turbulente Handlungsfäden und pointenreichen Wortwitz Vergnügen und Nachdenklichkeit miteinander vereinten.

Ein Film mit einem lesbischen Paar gelangte in den Wettbewerb der Berlinale zum letzten Mal 1999 mit "Aimée And Jaguar" (Regie: Max Färberböck). Maria Schrader und Juliane Köhler erhielten damals den Silbernen Bär für die beste Darstellerin.

Lisa Cholodenkos Projekt "The Kids Are All Right" begann schon vor fünf Jahren. Es gelang ihr, für das ausgefeilte Drehbuch die beiden renommierten Schauspielerinnen Julianne Moore und Annette Bening zu gewinnen, ergänzt durch den männlichen Gegenpart Mark Ruffalo. Die explosive Komödie mit dem rockenden Soundtrack knüpft da an, wo der schwule Queer-Film ins Mainstream-Kino gelangt ist. Ein heterosexueller Tausendsassa bringt eine gleichgeschlechtliche Beziehung durcheinander, muss am Ende zu seinem Leid aber feststellen, dass er nur frischen Wind und neue Stabilität in der dauerhaften Zweierbeziehung entzündet hat. Cholodenko greift zudem ein Thema auf, was in den USA wohl schon größere Bedeutung hat als hierzulande: Der Kinderwunsch von Gay-Paaren.
In "The Kids Are All Right" sind die beiden Kinder schon fast erwachsen und erfüllen sich den Wunsch, ihren Samenspender-Vater kennenzulernen. Dieser freut sich über den wohlgeratenen Nachwuchs, hat aber auch keine Scheu, machohaft die angeschlagene Lesbenehe durcheinander zu wirbeln. Worin auch der kleine Dämpfer für die Begeisterungswelle für den Film besteht: Die Sexszenen zwischen den beiden grandiosen Schauspielerinnen kommen nie so richtig in Schwung, da es zum Plot gehört, dass während der jahrzehntelangen Beziehung der Reiz aneinander etwas abhanden gekommen ist.

Die Teddy-Jury für den Queer-Film entschied sich, der amerikanischen Regisseurin den Hauptpreis zu verleihen. Weitere Teddies gingen an "La bocca del lupo (The Mouth of the Wolf)" von Pietro Marcello für den besten Dokumentarfilm, "The Feast Of Stephen" von James Franco als besten Kurzfilm und zudem erhielt das Geschlechterrollen radikal auflösende "Open" von Jake Yuzna den Teddy Jury Award.

Die LeserInnen-Jury der Siegessäule vergab ihre ELSE an den berührenden Dokumentarfilm "Postcard To Daddy" von Michael Stock. In seinem Film lässt er die ZuschauerInnen teilhaben an dem Aufdeckungs- und Verarbeitungsprozesses des sexuellen Missbrauchs, den sein Vater in seiner Kindheit und Jugend an ihm begangen hat. Besonders unter die Haut gehen dabei die intensiven Gespräche mit der Mutter, die teils während eines gemeinsamen Urlaubs in Thailand nach seiner Reha aufgrund seiner HIV-Infektion entstanden sind. Michael Stocks Mutter arbeitet gegenwärtig in einer Beratungsstelle für Betroffene von sexuellen Missbrauch.

Direkt bestimmen, welcher Film der Beste ist, kann das Publikum jedes Jahr im Panorama. Und dieses Mal entschied es sich für den bewegenden Dokumentarfilm "Waste Land" von Lucy Walker. Die britische Regisseurin erlangte die Gunst der Berlinale-Fans bereits 2007 mit dem Vorgänger "Blindsight" über eine spektakuläre Bergbesteigung von sechs blinden tibetanischen Teenagern. Nun brachte sie ein außergewöhnliches Kunst-Sozial-Projekt des US-Gegenwartskünstlers Vik Muniz auf die Leinwand. In Rio de Janeiro rief er ein Kunstprojekt mit MüllsortiererInnen ins Leben. Die sich daraus entwickelte Ausstellung wurde ein weltweiter Erfolg und folgt im BesucherInnen-Zahlen-Ranking den Picasso-Werkschauen. Gleichfalls erhielt "Waste Land" den Amnesty International Filmpreis, gemeinsam mit dem Spielfilm "Son Of Babylon" von Mohamed Al-Daradji über die vergebliche Suche eines Jungen nach seinem Vater, der vor einiger Zeit in den Krieg zog.

Der israelische Film punktete in der Sektion Berlinale Shorts. "Hayerida" von Shai Miedzinski beeindruckte die Internationale Jury nachhaltig und wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.
"Die israelische Wüste liefert den ebenso staubigen wie intensiven Hintergrund für ein hermetisches Roadmovie zum Thema Verlust. Es ist schwer, Familientrauer in Bilder zu übersetzen, aber Regisseur Shai Miedzinski hört dem Wind zu und gibt den Emotionen einen Rahmen."

Der Goldene Bär ging an "Händelse Vid Bank" von Ruben Östlund.

Zum 14. Mal wurde auf der Berlinale ein Preis an eine Frau verliehen, die in einem filmtechnischen Bereich tätig ist. Der mit 3.000 Euro dotierte Femina Filmpreis ging in diesem Jahr an Reinhild Blaschke für das Szenenbild in dem Spielfilm "Im Schatten" von Thomas Arslan, der in der Sektion Forum gezeigt wurde.

Mehr Informationen finden Sie unter: www.berlinale.de



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Beitrag vom 23.02.2010

AVIVA-Redaktion