Hinter dieser reinen Stirne ... - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 31.10.2002


Hinter dieser reinen Stirne ...
Meike Bölts

Hildegard Schroedter - Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin - über ihr aktuelles Stück "Hinter dieser reinen Stirne...." nach Werken von Adelheid Duvanel, Christine Lavant und Unica Zürn




Hinter dieser reinen Stirne... nach Werken von Adelheid Duvanel, Christine Lavant und Unica Zürn im theater zum westlichen stadthirschen. Die Produktion nähert sich den entrückten, zum Teil erschreckenden Bilderwelten der drei Autorinnen im Laufe des Abends in Form von Rezitationen, Gesängen und Musik an.

Eine etwas andere Theatererfahrung, die noch bis zum 16. November zu sehen ist. Immer mittwochs bis samstags, um 20 Uhr, im theater zum westlichen stadthirschen.Kartenvorbestellung und weitere Infos unter: Tel: 030.78577033 oder www.stadthirsch.berlin.de

AVIVA-Berlin sprach mit der Regisseurin des Stückes: Hildegard Schroedter. Nach ihrer Schauspielausbildung und diversen Engagements in der gesamten Republik begann sie 1998 literarische Texte für die Bühne zu adaptieren: Auf 2001 Nacht oder ich bin die die wartet (1998) nach Texten von Roland Barthes ("Fragmente einer Sprache der Liebe") folgte dann 2000 Trompete Galgen Feuerstrahl nach den "Gesprächen mit Schizophrenen" von Leo Navratil.

Auch ihre aktuelle Produktion nimmt wieder literarische Texte als Grundlage für einen Theaterabend voller Einblicke in die Texte dreier zu Unrecht relativ unbemerkten Autorinnen. Absolut sehens- und erlebenswert.

AVIVA-Berlin: Frau Schroedter, können Sie unseren LeserInnen beschreiben, was sie an diesem Abend erwarten wird?

Hildegard Schroedter: Es erwartet sie auf jeden Fall kein Stück im Sinne eines dramatischen Verlaufs, sondern eher das Ausbreiten von Innen- und Traumwelten von drei Frauen, die nicht unbedingt nur die schönen Seiten des Lebens betrachten, sondern durchaus auch Angstzustände.
Bei Christine Lavant können wir intensive Auseinandersetzungen mit dem eigenen Ich, aber auch mit Gott - im Sinne von Aufbegehren - verfolgen. Ihre Geschichten sind eher in der mythischen Sagenwelt angesiedelt. Die Geschichten von Adelheid Duvanel kommen hingegen aus einem städtischen Umfeld. Sie erzählt aus der Kinderperspektive und zeigt uns damit eine ganz andere Welt. Bei Unica Zürn steht das Verrückte, das Verspielte im Vordergrund.
Die Figuren befinden sich in einer Welt, die keine reale ist und etwas Märchenhaftes hat. Das spiegelt sich auch im Bühnenbild: Die Objekte auf der Bühne - der große Stein ist übrigens tatsächlich ein echter Stein um die 500 kg! - erzählen uns etwas über die Figuren, geben uns zusätzliche Einblicke über die Texte hinaus. Wir haben nicht versucht, biographisch zu arbeiten, sondern halten die Geschichten in einer Art künstlichen Welt. Die Erzählwelten der drei Autorinnen sollen sich uns öffnen. Da die Texte zum Teil sehr komplex sind, haben wir versucht, Entlastung durch einen musikalischen Teil zu schaffen. Benjamin Rinnert bringt so noch eine rein assoziative Ebene in die Texte.
Das ist sicherlich kein reiner Konsumentenabend. Man muss einsteigen und auch dranbleiben wollen. Jeder wird mit einem anderen Eindruck aus dem Abend kommen.

AVIVA-Berlin: Warum haben Sie Texte dieser drei Autorinnen ausgewählt?

Hildegard Schroedter: Zunächst war ich von Unica Zürn fasziniert, wusste aber, dass es ganz schön kompliziert sein würde ihre Texte auf die Bühne zu bringen. Im Laufe der Zeit begegneten mir die beiden anderen Autorinnen. Was mich dann dazu gebracht hat, die drei mal zusammen zu nehmen, waren die Biographien der drei Frauen.
Oberflächlich gesehen fallen die Gemeinsamkeiten der Biographien ins Auge: Alle drei waren mit bildenden Künstlern verheiratet, sie alle hatten Aufenthalte in der Psychiatrie, machten Drogenerfahrungen und waren suizidgefährdet - zwei haben sich umgebracht, eine hat´s versucht. Im Laufe der Zeit treten aber die Personen in den Vordergrund und lassen die Gemeinsamkeiten verblassen.
Ich habe im September letzten Jahres einen Antrag auf Förderung beim Senat gestellt und war dann freudig überrascht, als ich im April das Okay bekam. Schließlich lagen dem Senat 250 Anträge vor - für fünf Projektförderungen! Es kommt bestimmt nicht sehr häufig vor, dass gerade so ein "Nischenprojekt" für Lyrik-Liebhaber wie meines in den Genuss dieser Förderung kommt. Ganz sicher hat die Frauenquote da Einfluss gehabt. Darüber hinaus hatte ich als experimentelles Außenseiterprojekt vielleicht doch mehr Chancen als "Standardproduktionen".

AVIVA-Berlin: Wann stiegen die anderen beiden Schauspielerinnen - Emily Behr und Antje Siebers - in die Produktion ein?

Hildegard Schroedter: Die Textvorauswahl fand durch mich allein statt. Wir hatten mehr Text als möglich war und haben gemeinsam vier-fünf Abfolgen entwickelt, bis wir bei der Endfassung gelandet sind. Ich glaube, diese stand erst 5-6 Tage vor der Premiere. Die Musik entstand im Laufe der Proben. Wir haben im Team sehr eng zusammen gearbeitet. Das nehme ich als sehr positive Erfahrung mit aus dem Projekt heraus. Die Zusammenarbeit war schon eine sehr besondere und das merkt man dem Stück auch an.
Emily Beer stieg erst drei Wochen vor der Premiere in unser Projekt ein, da ihre Vorgängerin leider durch einen Krankheitsfall innerhalb ihrer Familie ausfiel. Durch diese Umbesetzung hatten wir dann noch einen ganz neuen Druck vor der Premiere.

AVIVA-Berlin: Sie sind nicht nur selbst Schauspielerin und Regisseurin sondern Dozentin. Hat diese Arbeit Einfluss auf Ihre Projekte? Und welchen Background haben die anderen Schauspielerinnen?

Hildegard Schroedter: Die Fähigkeit direkt miteinander zu kommunizieren - nur per Funktion, nicht per Hierarchie - ist sehr wichtig für die Arbeit an einer Produktion. Da gab es keine Probleme. Mit einer großen Selbstverständlichkeit konnten wir miteinander umgehen.
Emily Behr hat zum Beispiel am Stücketheater gearbeitet. Im Moment macht sie im Theater Strahl eine Produktion. Antje Siebers arbeitete in der letzten Zeit beinahe ausschließlich als Regisseurin und als Dozentin. Es war sehr hilfreich, mit ihr eine weitere Person auf der Bühne zu haben, die es auch gewohnt ist zu abstrahieren und das Gesamte zu sehen. Bei Schauspielerinnen gibt es oft die Schwierigkeit, dass sie nur ihre eigene Rolle sehen und weniger den Gesamtkomplex im Blick haben.

AVIVA-Berlin: Sie haben bei diesem Projekt als Produzentin, Regisseurin und Schauspielerin gearbeitet. Möchten Sie diese Mehrfachfunktion auch in Zukunft inne haben oder werden Sie auch wieder "nur" als Schauspielerin arbeiten?

Hildegard Schroedter: Ja, denn das ist mein Beruf. Als Regisseurin arbeite ich nur projektbezogen. Wenn ich mich für ein bestimmtes Projekt interessiere, das sonst vielleicht nicht stattfinden würde, dann übernehme ich gerne mehrere Parts in der Produktion. Auch wenn ich mit Herzblut an die Sache gehe, kann ich aufgrund meiner unterschiedlichen Blickwinkel meistens ziemlich gut abstrahieren. Ich schaue mir zum Beispiel regelmäßig die Arbeit des Tages am Abend noch mal auf Video an.
Auf diese Art kann ich sogenannte "Minderheitenprojekte" verwirklichen. Heutzutage ist es nicht leicht, Leute für Innenwelten, für Grenzerfahrungen zu begeistern. Das Feedback bisher war allerdings bisher sehr positiv. Wir konnten offensichtlich etwas in vielen Zuschauern berühren.

AVIVA-Berlin: Sie wollen die ZuschauerInnen mit Ihren Arbeiten berühren. Haben Ihre Projekte auch einen pädagogischen Impetus? Sollen wir etwas begreifen? Gar lernen?

Hildegard Schroedter: Theater ist sicherlich in jeglicher Hinsicht zunächst einmal Unterhaltung. Hier findet eine besondere Form von Kommunikation statt: Gemeinsam hört man auf etwas, erlebt es und lässt sich inspirieren. Wir wollen Leute nicht ausschließlich intellektuell ansprechen.
Lyrik ist eine sehr emotionale Literatur, ein Reich der Fantasie, in dem sich - wie ich glaube - alle Menschen sehr gerne aufhalten. Das ist für mich auch Theater: Eine Welt, in die ich einsteigen kann, die mich berührt. Wenn Theater eine Frage, einen neuen Gedanken oder sogar ein Aha-Erlebnis hinterlässt, dann finde ich das wunderbar. Und wenn Theater erreichen kann, dass die Zuschauer sich auf die eine oder andere Weise verstanden fühlen, dann haben wir viel erreicht.

AVIVA-Berlin: Frau Schroedter, vielen Dank für das Gespräch. Wir hoffen, in der nächsten Zeit noch viel von Ihnen zu hören und zu sehen!


Kultur

Beitrag vom 31.10.2002

AVIVA-Redaktion