SHOAH FORTSCHREIBUNGEN. Vier Filme von Claude Lanzmann. Eine der radikalsten und umfassendsten Filmarbeiten über die Vernichtung des europäischen Judentums im Nationalsozialismus - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur DVDs



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 14.11.2017


SHOAH FORTSCHREIBUNGEN. Vier Filme von Claude Lanzmann. Eine der radikalsten und umfassendsten Filmarbeiten über die Vernichtung des europäischen Judentums im Nationalsozialismus
AVIVA-Redaktion

EIN LEBENDER GEHT VORBEI (1999). SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR (2001). DER KARSKI-BERICHT (2010). DER LETZTE DER UNGERECHTEN (2013). 12 Jahre Dreharbeiten, 350 Stunden Material, 9 1/2 Stunden Film gegen das Vergessen. Nach SHOAH entstanden – basierend auf unveröffentlichten Interviews – vier eigenständige Fortschreibungen, die im Frühjahr 2017 erstmals in einer Ausgabe erscheinen, ergänzt um ausführliche PDF Materialien.




Claude Lanzmann: "Ehrlich gesagt hätte ich nicht geglaubt, nach SHOAH noch einen Film zu drehen, nach diesem epischen Film mit einem einzigen Hauptdarsteller: dem Tod. … So übergab ich alles nicht verwendete Rohmaterial dem Holocaust Museum in Washington, damit es sicher verwahrt würde. Ich hatte auch zunächst keine Kraft weiterzumachen. Vor einigen Jahren jedoch entschied ich mich, erneut auf das Material zurückzugreifen, SHOAH ist in gewisser Weise ein Film, der kein Ende hat, ein unendlicher Film.… eine fortwährende Schöpfung."

DIE VIER FORTSCHREIBUNGEN

"Die Filme sind schon deshalb eng mit SHOAH verknüpft, weil diese Gespräche im Rahmen der Dreharbeiten zu SHOAH entstanden sind.
Aber so wie SHOAH aufgebaut ist, ohne ein Wort des Kommentars, wo allein der Aufbau die Verständlichkeit garantieren muss, hätte es den Film um etliche Stunden verlängert, wenn ich sie in das Konzept hätte einfügen wollen. Denn das Kino ist eine Kunst, die keine konzessiven Nebensätze kennt, man kann nicht ´wenn auch …´/ ´obwohl …´ sagen und zum Hauptsatz zurückkehren, weil jedes Bild eine überwältigende Präsenz hat und in gewisser Weise das vorhergehende zerstört. Die zirkuläre, symphonische Struktur eines Films wie SHOAH hat viel mit solchen Überlegungen zu tun."
Claude Lanzmann

EIN LEBENDER GEHT VORBEI - Was hatte ein Delegierter vom Roten Kreuz von seinem Besuch in Theresienstadt zu berichten?

65 Min.

EIN LEBENDER GEHT VORBEI (UN VIVANT QUI PASSE) (1997): Maurice Rossel, ein Offizier der Schweizer Armee, der während des Zweiten Weltkriegs als Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Berlin stationiert gewesen war, wollte Claude Lanzmann nicht empfangen. So überrumpelte ihn Lanzmann mit einem Überraschungsbesuch, bei dem dieses Filmgespräch in höchst gespannter Atmosphäre zustande kam. Als einziger Delegierter hatte Rossel nämlich schon 1943 das Konzentrationslager Auschwitz besucht (das Vernichtungslager Birkenau bekam er nicht zu Gesicht). 1944 war er dann auf Einladung nach Theresienstadt gereist und den Täuschungsmanövern der SS aufgesessen, wie sein damals verfasster offizieller Bericht über das "Vorzeigelager" beweist.

SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR - Wie verlief der gelungene Aufstand in einem Vernichtungslager?

95 Min.

SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR (2001) setzt an, wo SHOAH (1986) endete: beim jüdischen Widerstand. Der Titel verweist auf Ort, Tag, Monat, Jahr, Stunde eines gelungenen Aufstands in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten.

Damit wäre aber auch die entscheidende Differenz zu SHOAH benannt. Denn während Lanzmann die Zeugen in SHOAH als Wiedergänger begreift, die aus dem Reich der Toten berichten, sehen wir in SOBIBOR einen Überlebenden im emphatischen Wortsinn: Yehuda Lerner war 16 Jahre alt und bereits aus acht Lagern geflohen, als er dem SS-Aufseher namens Graetschus mit einer Axt den Schädel spaltete. Er handelte im Rahmen eines Aufstandsplans, nach dem eine Gruppe Häftlinge des Vernichtungslagers Sobibor am besagten Tag, zu besagter Stunde gegen die SS aufbegehrte. Die Deutschen waren pünktlich, der Plan ging auf ...

DER KARSKI-BERICHT - Der legendäre Kurier des polnischen Widerstands, der Roosevelt persönlich von der Vernichtung der Juden Bericht erstattete.

49 Min.

Für SHOAH hatte Claude Lanzmann Jan Karski 1978 zwei volle Tage interviewt. Der polnisch-katholische Widerstandskämpfer und legendäre Kurier der polnischen Exilregierung war 1942 von Vertretern der polnischen Juden ins Warschauer Ghetto und in ein Konzentrationslager eingeschleust worden, um dann ab 1943 als "Botschafter des Holocaust aus eigener Anschauung" (Spiegel) der Welt von der Vernichtung der Juden in Polen Bericht zu erstatten.

Die aufwühlende Erzählung seiner Ghettobesuche in Lanzmanns SHOAH ist unvergessen, wie aber verlief Karskis Besuch im Weißen Haus? Wie reagierten Franklin D. Roosevelt und andere führende Vertreter der freien Welt auf seinen ungeheuerlichen Bericht?

All dies schildert Jan Karski nicht minder eindringlich in diesem zweiten bislang unveröffentlichten Teil des Interviews. In seiner Detailgenauigkeit, in der Würde und Tiefe der Aussage ein außerordentliches, tief erschütterndes Dokument. "Ich kann nur sagen, dass ich es mit eigenen Augen gesehen habe und dass es die Wahrheit ist." Jan Karski

DER LETZTE DER UNGERECHTEN – Das ausfühlriche Gespräch mit Benjamin Murmelstein, dem einzig überlebenden "Judenältesten".

210 Min.

Für SHOAH filmte Claude Lanzmann 1975 in Rom mit Benjamin Murmelstein, dem einzigen überlebenden "Judenältesten". Das Konzept von SHOAH hätte das vielstündige Interview gesprengt. Mit 87 Jahren inszeniert Lanzmann diese Gespräche über die ambivalente Rolle des hochrangigen Funktionärs mit neuen Aufnahmen aus Wien, Polen, Israel und dem "Vorzeigeghetto" Theresienstadt.

"Was ich wollte, war, dass das Wort den Orten Leben gibt oder dass diese Orte, die so vollkommen verändert sind, wo überhaupt nichts mehr ist wie früher, wieder zu leben beginnen durch das Wort." Claude Lanzmann

SHOAH FORTSCHREIBUNGEN. Vier Filme von Claude Lanzmann



2 DVDs

EIN LEBENDER GEHT VORBEI (1999)
SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR (2001)
DER KARSKI-BERICHT (2010)
DER LETZTE DER UNGERECHTEN (2013)
Ausstattung & Weiterführende Informationen:
BILD: 9, PAL, Farbe, 16:9 / 4:3
TON: 1.0, 2.0
LAUFZEIT: 409 Min.
FASSUNG: mehrsprachige Originalfassungen
UNTERTITEL: deutsch
PDF MATERIAL: Material FORTSCHREIBUNGEN (Credits, ausführliche Biographien der Befragten, Kapitelübersicht, Szeneprotokoll, Filmvorworte, Essay von Klaus Theweleit, Interview, Liste der Archivbilder, andere "Judenälteste", Murmelstein Essay aus der NZZ 1963, Interview mit der Kamerafrau, 116 Seiten)
Euro 19,90
Vertrieb: absolut MEDIEN. Erschienen Frühjahr 2017

Mehr Informationen und Bestellung unter: absolutmedien.de

Literatur: Claude Lanzmann
Der Letzte der Ungerechten



Eine Woche lang führte Claude Lanzmann 1975 in Rom auf Deutsch ein Interview mit Benjamin Murmelstein, einem der umstrittensten Überlebenden der Shoah. Der Rabbiner war nach seiner Deportation ins Ghetto Theresienstadt ab September 1944 der letzte sogenannte Judenälteste. Nach dem Krieg warf man ihm vor, Handlanger der Nazis gewesen zu sein. Claude Lanzmann hingegen beharrt darauf, dass jemand wie Murmelstein nicht die Freiheit hatte, moralisch zu handeln, weil er selbst den Nazis ausgeliefert war.
Lanzmann verwendete das Material nicht, wie ursprünglich geplant, für sein epochales Filmwerk "Shoah", sondern machte erst 2013 einen eigenen Film daraus. Dieses Buch dokumentiert das Interview und Szenen des Films.
Verlag: rororo. Erscheinungstermin: 17.02.2017
128 Seiten
ISBN: 978-3-499-63210-5
Mehr Informationen und Bestellung unter: www.rowohlt.de

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Yad Va-Shem - Gesicht und Name für Karolina Cohn
Stolpersteinverlegung auf Initiative der Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) am 13. November 2017 in Frankfurt am Main. Im Oktober 2016 finden die zwei Archäologen Yoram Haimi aus Israel und Wojciech Mazurek aus Polen auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Sobibór ein Amulett. Darauf steht ein Datum: 3. Juli 1929, ein Ort: Frankfurt am Main, der Glückwunsch "Mazal tov" und ein Zeichen für den Namen G´ttes – der hebräische Buchstabe "He". (2017)

Sobibór, 14. Oktober 1943, 16 Uhr. Ein Film von Claude Lanzmann
Claude Lanzmann (Regisseur von Shoah) dokumentiert die Erzählung von Yehuda Lerner, der am einzigen jemals gelungenen Aufstand in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten beteiligt war. (2003)

SHOAH – Ein Film von Claude Lanzmann auf DVD
Seit 12. Oktober 2007 ist die Dokumentation von 1985 in der ARTE Edition erhältlich: 12 Jahre Arbeit, 350 Stunden Material, 9 1/2 Stunden Film gegen das Vergessen. Und gegen die Versöhnlichkeiten einer "Erinnerungskultur" im Zeichen der "Vergangenheitsbewältigung". (2007)

Ums Ãœberleben schreiben
Mit Helga Deens Tagebuch "Wenn mein Wille stirbt, sterbe ich auch" wurden bewegende Aufzeichnungen eines jungen Mädchens aus dem KZ Vught in Holland entdeckt. Am 16. Juli 1943 wurde sie mit ihrer gesamten Familie im polnischen Lager Sobibór ermordet. (2007)

Survivors of the Shoah Visual History
Das Jüdische Museum und die Shoah Foundation machen Interviews von Überlebenden des Holocaust im multimedialen Rafael Roth Learning Center für die Öffentlichkeit zugänglich. (2002)







Quelle: absolut MEDIEN


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Beitrag vom 14.11.2017

AVIVA-Redaktion