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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 02.05.2018


ELEANOR & COLETTE. Kinostart: 3. Mai 2018
Lisa Goldberg

Ein gut recherchierter und emotionaler Film über zwei starke Frauen in den USA der 1980er Jahre, die sich gemeinsam in einem bahnbrechenden Bürger*innenrechtsfall dem Establishment der Pharmaindustrie und Ärzt*innen widersetzen und für das Mitbestimmungsrecht bei der Behandlung insbesondere psychisch Kranker Patient*innen kämpften. Ein Meilenstein der medizinisch-juristischen Geschichtsschreibung und die Geschichte einer intensiven Freundschaft zwischen der an paranoider Schizophrenie leidenden Patientin Eleanor Riese (Helena Bonham Carter) und ihrer Anwältin Colette Hughes (Hilary Swank).




Wie es zu diesem Film kam

Durch Zufall hört der Drehbuchautor Mark Bruce Rosin ein Interview im Radio mit einem Anwalt, der als Rechtsbeistand für Menschen mit psychischen Störungen tätig war. Als Student hatte Rosin selbst ehrenamtlich in einem Krankenhaus für psychische Krankheiten gearbeitet und war von der Thematik fasziniert. Er rief beim Radiosender an und bat um die Kontaktdaten dieses Anwalts. Bei dem darauffolgenden Treffen erfuhr Rosin von dem Fall "Eleanor Riese".

Nachdem sich die an paranoider Schizophrenie leidende Eleanor Riese in den 1980er Jahren freiwillig wegen starker Nebenwirkung ihrer Medikamente in eine psychiatrische Klinik einweisen ließ, verweigerten ihr die Ärzt*innen dort eine Mitbestimmung an der Medikation. Stattdessen bekam sie eben diese schädigenden Medikamente per Spritze zwangsinjiziert. Die verzweifelte Eleanor verlangte Rechtsbeistand und ging mit den Rechtsanwält*innen Colette Hughes und Morton Cohen bis vor den Obersten Gerichtshof Kaliforniens.

Dazu Marc Bruce Rosin: "In dem Moment, in dem ich davon hörte, wusste ich, dass ich darüber einen Film machen wollte. Daraus wurde ELEANOR & COLETTE."

2016 schließlich wurde das Drehbuch von elsani Film in Köln und San mit den Weltstars Hilary Swank und Helena Bonham Carter unter der Regie des zweimaligen Goldene-Palme-Preisträgers Bille August in den Kölner MMC Studios verfilmt.

"Mein Name ist Eleanor Riese, und ich will einen Anwalt"

Für die Rechte von 150.000 Psychiatriepatient*innen in Kalifornien steigt Eleanor 55 Stufen – bis vor den kalifornischen Obersten Gerichtshof. Daher rührt auch der englische Originaltitel des Films 55 Steps und bezieht sich auf Eleanors Angewohnheit, alle Stufen zu zählen, die sie steigt – denn nach einer langjährigen Falschbehandlung bereitet ihr jeder Schritt Schmerzen.
Als Folge einer kindlichen Gehirnhautentzündung war die US-Amerikanerin im Alter von 25 Jahren an Schizophrenie erkrankt. Nachdem die schädlichen Nebenwirkungen der Medikamente immer stärker wurden, wusste Eleanor: die Medikation musste umgestellt werden – nur mit gut eingestellten Medikamenten konnte sie ein eigenständiges Leben führen. Aus diesem Grund lieferte sich Eleanor 1985 freiwillig mit akuten Symptomen in das St. Marris Krankenhaus in San Francisco ein. Als sich Riese allerdings weigerte, verschiedene Substanzen einzunehmen, von denen sie wusste, dass sie diese nicht vertrug, erfolgte im Krankenhaus eine intravenöse Zwangsbehandlung. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass diese ihr schaden würden. Nach dieser "chemischen Vergewaltigung" stellten die Ärzt*innen Riese unter Betreuung und hielten sie unter menschenunwürdigen Verhältnissen in der Klinik fest.

"Hab ich nicht Recht? Sag mir, dass ich nicht Recht habe"

Es wird deutlich: zu diesem Zeitpunkt haben Menschen mit psychischen Störungen im Bundesstaat Kalifornien weniger Selbstbestimmungsrechte über ihren Körper als Häftlinge. Neben den Folgen der medizinischen Falschbehandlung selbst, schadeten auch die Aufenthalte und das Erfahrene in den Kliniken der Gesundheit Eleanors, die zwar eine Hirnschädigung hatte, aber bei richtiger medikamentöser Behandlung ein gutes, selbstbestimmtes Leben hätte führen können.
Eleanor forderte ein Grundrecht ein: Aufklärung über ihre Behandlung und mitbestimmen zu können, was und wieviel sie einnimmt. Sie fordert das Gespräch auf Augenhöhe und wird damit zum Politikum.

"Sie können mich nicht entmutigen" sagte Colette zu Morten

Doch es ist ein Kampf wie David gegen Goliath: noch nie zuvor hatte ein Gericht zuvor zu Gunsten der Patient*innen/Kläger*innen entschieden. Der Film dokumentiert authentisch und sensibel den gesamten Prozess, das Krankenhaus zu verklagen und sich mit der Pharmazie- und Medizinlobby anzulegen.
Diesen Weg geht Eleanor mutig mit ihren beiden engagierten und leidenschaftlichen Anwält*innen, und dem Trio ist klar: Der Weg vor ihnen wird nicht leicht sein.

Der bereichernde Film ist auf der einen Seite durchzogen von ehrlicher Liebe, und gleichzeitig geprägt von der kalten Realität eines Netzes aus Pharmaindustrie und Mediziner*innen. Diese fest etablierten Interessenbarrieren zu durchdringen, stellt damals wie heute eine wahnsinnige Herausforderung dar.

"Warum haben sie den Richtern nicht gesagt, dass sie dumm sind"

In dem gemeinsamen Kampf um Gerechtigkeit wuchs aus dem Verhältnis zwischen der toughen Anwältin und ihrer gleichsam exzentrischen wie liebenswerten Mandantin eine starke Freundschaft. Doch dabei war es nicht nur Colette, die die "kranke" Eleanor als Anwältin unterstützt, vielmehr entstand eine Beziehung, die das Leben beider bereicherte.
Eleanor war eine kluge, sehr religiöse und lebenserfahrene Frau. Wer bei einer unter Schizophrenie leidenden Person erwartet, sie würde naiv oder hilfsbedürftig durch das Leben laufen, wird beim Sehen des Filmes eines Besseren belehrt. Eleanor kannte das Leben sehr wohl sehr gut. So machte sie Colette immer wieder klar: Es geht im Leben nicht ums Gewinnen oder scheitern –"Tu einfach dein Bestes." – Hat sie nicht recht? Sie hat!

Aber auch die Ängste der beiden Frauen, im Gerichtsverfahren zu versagen und ihre Liebsten zu enttäuschen, werden in dem Film realistisch verarbeitet. Hilary Swank und Helena Bonham Carter spielen ihre Rollen überzeugend. Trotz aller liebevoller Gesten und Späße in den Dialogen der beiden außergewöhnlichen Frauen ist die Ernsthaftigkeit zu jedem Zeitpunkt des Zusehens spürbar.

ELEANOR & COLETTE ist eine inspirierende Geschichte darüber, wie viel Kraft aus Freundschaft geschöpft werden kann, wie sie uns dabei hilft zu wachsen, und wie eine enge Freundschaft zwischen zwei Menschen entstehen kann, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben. Gerade angesichts der Ängste und Belastungen, denen wir in der heutigen Welt ausgesetzt sind, sind Trost, gegenseitige Unterstützung und Offenheit gegenüber anderen kostbarere Werte als je zuvor.

Erfolge – aber kein Happy End

Der Film endet mit einem großen Meilenstein, den die beiden Frauen als Freundinnen, erreicht haben – aber soviel sei gesagt: über die Story wurde kein Zuckerguss gegossen. Das Happy End, welches wir der liebenswürdigen und bewundernswerten Eleanor wünschen würden, gibt es hier nicht.

Das Licht geht an, der Film ist aus und ich habe Gänsehaut.
Sowohl das Thema, als auch die Charaktere werden der Zuschauerin noch lange im Kopf bleiben.

AVIVA-Tipp: Der Film rüttelt wach und rückt eine Personengruppe in den Fokus, die sonst von der Gesellschaft aktiv marginalisiert wird. Die Zuschauerin spürt, dass an diesem Film eine ganze Handvoll erfahrener und talentierter Filmmenschen beteiligt gewesen waren, denn die feministische Erfolgsgeschichte wird sensibel von den ausdrucksstarken Schauspielerinnen umgesetzt und damit ein beispielhafter und zeitloser, empowernder Beitrag geschaffen. Ich hoffe, dass der Film eine Reihe von weiterführenden Debatten auslöst und dass die Situation von Menschen mit psychischen Krankheiten immer wieder in den Fokus gerückt wird.

Zu den Hauptdarstellerinnen:
Mit einer bereits seit über 20 Jahren anhaltenden Karriere als Schauspielerin und Produzentin ist Hilary Swank eine der erfolgreichsten, tatkräftigsten und engagiertesten Künstlerinnen Hollywoods. Am 30. Juli 1974 in Lincoln, Nebraska geboren, wurde sie insbesondere 1999 mit dem Drama "Boys Don´t Cry" (1999) bekannt, in dem sie einen Transsexuellen spielte. Mit dieser Rolle gewann sie unzählige Preise, wie den Oscar, Golden Globe und den Critics´ Choice Award.
Ihren zweiten Oscar bekam Swank 2005 für Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" (2004), der ihr auch den Golden Globe, den SAG Award, den National Society of Film Critics´ Award und den Critics´ Choice Award einbrachte. Weitere Golden Globe- und SAG-Nominierungen erhielt sie im gleichen Jahr für den Fernsehfilm "Alice Paul – Der Weg ins Licht". Auch für das Drama "Betty Anne Waters" (2010), an dem sie auch als ausführende Produzentin beteiligt war, wurde sie für den SAG Award nominiert.
Zu ihren weiteren Filmen gehören Mira Nairs "AMELIA" (2009), das sie ebenfalls als ausführende Produzentin mitverantwortete, "FREEDOM WRITERS" (2007) und "P.S. ICH LIEBE DICH" (2007) von Richard LaGravenese, Brian De Palmas "BLACK DAHLIA" (2006), "DAS HALSBAND DER KÖNIGIN" (2001), Sam Raimis "THE GIFT – DIE DUNKLE GABE" (2000), der Thriller "THE REAPING – DIE BOTEN DER APOKALYPSE" (2007), "INSOMNIA – SCHLAFLOS" (2002) von Christopher Nolan oder Garry Marshalls Komödie "HAPPY NEW YEAR" (2011). Der erste Film, den sie mit ihrer Produktionspartnerin Molly Mickler Smith und der gemeinsamen Firma 2S Films produzierte, war die romantische Komödie "FREMD FISCHEN" (Something Borrowed, 2011).
2016 brachte Swank zudem ihr Modelabel "Mission Statement" auf den Markt, mit einer Kollektion die sowohl für den Sport als auch die Freizeit oder das Büro geeignet ist.

Zur Hauptdarstellerin: Die britische Schauspielerin Helena Bonham Carter ist schon seit vielen Jahren eine feste Größe auf den Kinoleinwänden, Bildschirmen und Theaterbühnen nicht nur ihrer britischen Heimat, sondern auch der USA. Zu ihren bekanntesten Filmen der letzten Jahre gehören "Suffragette – Taten statt Worte" (Suffragette, 2015), Cindarella ( 2015), "Les Misérables" (2012), "The Lone Ranger" (2013), "Große Erwartungen" (Great Expectations, 2012), sowie "Alice in Wonderland" (2010) und der Fortsetzung "Alice in Wonderland" (Through the Looking Glass, 2016), in denen sie die Rote Königin spielte. Außerdem war sie als Bellatrix Lestrange in "Harry Potter und der Orden des Phoenix" (2007), "Harry Potter und der Halbblut Prinz" (2009), "HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES – TEIL 1" (Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 1, 2010) und "HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES – TEIL 2" (Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2, 2011) zu sehen.
Für ihre Rolle an der Seite von Colin Firth in "THE KING´S SPEECH" (The King´s Speech, 2010) wurde Bonham Carter für den Oscar®, den Golden Globe und den BAFTA nominiert. Zuvor hatte sie Golden Globe- und BAFTA-Nominierungen für Tim Burtons Leinwandadaption des Sondheim-Musicals "SWEENEY TODD – DER TEUFLISCHE BARBIER AUS DER FLEET STREET" (Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street, 2007) erhalten, für die sie auch mit dem Evening Standard British Film Award ausgezeichnet wurde. Bereits für die Henry James-Verfilmung "WINGS OF THE DOVE – DIE FLÜGEL DER TAUBE" (The Wings of the Dove, 1997) wurde sie für den Oscar®, den Golden Globe, den BAFTA und den Screen Actors Guild Award nominiert. Das Kostümdrama brachte ihr außerdem Auszeichnungen der Kritiker*innenvereinigungen von Los Angeles und London sowie der Broadcast Film Critics und des National Board of Review ein.

Zum Regisseur Bille August:, geboren 1948 in Dänemark, ("Das Geisterhaus", "Fräulein Smillas Gespür für Schnee", "Nachtzug nach Lissabon"), ist OSCAR-Preisträger und Gewinner der Goldenen Palme in Cannes. August studierte in den 1970er Jahren Regie an der dänischen Filmhochschule "Den Danske Filmskole". In den vergangenen 30 Jahre arbeitete er mit hochkarätigen Künstler*innen der Filmbranche zusammen und interessierte sich in seinen Filmen insbesondere für das Zwischenmenschliche in menschlichen Beziehungen. Seine Beiträge zeichnen durch die Auswahl von belangvollen und relevanten Themen aus, die immer aus die nah am Leben verortet sind. Dabei zeichnet August immer wieder ein selbständiges und vielseitiges Frauenbild.
Immer wieder inszeniert August auch für das Fernsehen oder am Theater. Neben zahlreichen Preisen als Regisseur wurde er sowohl in Dänemark als auch in Schweden mit dem Königlichen Ritterorden sowie in Frankreich mit dem Chevalier de l´Ordre des Arts et des Lettres geehrt.

Zur Produzentin Anita Elsani wurde 1972 in Köln geboren. Nach der Ausbildung zur kaufmännischen Medienassistentin an der Joseph DuMont Schule in Köln studierte Elsani an der UCLA in Los Angeles "professional producing" und absolvierte im Anschluss erfolgreich den "professional producing" Studiengang der IFS- Internationale Film Schule Köln. Seit 1994 war Elsani für zahlreiche Filmproduktionsunternehmen tätig, zuletzt als Producerin für die Wüste Film West GmbH. 2003 gründete Elsani Ihr eigenes Produktionsunternehmen, elsani film.

ELEANOR & COLETTE
Originaltitel: 55 Steps
Belgien,Deutschland 2017
Originalsprache: Englisch
Buch und Regie: Bille August,
Mark Bruce Rosin
Produktion: elsani film
Verleih: Warnerbros/NFP marketing & distribution GmbH
Lauflänge: 115 Minuten
FSK ab 12 Jahren
Kinostart: 3. Mai 2018
Mehr zum Film und der Trailer unter: www.eleanorundcolette-derfilm.de und www.facebook.com/eleanorundcolette.film

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Beitrag vom 02.05.2018

Lisa Goldberg