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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 22.02.2008


Sonja Kehler singt Brecht
Silvy Pommerenke

Anlässlich ihres 75. Geburtstages Anfang Februar dieses Jahres hat Berlin Classics eine Auswahl von überragenden Aufnahmen der charismatischen Brecht-Interpretin herausgebracht.




Sonja Kehler, Jahrgang 1933, ist durch einen puren Zufall zum Theater und Gesang gekommen. Eigentlich wollte sie Theaterkritikerin werden und studierte in den fünfziger Jahren Romanistik in Leipzig. Ihrem damaligen Freund ist die schicksalhafte Wendung zu verdanken, denn der inszenierte gerade ein Stück für die studentische Bühne, bei dem eine Nebendarstellerin mit einer klitze-kleinen Sprechrolle gesucht wurde. Nach anfänglichem Zögern sagte Kehler zu und erhielt kurz darauf eine Anfrage von der Theaterhochschule, weil sie "als Typ" aufgefallen war. So unkompliziert kann es manchmal zugehen.

Nach dem Studium bekam sie rasch ein Engagement am Neustrelitzer Theater und hat sich vor allem durch Shakespeare- und Brecht-Rollen in die Herzen der ZuschauerInnen und KritikerInnen gespielt. Auch international war sie bald eine gefragte Größe, fiel aber im DDR-Regime in Ungnade, da einer ihrer Musiker von einem Konzert im Westen nicht zurückkehrte. Dies hatte für die Künstlerin ein Reiseverbot zur Folge und in den achtziger Jahren durfte sie fast kaum noch in dem sozialistischen Staat auftreten, bis ein Gesinnungswandel in der zuständigen Parteiführung ihr – wegen der Devisen – explizit Auslandsauftritte gestattete. Dadurch entwickelte sich bald eine Liebe zu Dänemark, wo sie seit Mitte der achtziger Jahre regelmäßig auftritt und als Gastdozentin an der Schauspielschule in Odense lehrt.

Sonja Kehler ist neben Gisela May wohl eine der bedeutendsten deutschen Brecht-Interpretinnen. Die Aufnahmen der Geburtstags-CD beschränken sich auf die Jahre 1972 bis 1978, ihrer wahrscheinlich erfolgreichsten Zeit in der DDR. Neben Auszügen aus "Der gute Mensch von Sezuan", "Herr Puntila und sein Knecht Matti" und "Mutter Courage und ihre Kinder" findet sich die weniger bekannte Komposition von Eisler "Considering everything" für den Puppentrickfilm "Pete Roleum and his Cousins" wieder oder das Brecht und Dessau Stück "Willem hat ein Schloss", das anlässlich des 75. Geburtstages Wilhelm Piecks geschrieben wurde. Die Auswahl der 36 Lieder wurde in Abstimmung mit der Sängerin getroffen, und man gewinnt den Eindruck eines stimmigen und runden Konzepts.

Weiterhören: Gisela May und Milva

AVIVA-Tipp: Die interpretierten Lieder von Brecht, Eisler und Dessau sind bisher mehrheitlich noch nicht auf CD erschienen, so dass es für jede begeisterte Kehler-Anhängerin ein must-have und eine wohltuende Alternative zu ihrer "großen Schwester" Gisela May ist.

Sonja Kehler singt Brecht
Eisler
Dessau

Label: edel Classic GmbH, VÖ Februar 2008


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Beitrag vom 22.02.2008

Silvy Pommerenke