Interview mit Birgit Michaelis
Birgit Michaelis ist eine der sechs Organisatorinnen des 19. Lesbenfilmfestivals Berlin 2003 . Mit AVIVA-Berlin spricht sie über die Auswahl der Filme und die Notwendigkeit, "Lesben zu strecken."

Autorin: Jennifer Gallagher

AVIVA-Berlin: Wie bist du zum Lesbenfilmfestival gekommen?
Birgit Michaelis:
Das ist drei Jahre her. Als das Festival noch im alten Arsenal stattfand, gab es ein kleines Café in der Nähe, wo die Leute sich vor und nach den Filmvorführungen getroffen haben. Das hat auch den Charakter des Festivals mitbestimmt. Als das Festival dann zum Potsdamer Platz mit seinen Stahl- und Glaskonstruktionen zog, fand ich, dass etwas von der behaglichem Atmosphäre fehlte. Ich hatte schon 13 Jahre in der Gastronomie gearbeitet und so ein bisschen Ahnung von der Organisation von Partys und Buffets - also übernahm ich den Job. Im ersten Jahr hatte ich gar nicht so viel mit der Organisation des eigentlichen Filmprogramms zu tun, sondern mehr mit der Eröffnungsparty für die Sponsoren, Filmemacherinnen und Mitarbeiterinnen des Festivals und der Abschlussparty im Sony Centre. Es gibt immer eine große Party vor dem Arsenal.

AVIVA-Berlin wird auch da sein!
Birgit Michaelis (lacht):
Ja, es ist am 12. Oktober und fängt um 22 Uhr an! In meinem zweiten "Festivaljahr" dehnten sich meine Aufgaben dann auch auf die Organisation des eigentlichen Filmprogramms aus.

AVIVA-Berlin: Bedeutete der Ortswechsel zum Potsdamer Platz eine große Veränderung für das Festival?
Birgit Michaelis:
Das ist ein großer Unterschied. Der Potsdamer Platz ist das "heißeste Pflaster", ganz besonders für die Filmbranche. Das Festival findet im Filmhaus statt, wo auch das Filmmuseum und die DFFB (Deutsche Film und Fernsehakademie) sind. Und dann wird natürlich ein Mal im Jahr zur Berlinale der ganze Potsdamer Platz zur Filmbühne. Der andere Vorteil ist, dass wir jetzt zwei Kinos haben und so zwei Filme zur gleichen Zeit zeigen können, was sehr dabei hilft, das Festival wachsen zu lassen.

AVIVA-Berlin: Kannst du uns etwas darüber sagen, wo die Filme herkommen?
Birgit Michaelis:
Wir haben viele verschiedene Quellen - angefangen bei den Filmemacherinnen aus aller Welt, die mit uns und dem Festival gewachsen sind. Sie haben bei uns ihre ersten Filme gezeigt und einige von ihnen wurden wirklich berühmt. Aus alter Verbundenheit zeigen sie auch jetzt ihre Filme auf unserem Festival - was wirklich nett von ihnen ist. Außerdem schauen wir uns das Jahr über andere Festivals an: Allen voran die Berlinale, und natürlich die schwul-lesbischen Filmfestivals in Toronto, San Francisco und Los Angeles. Auch lesbische Filme, die wir auf privaten Reisen entdecken, versuchen wir für das Festival zu bekommen. Das Internet ist sehr wichtig für die Recherche. Neben Retrospektiven bestimmter Regisseurinnen versuchen wir immer wieder, Filme zu finden, die noch nicht im deutschen Kino oder Fernsehen liefen. Dieses Jahr haben wir zwei Weltpremieren, beide von Berliner Regisseurinnen.

AVIVA-Berlin: Es wurden rund 120 Filme eingereicht, aber nur 75 werden auf dem Festival gezeigt. Was sind die Kriterien für die Auswahl der Filme?
Birgit Michaelis:
Es gibt unterschiedliche Kriterien: Manchmal reißt uns der Inhalt eines Filmes mit - so wie dieses Jahr "Flying With One Wing" aus Sri Lanka. Dieser Film erzählt die Geschichte eines Mannes, der mal eine Frau war - oder auch noch ist. Seine Probleme fangen an, als sein "wahres" Geschlecht entdeckt wird... Daneben versuchen jedes Jahr, bestimmte Themen - wie zum Beispiel den jüdischen Film - abzudecken. Qualität ist natürlich auch ein wichtiger Faktor, was nicht heißt, dass wir nur Filme wollen, die Hochglanzbilder und schöne Schnitte liefern. Es geht viel mehr um das Zusammenspiel zwischen Struktur und Inhalt. Da wir ein lesbisches Filmfestival sind und viele lesbische Filmemacherinnen mit einem sehr kleinen Budget anfangen, müssen wir automatisch andere Maßstäbe anlegen als zum Beispiel die Berlinale. Und dann stellen wir uns natürlich zu jedem Film die üblichen Fragen: Ist er unterhaltsam? Regt er zum Nachdenken an? Wird er unser immer noch vorwiegend lesbisches Publikum ansprechen? Das ist eine besonders interessante Frage, weil "lesbisch" hier bedeutet: Lesben jeder Art, Transgender, usw - wir "strecken" die Lesbe also eigentlich ganz schön!

AVIVA-Berlin: Die Lesbe strecken? Das klingt aber schmerzhaft!
Birgit Michaelis (lacht):
Das ist etwas, was sich so entwickelt hat. Das Festival ist jetzt in seinem 19. Jahr. Als ich Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal dort war - also vor 13 Jahren - war es sehr lesbisch: Mit lesbischen Filmemacherinnen, lesbischen Schauspielerinnen und lesbischen Themen - für ein lesbisches Publikum. Doch im Laufe der 90er hat sich ein völlig neues Konzept von "queer" entwickelt, und die Diskussion und Integration von transgender und transsexuellen Themen fand den Weg in die Lesbenbewegung. So konnte der Separatismus, der mich vor 13 Jahren so begeistert hatte, einfach nicht aufrechterhalten werden.
Das Festival hat sich immer weiterentwickelt und im Laufe dieses Prozesses gab es viele Diskussionen - zum Beispiel darüber, ob Filme von Männern gezeigt werden sollen. Im Endeffekt geht es immer darum, ob das von Interesse für unser Publikum ist - und manchmal wissen wir, dass unsere Entscheidung zu erhitzen Debatten führen wird.

AVIVA-Berlin: Gab es dieses Jahr Filme, die euch als Festivalorganisatoren gespalten haben?
Birgit Michaelis:
Nein. Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung, aber letztendlich sagen wir uns: "Ich mag diesen Film zwar nicht besonders, aber ich weiß, dass es in dieser Stadt Frauen gibt, die er sehr interessieren wird." Wir haben eine große Bandbreite von Geschmäckern in unserer Gruppe, von der Horrorfilmspezialistin- bis zur Pre-British Hong Kong Liebhaberin- das bin übrigens ich selbst. Andere interessieren sich mehr für das deutsche Kino der 70er und 80er.

AVIVA-Berlin:Dieses Jahr gibt es mehr Beiträge in Spielfilm- und Fernsehdoku-Länge und weniger Kurzfilme. Liegt das an einem höheren Budget? Oder werden die lesbischen Filmemacherinnen selbstbewusster?
Birgit Michaelis:
Ich weiß nicht, warum es dieses Jahr mehr Filme in Spielfilmlänge gibt. Vielleicht ist es nur Zufall, oder es ist ein Trend - das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Ein Aspekt ist, dass wir dieses Jahr mehr Filme auf Video bekommen haben, was einfach billiger in der Produktion ist. Dann ist es natürlich leichter, einen 90- oder 120-Minüter zu drehen.
Ich finde es noch spannender zu fragen, warum es besonders aus Deutschland in diesem Jahr so wenig Kurzfilme gibt. Viele "unserer" Filmemacherinnen sind gereift - sie haben jetzt die Möglichkeit, Filme in Spielfilmlänge zu drehen. Für uns ist das eigentlich positiv, weil solche Filme besser beim Publikum ankommen. Es ist einfach ein unterschiedliches Kinoerlebnis, acht kurze Filme oder einen langen zu sehen.

AVIVA-Berlin: Und wer gewinnt dieses Jahr den MONO D'ORO-Preis für den besten Film?
Birgit Michaelis:
Ich gebe bestimmt keinen heißen Tipp ab! (lacht) Letztes Jahr verloren wir alle unsere Wetten, weil wir nie gedacht hätten, dass das Publikum einen zwar wunderschönen, aber sehr deprimierenden Film über das Ende einer jahrelangen Beziehung zwischen zwei alten Frauen im Süden der USA wählen würde. Wir dachten, einer der lustigeren Filme würde das Rennen machen. Seitdem tippe ich nicht mehr, von mir gibt es keinen Kommentar!

AVIVA-Berlin: Danke für das Gespräch!