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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 12.07.2008


Gisela Elsner – Otto der Großaktionär
Silvy Pommerenke

Postum erscheint dieser gesellschaftskritische Roman der "Humoristin des Bösen", der – obwohl bereits Ende der achtziger Jahre geschrieben – nichts an Tagesaktualität verloren hat.




Elsner schickt einen letzten literarischen Gruß aus dem Jenseits, und auch nach ihrem Tod beweist sie, dass sie mit Feder und Papier, bösartig wie kaum eine andere Autorin, das deutsche Klein- und Großbürgertum unter die Lupe nimmt.

Allein die Geschichte mutet schon dermaßen absurd an, dass man vor höhnischem Lachen kaum an sich halten kann: Otto, eine Randfigur aus Elsners Roman "Das Windei", spielt sich vor seinen Freunden und Arbeitskollegen als Großaktionär auf. Dabei hat er gerade einmal fünf Aktien seiner Arbeitgeberin (eine Ungeziefervertilgungsmittelfabrik) erworben, deren Gewinnausschüttungen jämmerlich sind. Aber für den "Tierpfleger" bedeutet das einen großen gesellschaftlichen Augstieg und hebt Otto dadurch von seinen ArbeitskollegInnen ab. Denkt er. Als er dann noch einen schrottreifen Mercedes kauft und diesen in stundenlanger Feinarbeit soweit aufmöbelt, dass dieser nur nach näherem Hinsehen von der gepanzerten Limousine seines Chefs zu unterscheiden ist, ist sein Glück perfekt. Denkt er. Leider ist seine Berufsbezeichnung "Tierpfleger" nur ein Euphemismus, muss er doch die bei den Tierversuchen überlebenden Ratten, die trotz des eingesetzten Giftes einen hartnäckigen Lebenswillen beweisen, Hand anlegen. Konkret heißt das, dass er ihnen eine Schlinge um den Hals legen und sie eigenhändig umbringen muss. Alles um des Protokolls Willen. Bedauerlicherweise fallen etliche Stellen in der Ungeziefervertilgungsmittelfabrik (nach mehrfachem Lesen dieses Kompositums geht es der LeserIn auch bald flüssig über die Lippen) dem Rotstift zum Opfer, so dass für Otto nur noch ein Job als freiwillige Testperson übrig bleibt. Die Besprühung mit Giftgas bleibt natürlich nicht ohne Folgen für Otto und seine Kollegen ...

Der Roman "Otto der Großaktionär" wurde als Manuskriptfassung im Nachlass der Autorin gefunden, somit dürfte dies wahrscheinlich die letzte bissige Gesellschaftssatire Gisela Elsners sein, die der Nachwelt veröffentlicht wird. Sie ist auch hierbei ihrer Leidenschaft für redundante Sätze, stetige Wortwiederholungen und dem mikroskopischen Blick auf bizarre Eigenarten ihrer ProtagonistInnen treu geblieben. Neu hingegen ist die thematische Hinwendung zum Proletariat, das sie mit erstaunlich akribischer Genauigkeit beschreibt, denn die Autorin stammt aus einem großbürgerlichen Elternhaus und dürfte wohl nie so nah an die ArbeiterInnenkreise herangekommen sein, wie der Blickwinkel des Romans vermuten lässt. Bei aller Bissigkeit und Ironie lässt sie ihren Romanfiguren die Würde und stellt sie nicht bloß. Elsner weckt beispielsweise trotz der Tötungsdelikte Oskars, und seiner naiven Bereitschaft sich für Giftgasexperimente zur Verfügung zu stellen, eine gewisse Sympathie für diese schrullige Figur. Ebenso beweist sie einen zukunftsträchtigen Blick mit diesem Roman, denn sie schildert detailliert die Misere von Stellenabbau, Aktienspekulation und die Ausbeutung von ArbeiterInnen.

Aber der Roman ist mehr als das, denn er lässt sich ebenfalls als Metapher auf den Nationalsozialismus und den Holocaust lesen. Nicht nur, dass die Themen Giftgas und "Ausrottung unwerten Lebens" hier eine Rolle spielen, sondern Elsner schildert auch die Mechanismen, wie sich die Massen von wenigen Skrupellosen manipulieren lassen und mit welchen Ausreden sich der oder die Einzelne für sein eigenes unmoralisches Handeln rechtfertigt, um anderntags dennoch wieder in den Spiegel blicken zu können. Ein Meisterwerk der bissigen Satire, die der LeserIn das Lachen im Halse stecken bleiben lässt.

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Zur Autorin: Gisela Elsner geboren 1937, stellte 1962 Auszüge von "Die Riesenzwerge" in der Gruppe 47 vor, erhielt 1964 dafür den "Prix Formentor" und war seitdem ständiges Enfant terrible auf der deutschen Literaturbühne. Trotz dem sie etliche Erzählungen, Romane und Aufsätze veröffentlichte, sie dafür auch eine außergewöhnliche Resonanz in der Öffentlichkeit erhielt, so wurde jedoch immer kontrovers über sie diskutiert. Gegen Ende ihres Schaffens und Lebens (1992 beging sie Suizid) war sie zu einer Verbannten der Literatur geworden.

AVIVA-Tipp: Mit diesem postum erstmals erschienenen Roman beweist Elsner einmal mehr ihre bissige literarische Schlagkraft. Warum sie dafür keinen Verlag gefunden hat, oder ob sie das Manuskript überhaupt jemandem zur Veröffentlichung angeboten hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Dabei gehört "Otto der Großaktionär" neben "Fliegeralarm" oder "Die Riesenzwerge" mit zum Besten, was die Autorin geschrieben hat.

Gisela Elsner
Otto der Großaktionär

Mit einem Nachwort von Christine Künzel
Verbrecher Verlag, erschienen Mai 2008
Broschur, 172 Seiten
ISBN: 9783940426093
14,00 Euro


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Beitrag vom 12.07.2008

Silvy Pommerenke