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Beitrag vom 03.08.2007
Der verlorene Kampf um die Wörter
Clarissa Lempp
In ihrem Plädoyer für eine angemessenere Sprachführung deckt Monika Gerstendörfer den opferfeindlichen Sprachgebrauch bei sexualisierter Gewalt in der Alltagssprache und Berichterstattung auf.
Sexualisierte Gewalt ist eine traumatische Erfahrung für die Opfer, das jahrelange körperliche und psychische Beeinträchtigungen nach sich zieht, wenn das Opfer die Tat überlebt hat. Das Schlimmste ist aber der massive Eingriff in die eigene Menschlichkeit. Nicht nur dass die Tat selbst gerade darauf zielt, das Opfer in seinen intimsten und verletzlichsten Gefühlen zu demütigen, auch der Umgang mit TäterInnen und "Geschändeten" in Öffentlichkeit und vor allem in den Medien kommt einer lebenslangen Retraumatisierung gleich. Gerade allgebräuchliche Begriffe wie "Geschändete" oder "Kinderschänder" zeigen den verheerenden Umgang mit sexualisierter Gewalt: die Schande liegt beim Opfer, der Täter ist der, der sie überbringt.
Monika Gerstendörfer hat in ihrem Buch eben diesen Einfluss der Sprache beleuchtet, denn wer spricht, verhält sich, wie sie bereits in der Einleitung betont. Wenn von einem "Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung" die Rede ist, kann sich wohl kaum jemand vorstellen, dass es dabei um Vergewaltigung geht, denn erstens steht solch eine Tat für das Opfer außerhalb jeglichen sexuellen Kontexts und zweitens wird hier nicht die Selbstbestimmung angegriffen, sondern schlichtweg die Würde und Rechte der oder des Einzelnen ignoriert.
In fünf Kapiteln widmet sich Monika Gerstendörfer deshalb dem Kampf gegen eine opferfeindliche Sprache. Der erste Teil behandelt sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Vor allem hier wird deutlich, wie unreflektiert Sprache eingesetzt wird: so deutet das dem griechischen entstammende "Pädophilie" die Liebe zum Kind an. Die Vergewaltigung oder sexualisierte Manipulation von Kindern hat aber nichts mit Liebe zu tun, sondern ist Gewalt und Folter für die Betroffenen, die den Tätern oft über Jahre ausgesetzt sind. Dass aber den Tätern ein breiteres Verständnis oder zumindest Interesse entgegen gebracht wird, zeigt sich in den zahlreichen Erklärungsversuchen von ExpertInnen, die in den Medien lang und breit erörtern, was denn nun den "unscheinbaren Familienvater" zur "unkontrollierten Sexbestie" werden ließ.
Der zweite Teil umgreift sexualisierte Gewalt gegen Frauen und den Bereich der häuslichen Gewalt. Neben Studien aus dem europäischen Raum und konkreten Beispielen widmet sich Gerstendörfer vor allem auch der sprachliche Manipulation in den Medien, die oft genug dem "Blaming the Victim"-Prinzip folgen, also aus dem Opfer eine Mit-Schuldige machen oder zu Bagatellisierung neigen, wie Schlagzeilen über ein "Eifersuchtsdrama", das in einem Mord endet, zeigen. Vor allem Frauen die im Krieg oder aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, treffen kaum auf Verständnis oder Hilfe, wie Gerstendörfer im dritten und vierten Teil aufzeigt. Vor allem der Femizid, also die Zwangsschwängerungen oder gezielte Tötung von Frauen durch die Siegermächte, ist praktisch Teil der Kriegsstrategie und wird kaum geahndet. Der letzte Teil versammelt unter der Überschrift "Noch mehr Gewalt, noch mehr Unwörter" exemplarisch Problembereiche wie Genitalverstümmelung, Stalking oder Zoophilie. Und schließlich zeigt sich auch hier, wie schnell die Realität der täglichen psychischen Folter eines Stalkingopfers durch Bedrohungen und Beleidigungen, unter dem Namenstäfelchen "Liebeswahn" nur allzu leicht verschwimmt.
Zur Autorin: Monika Gerstendörfer studierte Sprachwissenschaft, Psychologie und Psycholinguistik. Sie arbeitete zunächst in der Wissenschaft und seit mehr als 15 Jahren aktiv in Menschenrechtsorganisationen. Die Diplom Psychologin, freie Autorin und Menschenrechtlerin wurde 2005 mit den "1000 Women for Peace" für den Friedensnobelpreis nominiert.
www.gerstendoerfer.de
AVIVA-Tipp: Monika Gerstendörfer beleuchtet hier einen sehr wichtigen, aber oft vergessenen Blickwinkel im Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt und zeigt ganz deutlich die Grenzen der Berichterstattung und die opferfeindliche Haltung in unserer Gesellschaft auf. Dabei gelingt es ihr, wichtiges Wissen zu vermitteln, ohne sich in verwissenschaftlichter Theoretisierung zu verlieren, sondern immer engagiert und verständlich in konkreten Beispielen den bagatellisierten Sprachgebrauch aufzudecken. Ein Muss für JournalistInnen, TherapeutInnen und alle anderen Fachkräfte, die mit dieser Thematik konfrontiert sind.
Gerstendörfer, Monika
Der verlorene Kampf um die Wörter
Opferfeindliche Sprache bei sexualisierter Gewalt. Ein Plädoyer für eine angemessenere Sprachführung
Vorwort von Michaela Huber
Junfermann Verlag, 2007
167 Seiten
ISBN: 3-87387-641-8
Zum Weiterlesen:
Edel sei das Opfer, hilflos und gut
E-Interview mit Iris Hölling, Wildwasser e.V. zur Zwischenbilanz des Politikums "sexueller Missbrauch"
Stalking-Gesetz 2007
Gemeinsamer Kampf gegen häusliche Gewalt
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