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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 14.11.2011


Ellen von Unwerth - Fräulein
Nina Breher

Erotikfotografie, die ohne pornographische Konnotationen auskommt, ist eine Seltenheit. Die provokanten Kompositionen der in Paris lebenden Fotografin schaffen Dialoge zwischen Szenerie, Modell...




...und der Person hinter der Kamera – von Frau zu Frau.

Für die meisten steht das von feministischer Seite harsch kritisierte Diminutiv ´Fräulein´ für die Herabwürdigung nicht verheirateter Frauen. Anstatt Reife mit Heiratsstatus gleichsetzen zu wollen, ist die Intention der berühmten Fotografin Ellen von Unwerth eine andere: "Dieses Buch, mein sechstes, ist eine Ballade über mein Lieblingsthema: Frauen oder, besser: ´Fräulein´. Frauen mit starker Persönlichkeit, die nicht schüchtern sind, sondern zu ihrer Sexualität stehen und sie benutzen. Frauen, die unabhängig und frech sind und frei denken. (...) Kurz gesagt: Frauen, die man treffen will und von denen man träumen will."

Von Unwerth stieg vom Waisenkind aus der bayrischen Provinz zur Pariser Modefotografin auf. Ihr Weg führte sie über den Zirkus und das Modeln. Wie zufällig entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Umgang mit Kameras. Ihre Modelkarriere nahm laut eigener Aussage ein abruptes Ende, als sie Fotografen, mit denen sie arbeitete, "Tipps zum Licht und zu ihren Kamera-Einstellungen gab." Schon bald lichtete sie stattdessen die 17-jährige Claudia Schiffer ab und knipste ganze Serien für die französische ELLE. Auch in diesem Band sind einige Berühmtheiten vertreten, wie beispielsweise Beth Ditto, Dita van Teese oder Britney Spears. Ellen von Unwerths Leben liest sich wie eine ungeheure, unverhoffte Erfolgsgeschichte, deren Verlauf spätestens beim Betrachten dieses neuen Bildbandes einleuchtet.

Es scheint, als habe sich ein Filter der Verruchtheit vor die Linse der Künstlerin geklemmt. Den Bildern ist die Echtheit des Moments wichtiger als gestochene Schärfe. Die unterkühlte Erotik, die ihre Fotos auszeichnet, scheint davon zu profitieren, dass die weiblichen Modelle immer in Bewegung sind. Sie flanieren, posieren, lachen, räkeln und unterhalten sich. Die Portraitierten sind gänzlich in die Momente vertieft, und genau das fängt die Fotografin gekonnt ein.

Burlesque-Tänzerinnen geben einen Blick unter ihre Röcke frei, nackte Frauen fotografieren sich gegenseitig in einer Badewanne. Anderswo greift sich eine junge Blondine wie nebenbei in den Schritt. Vulgär? Nein! Während die Farbaufnahmen zwar manchmal ins Kitschige abdriften, sind die Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Glanzstücke des Sammelbands. Körnig und reich an Schatten spielen die Fotos mit Sonnenlicht ebenso gekonnt wie mit schummriger Hotelzimmerbeleuchtung. Zu sehen gibt es allerlei – ein Model, das sein gebrochenes Bein hoch in die Luft streckt, ein junges Mädchen, das auf einer Cocktailparty fordernden Blickes ihre Brüste vor einem Anzug tragenden Mann entblößt. Kate Moss tritt mit einer riesigen Sicherheitsnadel in der Backe im düsteren Grunge-Look auf und das Bild "Peaches" zeigt eine vor Ironie triefende Nachstellung des übersexualisierten Schulmädchen-Klischees. Dies sind nur einige der Szenen, in denen Spaß, Ironie und Übertreibung im Zentrum stehen.

AVIVA-Tipp: Ellen von Unwerths Arbeiten zeigen nicht nur ´Fräuleins´, sondern vor allem Interaktionen. Wenn die Fotografin auf den Auslöser drückt, befinden sich die Akteurinnen zwischen Inszenierung und Echtheit, zwischen Bühne und Backstage. Sie sind nicht ganz in der zu spielenden Rolle gefangen, bewegen sich aber ebenso wenig im Bereich des rein Alltäglichen. Eine weitere Stärke dieser bisher unveröffentlichten Fotografien ist es, Erotik darzustellen, ohne stumpfer Pornografie Raum zu geben. Es sind keine perfekt inszenierten Portraits, sondern solche, die mit dem Prozess des Darstellens experimentieren. Auf diese Weise und mit fundiertem technischen wie menschlichen Know-How provoziert von Unwerth spannende und intime Dialoge zwischen Szene, Fotografin und Akteurin.


Zur Fotografin: Ellen von Unwerth arbeitete zehn Jahre lang als Top-Model in der Modebranche, bevor sie selbst zur Kamera griff und zu einer der gefragtesten Modefotografinnen der Welt wurde. Ihre Arbeiten erschienen in zahllosen Magazinen, darunter Vogue, Interview, Vanity Fair und i-D, und ihre wichtigsten Werbekampagnen gestaltete sie für Victoria´s Secret, Banana Republic, Guess, Diesel und Chanel. 1991 erhielt sie den ersten Preis beim Internationalen Festival für Modefotografie, und ihr Werk wurde in Archaeology of Elegance (2002) und Fashioning Fiction im MoMA/Queens (2004) gezeigt. Zu ihren vielen Einzelausstellungen zählt eine One-Woman-Show in der Hamilton Gallery in London, und ihre Fotonovelle Revenge (2003) wurde von Ausstellungen in New York, Paris, Amsterdam, Hamburg, Moskau und Beijing begleitet.

Ellen von Unwerth
Fräulein

Mit einem Vorwort von Ingrid Sischy
Englisch / Deutsch / Französisch
Taschen Verlag, erschienen Herbst 2011
Hardcover, 472 Seiten
ISBN: 978-3-8365-2808-5
49,99 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter: www.taschen.com


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Beitrag vom 14.11.2011

AVIVA-Redaktion