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Beitrag vom 10.10.2011
James Sturm - Markttag
Susann S. Reck
Zeitlos, melancholisch, bildgewaltig. Der mehrfach ausgezeichnete Gründer des Center for Cartoon Studies erzählt von einem schicksalhaften Tag im Leben des Teppichwebers Mendelmann. Vor dem ...
... Hintergrund faszinierend düsterer Bildmotive und präzise beobachtet, übt der Autor und Zeichner gleichnishaft Kapitalismuskritik.
Zeitlos und bildgewaltig
Wahrscheinlich zu Anfang des 20. Jahrhunderts und irgendwo in einem Schtetl in Osteuropa, auf jeden Fall sehr früh am Morgen, beginnt die Geschichte vom Markttag.
Dorthin macht sich Mendelmann mit ein paar Teppichen auf den Weg.
Eines der ersten Panels in der Graphic Novel zeigt eine Mesusa und damit ist klar, dass Sturm eine jüdische Geschichte erzählt. Dennoch wird schnell deutlich, dass sie universellen Charakter hat. Vor allem die Erzählerstimme Mendelmanns ist dafür verantwortlich.
Der Tag ist ein besonderer, denn Mendelmanns Frau Rachel ist im neunten Monat schwanger.
Von Angst geprägte Zukunftsvisionen, der anbrechende Tag - Himmel, Licht und Wolken - inspirieren ihn zu Teppichmotiven. Das zunächst Berauschende des Markts, Mendelmanns sehr menschliche Stimmungsschwankungen bewirken, dass sich der/die LeserIn fast unmerklich mit dem inneren Monolog der Hauptfigur identifiziert.
Auch der Verzicht auf bildnerische Details, das Großflächige der Panels, die klassische ligne claire betont das Allgemeingültige dieser Geschichte.
Melancholisch
Der Tag auf dem Markt nimmt eine bedrohliche Wendung, als Mendelmann erfährt, dass der einzige Abnehmer seiner Teppiche verschwunden ist und durch einen Neuen ersetzt wurde, der nur noch industriell gefertigte, billige Ware vertreibt.
Zwar gibt es noch Hoffnung, ein anderer Händler in einem anderen Dorf. Dort aber kauft man Mendelmann die Teppiche zu einem weitaus schlechteren Preis als bisher ab und Mendelmann sieht sich in seinen düsteren Vorahnungen bestätigt. Er beschließt, seinen Webstuhl zu verkaufen.
Vor dem Hintergrund großartig düsterer Bildmotive, die seinen Heimweg aufzeigen, wird Mendelmanns Wahrnehmung jetzt von Angst beherrscht. Dem Leben hilflos ausgeliefert, versackt er schließlich mit ein paar Trinkern.
Erst am nächsten Morgen kommt er nach Hause und es bleibt offen, ob seine Frau Rachel das gemeinsame Kind bereits geboren hat.
Kapitalismuskritik
James Sturms erzählt von wirtschaftlichen Verhältnissen, die sich plötzlich und ohne Vorankündigung ändern. Niemand weiß, was mit Finkel, dem Abnehmer der Teppiche, wirklich passiert ist. Plötzlich ist alles anders und Mendelmanns Existenz wird bedroht.
Wie auf er die Veränderung reagieren? Wie weitermachen?
Mendelmann muss seinen Webstuhl verkaufen. Ob er sich der neuen Zeit anpassen wird, bleibt offen.
AVIVA-Tipp: Markttag ist eine meisterhaft erzählte, in Form und Inhalt ebenso klar wie karg gehaltene Graphic Novel, die von der ersten Seite an bewegt.
James Sturm hat nicht den Anspruch, Lösungen für Mendelmanns Situation aufzuzeigen und genau das ist die Stärke dieses Buches.
Es ist Mendelmanns innerer Monolog, mit dem sich der/die LeserIn identifizieren kann, weil er nicht nur einen aktuellen, sondern auch einen globalen Bezug hat, das präzise wiedergegebene Grundgefühl der Hilflosigkeit gegenüber wirtschaftlichen Verhältnissen, die sich plötzlich ändern, ohne transparent zu sein.
Zum Autor: James Sturm, geboren 1965 und Mitarbeiter von Art Spiegelmans Magazin RAW. Seine Arbeit The Golem´s mighty swing, die Geschichte eines jüdischen Baseballteams in den 20er Jahren, wurde vom The Magazin zur besten Graphic Novel des Jahres 2001 gekürt. Weitere Infos zu finden Sie unter: www.reprodukt.com und www.cartoonstudies.org.
James Sturm
Markttag
Originaltitel: Market day
Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl
Reprodukt, erschienen 2011
www.reprodukt.com
Hardcover, 96 Seiten, farbig
ISBN-978-3-551-941099-71-5
20 Euro