Peggy Parnass und Tita do Rego Silva - Kindheit. Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 10.02.2015


Peggy Parnass und Tita do Rego Silva - Kindheit. Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete
Sibylle Plogstedt

Die 1934 in Hamburg geborene Schauspielerin, Autorin und Gerichtsreporterin erinnert sich. Eine persönliche Kritik in Form eines Briefes von Journalistin und Publizistin Sibylle Plogstedt




Was wussten wir eigentlich von Dir, Peggy,...

...als Du im Jahr 1977 Kontakt zu uns in der ´Courage´ suchtest? Du, die Gerichtsreporterin bei ´konkret´, die über schlechte Bezahlung klagt, wir die Feministinnen, die sich für ungewöhnliche Frauengeschichten interessierten. Und über Dich dennoch so gut wie nichts erfuhren. Dass Du Dich auf die Seite der Schwachen gestellt hast, war klar. Dass es die waren, die ins Gefängnis gingen, war schon etwas besonders. Was andere über Gefängnisse und Prozesse schrieben, hatte Dir nicht gefallen. Deshalb machtest Du Dir die Prozessberichterstattung zur Aufgabe. Die Geschichte, die wir über Dich brachten, wurde eine Titelgeschichte. Mit einem schwarz-weiß Porträt von Dir auf dem Cover in grünem Rahmen.

Aber Peggy,

wer hat Dich damals gefragt, warum Du Dich so in den Knast einfühlen wolltest und es auch konntest? Warum du Tage und Wochen mit den Angeklagten zu Hause, in der Familie, auf der Straße und im Gerichtssaal verbracht hast? So hoch war der Honorartopf nicht bei ´konkret´, die Zeit war nicht bezahlt. Es war eine tiefere Spur des Unrechts, um die es Dir ging. Ungerechtigkeit ertrugst Du nicht. Warum? Das hast Du damals nicht erzählt.

Die Antwort, Peggy,

gibst Du nun in hohem Alter. In Deinem Buch ´Kindheit´. Untertitel: ´Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete´. Es geht um Deine Kindheit, die keine war und die doch alles bestimmt hat. Was Du schreibst, ist abgelagert und in Dir gereift. Du hast es unter Schmerzen aus dem Vergessenen auftauchen lassen. Mutter und Pudl, der Vater kamen nicht leicht zurück ins Bewusstsein. Die Erinnerung muss schmerzhaft gewesen sein. Auf den Holzstichen haben alle volles Wuschelhaar. Es gibt viel gelb und viel rot. Das Gelb hast Du Dir gewünscht.

In Dir Peggy,

war fest verschlossen, wie ihr nach Pudels Verhaftung aus der Turnhalle zurück ins Freie geschleust wurdet und zu dem fremden Mann ´Vater´ sagen solltet. Und dass Ihr Euch nicht mehr umdrehen durftet. Draußen gab Euch der Mann das Geld für einen Fahrschein zum jüdischen Waisenhaus. Dabei lebten die Eltern noch. Du hast Dich später verflucht, weil Du nicht zurückgeschaut hast. Aber dann wäre alles vergeblich gewesen. Frau Lot, und Eure Zukunft für immer verloren. Um die ging es den Eltern.

Und Mutti, Peggy,

hat Euch noch am Hauptbahnhof in den Zug gesetzt. Seitdem kannst Du keinen Zug mehr sehen. Den Hauptbahnhof schon gar nicht. Sie hat Euch in den Zug gesetzt und versprochen, dass sie in einem halben Jahr nachkommt. Und hat Euch ihr schönstes Lächeln geschenkt. Obwohl sie wusste, dass sie Euch nie mehr sehen wird. Und dann folgte sie Pudl ihrer großen Liebe. Um im Tod bei ihm zu sein. Muttis Lächeln hast Du bewahrt, Peggy. Du kannst so schön strahlen.

Für Euch als Kinder, Peggy,

war die Kindheit damals vorbei. Bübchen musste in ein schwedisches Waisenhaus, Du wandertest von einer Pflegefamilie zur anderen. Bübchen durftest Du nur selten besuchen.

Hass, Peggy,

hast Du gespürt. Die Rache, wolltest Du aufsparen für später, wenn Du mal groß bist. Die Milchfrau sollte er treffen, die Deine Mutter geohrfeigt hat. Die sadistische Leiterin des Waisenhauses, die Bübchen das mühsamst von Dir ersparte rote Feuerwehrauto mit Leiter vorenthielt, um es zwei Jahre auf den Schrank zu stellen, wo Bübchen nicht rankam. Um es dann den anderen Kindergartenkindern zur Zerstörung zu überlassen. Dein Hass zerschellte an der Schwäche und an der Selbstlüge der Mitläuferinnen und Mittäterinnen, die behaupteten, stets an ´Ihre liebe Frau Mutter gedacht´ zu haben. Die war da schon lange tot und die Objekte Deines Hasses schwach und alt. Da wich der Hass der Verachtung. Auch die konnte schneidend sein.

Trotzdem, Peggy,

hast Du das Schwere wieder und wieder aufgesucht, um an die Erinnerung heranzukommen. Aber Du hast auch die Lebenslust gespürt. Auf vielen Fotos sieht man Dich strahlen. So wie Deine Mutter beim Abschied am Hauptbahnhof? Auf den Fotos spürt man die Kraft, die Dir den Beinamen Panther eingebracht hat. Der Namenspate war Udo Lindenberg.

Du Peggy,

hast das Buch unter Schmerzen geschrieben, ein Stolperstein der Erinnerung. Danach wolltest Du nicht mehr darüber reden. Es aufzuschreiben, habe schon weh genug getan. Hast Du es für Bübchen in seinem Kibbutz in Israel geschrieben, der sich an Mutter und Vater nicht erinnern kann? Und auch, um Dich selbst zu heilen. Ein Grabmal für Mutter und Vater, die kein Grab haben. Nur drei Stolpersteine vor der Tür ihres Hauses. Einen für Mutti, einen für Pudl und einen dritten für die große Liebe, die sie verband.


Ich habe Deine Aufzeichnungen atemlos gelesen.

Deine Sibylle

Zu Peggy Parnass ist Schauspielerin, Kolumnistin, Gerichtsreporterin und Autorin. Am 11. Oktober 1934 in Hamburg geboren, wurde sie als Verfolgte des Nationalsozialismus mit ihrem kleinen Bruder mit einem Kindertransport nach Stockholm in Schweden evakuiert. Ihre Eltern wurden in Treblinka von den Nazis ermordet. In Stockholm und London aufgewachsen, studierte Peggy Parnass in London, Hamburg und Paris. Sie galt neben Fritz Bauer als die deutsche Instanz für Differenzen im moralischen Rechtsempfinden im Nachkriegsdeutschland. Nach wie vor ist sie politisch aktiv. Für ihre Arbeit und ihr couragiertes gesellschaftliches Engagement erhielt sie viele Auszeichnungen und Ehrungen u.a. den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union, den Bundesfilmpreis für den Film "Von Richtern und anderen Sympathisanten", den Joseph-Drexel-Preis für hervorragende Leistungen im Journalismus.
Mehr zu Peggy Parnass unter: www.peggyparnass.com

Zur Illustratorin: Tita do Rego Silva wurde in Caxias im Bundesstaat Maranhão im Nordosten von Brasilien geboren. Ende 1988 übersiedelt sie nach Hamburg. Seit 1996 hat sie ein Atelier im »Haus für Kunst und Handwerk«, Koppel 66.
Mehr zu Tita do Rego Silva unter: www.titadoregosilva.de

Zur Rezensentin: Sibylle Plogstedt, geboren 1945 in Berlin, ist Journalistin, Publizistin und promovierte Soziologin. Sie schreibt als Expertin für soziale und psychologische Themen und thematisiert in ihren Publikationen und Filmen immer wieder unbequeme, kritische Themen und gesellschaftliche Missstände. 2011 wurde sie mit der Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes, zu dessen Initiatorinnen und Gründerinnen sie gehört, ausgezeichnet.
Mehr zu Sibylle Plogstedt unter: www.sibylle-plogstedt.de


Peggy Parnass - Tita do Rego Silva
Kindheit. Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete

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www.fischerverlage.de




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Beitrag vom 10.02.2015

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