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Beitrag vom 02.05.2009
...und das Herz wird mir schwer dabei - herausgegeben von Gertrud Ranner, Axel Halling u.a.
Yvonne de Andrés
Czernowitz war lange ein fast vergessener Ort. Dieses Erinnerungsbuch bringt uns die untergegangene Kulturmetropole durch Zeugnisse neunzehn jüdischer Überlebender näher.
Czernowitz befindet sich heute in der Ukraine, die Stadt lag bis zum Ende der Sowjetunion im militärischen Sperrgebiet. In der Zeit der k.u.k Monarchie war Czernowitz die multiethnische Hauptstadt des Kronlandes Bukowina. Hier wohnte ein Völkergemisch von UkrainerInnen, Rumänen, Polen, Ruthenen, Juden, Roma und Deutsche nebeneinander. Unter den SchriftstellerInnen, MalerInnen, Bildhauerinnen, MusikerInnen und KomponistInnen, SchauspielerInnen und Intellektuellen, WissenschaftlerInnen oder UnternehmerInnen waren Juden besonders stark vertreten. Um 1900 lag der Anteil der Juden in Czernowitz bei über 30% der Gesamtbevölkerung.
Namen wie Rose Ausländer, Selma Meerbaum-Eisinger, Paul Celan oder Aharon Appelfeld werden automatisch mit der bedeutenden jüdischen Kulturmetropole verknüpft.
Mit dem ersten Weltkrieg endete diese kulturelle Blütezeit. Materielle Not zwang vor allem die jüdische Bevölkerung zur Emigration, ein Exodus der KünstlerInnen und Intellektuellen begann. Flucht und Vertreibung, die Shoah und das Exil prägten die Lebenswege der jüdischen Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten. Seit dem Ende der Sowjetunion keimt wieder ein Leben der jüdischen Gemeinde auf.
Das Erinnerungsbuch "... und das Herz wird mir schwer dabei" basiert auf Interviews mit überlebenden Juden in Czernowitz, die 1996 acht StudentInnen des Osteuropa-Institutes der Freien Universität Berlin (FU) im Rahmen eines "Oral-History-Projektes" vor Ort durchführten. Die Berichte der überlebenden "Ur-Czernowitzer" sollten ein unverklärtes Bild der Vergangenheit zeichnen und mit gängigen vorhandenen Klischees des harmonischen Zusammenlebens von Polen, Juden, Rumänen, Ukrainern, Deutschen und Österreichern in der Zwischenkriegszeit aufräumen. Das Buch erschien bereits 1996 unter dem Titel "Czernowitz is gewen an alte jiddische Schtot...". Lange war der Band vergriffen. 2009 liegt er in der dritten erweiterten Auflage wieder vor.
In den beeindruckenden Interviews begegnen wir neunzehn ZeitzeugInnen. Herr Zwilling und Frau Zuckermann, die einem breiteren Publikum aus den einfühlsamen Filmen von Volker Koepp bereits bekannt sind, kommen hier auch vor. Wir lernen die jiddisch schreibenden SchriftstellerInnen Josef Burg, Rachel Filip, Anna Rosenberg und weitere Czernowitzer kennen. Sie berichten über ihre Jugend in der Zeit vor dem Krieg, über den sowjetischen Einmarsch, ihre Deportation, die Zeit im Ghetto, die Nachkriegszeit und über Religion und Identität. Beigefügt ist eine CD mit acht kleinen Interviewausschnitten. Die habsburgerische Sprachfärbung der Stimmen verzaubert und vermittelt zusätzlich den Eindruck einer längst vergangenen Zeit. Eine echte Bereicherung für die hörende Spurensucherin! Ebenfalls neu ist der Bildteil, der sowohl historische Aufnahmen der Stadt, als auch Fotografien der Interviewten zeigt. Auch ein Glossar und eine Übersichtskarte der Bukowina, sowie eine weiterführende Literaturliste wurden der neuen Ausgabe hinzugefügt.
Zu den AutorInnen:
Gertrud Ranner studierte Osteuropastudien an der FU Berlin. Sie entwickelt Seminare, arbeitet als Autorin und Reiseleiterin für Stattreisen e.V.. Zusammen mit anderen Autorinnen hat sie 2008 den Reiseführer "Baltische Länder: Lettland, Litauen, Estland" veröffentlicht.
Axel Halling studierte Osteuropastudien, Südost- und Osteuropäische Geschichte an der FU Berlin und Hungarologie an der Humboldt Universität Berlin mit Auslandssemestern an der Sorbonne Nouvelle/INALCO Paris und der ELTE Budapest. Er arbeitete von 1996-2000 als Pressereferent am Ungarischen Kulturinstitut Berlin, von 1999-2000 als Mitbegründer und Leiter der Galerie Barakk, Berlin und Von 2000-2004 war er Mitarbeiter am Fachbereich Ostmitteleuropäische Geschichte der Humboldt Universität Berlin und im Lektorat und Pressedienst des Medienbeobachtungsunternehmens "Ausschnitt GmbH". Seit Frühjahr 2008 arbeitet Axel Halling bei der Initiative Bürgerstiftungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.
AVIVA-Tipp: Die HerausgeberInnen reflektieren in ihrem Nachwort der liebevoll ergänzt und editierten dritten Auflage den Zugang zur Vergangenheit über die Interviews. "Bilder verzerren sich, nicht alles durchdringt den Gedächnisfilter." Der vermittelte Eindruck ist differenziert und versucht uns darüber sowohl die Menschen als auch die untergegangene Zeit näher zu bringen. "... und das Herz wird mir schwer dabei" ist ein eindringliches Zeugnis und lädt dazu ein, sich mit der jüdischen Geschichte von Czernowitz und der Bukowina neu zu beschäftigen.
... und das Herz wird mir schwer dabei.
Czernowitzer Juden erinnern sich
Hrsg. v. Gertrud Ranner, Axel Halling, Anja Fiedler u. a.
Aktualisierte dritte Auflage
Mit Audio-CD
Deutsches Kulturforum östliches Europa, erschienen April 2009
Gebunden, 226 Seiten mit 2 Karten und 8 Farbtafeln
ISBN: 978-3-936168-28-0
14,80 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Dieses Jahr in Czernowitz" von Volker Koepp.