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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 25.05.2010


Necla Kelek - Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam
Christina Boge

"Islam-Bitches" und "Hinterhofgesellschaft" – einmal mehr provoziert Necla Kelek mit ihren Ansichten über die muslimische Gesellschaft in Deutschland. Was deren Glauben ausmacht und warum...




... eine Diskussion über den Islam dringend nötig ist, eröffnet sie in ihrem neuesten Werk.

Nach "Die fremde Braut" und "Bittersüße Heimat" polarisiert die türkischstämmige Autorin mit einem neuen Bestseller. Der Titel "Himmelsreise" bezieht sich auf den Aufstieg des Propheten Mohammed in Himmel und Hölle. Gleichzeitig nimmt Kelek die LeserInnen mit ihrem Buch aber auch mit auf eine Reise in die Welt des mohammedanischen Glaubens, indem sie dessen Entwicklung bis zu seiner heutigen Erscheinung nachzeichnet.

Dabei geht es der Autorin vor allem um eines: zu zeigen, dass der Islam nie in der Moderne angekommen ist. Er geht von einer Glaubensgemeinschaft aus, in der das Individuum dem Kollektiv untergeordnet ist. Lebensregeln werden von außen, von oben vorgegeben. MuslimInnen, die ihren Glauben leben wollen, können sich einer freien Gesellschaft nicht anpassen, weil diese nicht mit ihrem Gehorsam gegenüber Allahs Gesetzen zu vereinbaren ist, beklagt Kelek. Denn der Islam sei, so Kelek, nicht nur Religion, sondern zugleich auch Ideologie und Weltanschauung, und damit Inspiration für gesellschaftliches, soziales und politisches Handeln.

Die MuslimInnen ruft Kelek auf, aus diesem verschlossenen System auszubrechen. Aber auch PolitikerInnen übermittelt sie eine klare Botschaft: Das ewige "Verständnis" für muslimische Familien, deren Töchter nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen und die Relativierung der Gewaltbereitschaft ihrer Söhne muss einer kritischen Analyse islamischer Strukturen weichen. Westliche Demokratien dürfen nicht um der Toleranz willen ein Gesellschaftsmodell akzeptieren, das eine Unterdrückung von Grund- und Frauenrechten hinnimmt. "Hinterfragen wir den Islam als kulturelle und politische Institution", appelliert die Autorin an ihre LeserInnen. Die Kultur des Wegsehens und Schönredens werde die Gesellschaft nicht voranbringen.

Immer wieder weist die Autorin darauf hin: Der Islam ist soziale Realität. Er kreiert eine Parallelgesellschaft, die an der Mehrheitsgesellschaft vorbei lebt. In dem Kapitel "Islam-Deutsch/Deutsch-Islam" veranschaulicht Kelek, wie unterschiedlich zentrale Begriffe wie Ehre, Respekt und Freiheit aufgefasst werden. Besonders die Thematisierung der Unterdrückung von Frauen im Islam liegt ihr dabei am Herzen. Ehrenmord und Genitalverstümmelung spielen hier eine ebenso große Rolle wie das Kopftuch für die Frau, das laut Kelek zur Sexualisierung und sozialen Apartheid beiträgt, im Koran jedoch nicht erwähnt wird.

Einen großen Teil des Buches widmet die Autorin auch ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Islam. Sie hat Vorzeige- und Hinterhofmoscheen besucht, Problemviertel erkundet und mit Islampredigern diskutiert. Heraus gekommen sind aufwühlende Streitgespräche ebenso wie erheiternde Anekdoten, die die Leserin knapp 250 Seiten lang fesseln und zur Diskussion auffordern.

Keleks Mission ist es jedoch nicht, zu zeigen, dass ein friedliches Miteinander nicht möglich ist. Schließlich ist es eine laute Minderheit, das betont Kelek immer wieder, die auch nach Jahrzehnten noch nicht in Deutschland angekommen ist und an die sich ihre Anklage richtet. Das Gewicht der schweigenden Mehrheit fehle in der Debatte. Die Zukunft unserer Gesellschaft hänge jedoch auch davon ab, inwiefern diese Muslime ihre Glaubensbrüder und –Schwestern von der Idee der aufgeklärten demokratischen Bürgergesellschaft überzeugen können. Gelingt es ihnen, Freiheit und Verantwortung über kollektive Zwänge einer religiösen Weltanschauung zu stellen und damit Grundrechte über Gott? Insbesondere die Frauen fordert Kelek auf, den Islam von Innen heraus zu reformieren und ihr Kopftuch endlich fallen zu lassen. Nur dann können Islam und demokratischer Rechtsstaat sich die Hand reichen.

AVIVA-Tipp: "Himmelsreise" ist ein leidenschaftliches und kontrovers diskutiertes Buch. Mit ihrer Kritik am Islam macht sich Kelek sicher keine FreundInnen in der traditionalistischen muslimischen Gesellschaft. Das will sie aber auch gar nicht. Kelek streitet für eine offene Diskussion um Integration. Ihr Ziel ist es, die Islamkritik voranzutreiben und damit dem Islam das Ankommen in der Moderne zu ermöglichen. Ein lehrreiches Werk mit großer Aktualität und Brisanz, welches vom Ursprung des Korans über die Rolle der Frau bis zur Stellung der Islamverbände verschiedene Facetten beleuchtet und gleichzeitig Ansätze für einen moderaten Islam aufzeigt.

Zur Autorin: Necla Kelek, geboren 1957 in Istanbul, hat in Greifswald Volkswirtschaft und Soziologie studiert und über das Thema "Islam im Alltag" promoviert. Sie forscht zum Thema Parallelgesellschaften und berät unter anderem die Hamburger Justizbehörde zu Fragen der Behandlung türkisch-muslimischer Gefangener. Unter anderem wurde die in Berlin lebende Autorin im Jahr 2006 mit dem Corine Preis für Sachbücher und 2008 mit dem Frauenpreis des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland ausgezeichnet. 2009 erhielt sie den Hildegard-von-Bingen-Preis. Necla Kelek ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz.

Necla Kelek
Himmelsreise – Mein Streit mit den Wächtern des Islam

Kiepenheuer und Witsch Verlag, erschienen März 2010
Gebunden, 267 Seiten
ISBN 978-3462041972
18,95 Euro

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