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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.11.2010


Angela McRobbie - Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes
Britta Meyer

Junge, gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Frauen, die mit panischer Abwehr auf die Zuschreibung "Feministin" reagieren – Angela McRobbie, Professorin für Kommunikationswissenschaften an...




... der University of London, ist diesem widersprüchlichen Phänomen auf den Grund gegangen.

"Alphamädchen" sind in aller Munde. Wenn frau den Medien glaubt, sind sowohl Betriebsräte, als auch Chefetagen bereits randvoll mit einschüchternd erfolgreichen Vorbildfiguren für junge Frauen. Ein Blick in die Statistiken lässt diese Illusion zwar schnell als realitätsfernes Märchen verblassen. Das medial propagierte Bild der perfekten Vorzeigefrau jedoch, die eine glänzende Karriere, eine glückliche heterosexuelle Kernfamilie und einen makellosen Körper der stets kritisch äugenden Öffentlichkeit präsentiert und dabei immer "wunderbar weiblich" bleibt, ist allgegenwärtig.

Die Londoner Kommunikationswissenschaftlerin Angela McRobbie hat diese Idealfrauen in ihrem Buch "Top Girls - Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes" (im Original "The Aftermath of Feminism") einer ausführlichen Analyse unterzogen. Sie verfolgt dabei den Wandel von Third-Wave-Feminism zum Postfeminismus vor allem in der Populärkultur. In Filmen wie "Bridget Jones", im (britischen) "Trash-TV" und in Modezeitschriften spürt sie postfeministische Botschaften auf und unterzieht sie einer feministischen Sozialkritik.

McRobbie geht davon aus, dass die Neustrukturierung des flexiblen globalen Kapitalismus` auf Frauen als Erwerbstätige zwingend angewiesen ist und diesen daher beruflichen Erfolg und öffentliche Sichtbarkeit zugesteht, aber nur unter der Bedingung, dass diese sich von Feminismen distanzieren. Diese öffentliche Zurückweisung jeglicher Feminismen durch Frauen, die erst durch feministische Bestrebungen überhaupt in den Genuss einer qualifizierten Ausbildung kommen konnten, bezeichnet McRobbie als unverzichtbaren Teil dessen, was sie "postfeministische Maskerade" nennt.
McRobbie begreift den Postfeminismus als eine Art "doppelter Verwicklung", welche dadurch entsteht, dass neo-konservative Bestrebungen neben einer sich ständig weiter liberalisierenden Gesellschaft existieren. Feminismen sind im Alltag angekommen, wo sie als "ein" gemeinsamer Feminismus vehement abgelehnt werden. Diesem wird dadurch Rechnung getragen, dass er ständig als überholte Strategie aus früheren finsteren Zeiten diskreditiert wird. McRobbie schreibt hierzu:

"Der Postfeminismus setzt den Feminismus für seine Zwecke ein, um ein ganzes Repertoire an neuen Inhalten zu propagieren, die allesamt suggerieren, letzterer habe seine Aufgabe erfüllt und werde nicht mehr benötigt, denn Gleichberechtigung sei längst erreicht."

Macht ist männlich konnotiert, wenn eine Frau Macht besitzt oder erstrebt, sorgt sie sich, dass dies ihre Weiblichkeit und damit ihre Attraktivität unterminieren würde. Darum überbetont sie ihre Weiblichkeit, um Männern nicht das Gefühl zu geben, sie stelle eine Bedrohung dar. Sie distanziert sich besonders von den Frauen, die allgemein als "männlich" gelten: Feministinnen und Lesben, "kastrierenden Figuren", wie McRobbie sie nennt. Postfeministische Maskerade als eine neue Form vergeschlechtlichter Machtverhältnisse sichert durch übertrieben feminines Styling (High-Heels, Minirock, viel unpraktisch klimpernden Schmuck, etc.) und naiv-mädchenhaftes Benehmen männliche Hegemonie erneut ab. Die Akzeptanz sexistischer Werbung und die Selbstinszenierung als Sexobjekt gehören zum guten Ton, um nicht als humorlos und lustfeindlich zu gelten. Diese neue Maskerade verweist dabei stets auf ihre eigene Künstlichkeit und nimmt KritikerInnen dieses Argument vorweg, da sie vorgibt, den hyper-weiblichen Stil "frei" zu wählen.

Die Überbetonung dessen, was als "feminin" gilt, bedeutet außerdem ständige harte Arbeit am eigenen Ich. Junge Frauen werden heute gesellschaftlich dazu aufgefordert, sich selbst wichtig zu nehmen, bei Problemen Therapien zu nutzen, kurz: aktiv die Produktion ihrer selbst zu verfolgen. Die Individualisierung geht mit Selbstregulierung, dem eigenen Planen und Organisieren des Lebens, einher. Dazu gehört auch die Produktion des perfekten Äußeren. Um als weibliches Subjekt zu funktionieren muss frau zahllosen Kriterien genügen, was zu einer permanenten Selbstoptimierung führt. Gut bezahlte Frauen sind vor allem auch begehrte Kundinnen der Schönheitsindustrie. Die Körper von zahlungskräftigen Frauen müssen mit Mode, Beautyprodukten, Wellnessangeboten, plastischer Chirurgie, Therapie-Workshops und vielem mehr lebenslang bearbeitet und verbessert werden. Die ständige Forderung nach physischer Optimierung neben beruflichen und schulischen Höchstleistungen führt gerade bei jungen Frauen zu einer Reihe von selbstverletzenden Verhaltensweisen und einer große Bandbreite von dokumentierten Pathologien, die besonders mit jungen Frauen in Verbindung gebracht werden und damit – perverserweise - schon als Bestätigung von Weiblichkeit gelten. Schönheit ist eine Leistung, Versagen und fehlende Perfektion wird von der Umgebung mit Verachtung und Mobbing bedacht.

Erfolg, und besonders der Erfolg als Objekt heterosexuellen Begehrens ist jetzt die Verantwortung jeder Einzelnen. Soziale und berufliche Errungenschaften werden nicht auf sie erst ermöglichende vorangegangene Frauenbewegungen zurückgeführt, sondern auf individuellen Ehrgeiz, was Solidarität zwischen den gesellschaftlichen Schichten unmöglich macht. Die Doppelbelastung Kind/Karriere wird nicht hinterfragt, sondern ist eine Sache persönlichen Organisationstalents. Die neoliberale Fokussierung auf Vielfalt, Gleichheit und Eigenverantwortung des Individuums negiert hierbei Ungleichstellungen sozialer Gruppierungen (Geschlecht, "Rasse", Klasse, Ausbildung) und verhindert Solidarisierungen untereinander. Wer versagt, ist selber schuld und der Konkurrenzkampf um Jobs und Männer ist gnadenlos.

AVIVA-Tipp: Angela McRobbie hat mit dem Begrif der "postfeministischen Maskerade" eine Erscheinung des Neoliberalismus` benannt, für die frau bereits seit Jahren nach einer passenden Bezeichnung suchte. Allein schon deshalb wäre "Top Girls" lesenswert. Die kritische Einordnung dieses "Livestyles" in soziale und ökonomische Geschlechterdiskurse des flexiblen Kapitalismus` ist sowohl verständlich, als auch pointiert formuliert und deckt überzeugend die Machtstrukturen auf, die der "freiwilligen" Anpassung an hegemoniale Weiblichkeitsideale zugrunde liegen.
Ein Gewinn nicht nur für Frauen, die sich immer gefragt haben, was sie an Ally McBeal eigentlich so sehr gestört hat.

Zur Autorin: Angela McRobbie, 1951 geboren, hat Kulturwissenschaften studiert, arbeitet zu Gender und Populärkultur und ist heute Professorin für Kommunikationswissenschaften am Goldsmith College der University of London. Zu ihren Veröffentlichungen gehören unter anderem "Feminism and Youth Culture" (1990), "British Fashion Design" (1998) und "The Uses of Cultural Studies" (2005). Ihr neuestes Buch, "Sexuality, Gender and Generation: Postfeminist Art and Culture", wird noch 2010 erscheinen.

Angela McRobbie
Top Girls - Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes

Verlag: VS Verlag, Auflage: 1 (erschienen im März 2010)
Broschiert, 227 Seiten
ISBN: 3531162721
24,95,- Euro


Weitere Informationen finden Sie unter: Angela McRobbie, Goldsmiths, University of London



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Beitrag vom 24.11.2010

Britta Meyer