Juliet Heslewood - Mütter. 40 Porträts von Albrecht Dürer bis David Hockney - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 05.01.2011


Juliet Heslewood - Mütter. 40 Porträts von Albrecht Dürer bis David Hockney
Anna Hohle

Warum und in welcher Weise porträtiert ein/e KünstlerIn die eigene Mutter? Heslewood geht dieser Frage in Kurztexten anhand von 40 Porträts aus verschiedenen Epochen nach und stößt dabei auf ...




... spannende und überraschende Details ganz unterschiedlicher Mütterbilder vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

In den jeweils eine Seite umfassenden Kurztexten, die jedem Einzelporträt zugeordnet sind, verweist die Autorin auf historische Daten und biographische Hintergründe der Bildentstehung, geht darüber hinaus jedoch auch bildinterpretatorisch auf die jeweiligen kunsthistorischen Zusammenhänge ein.
Der allmähliche Übergang vom klassizistischen Stil über die atmosphärische Darstellung der ImpressionistInnen bis zur Abstraktion der Moderne wird so anhand eines wiederkehrenden Motivs auf eine ungewohnte Art und Weise sichtbar.

Von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert

Die Ehrfurcht vor dem oftmals harten und spartanischen Leben der Mutter bildet die Grundlage für viele der dargestellten Porträts. Kurz vor ihrem Tod fertigte Albrecht Dürer 1514 eine Kohlezeichnung seiner Mutter Barbara an – in ihren eindringlichen, faltenreichen Zügen scheinen die Spuren eines entbehrungsreichen Lebens mit insgesamt 18 Schwangerschaften auf – zu Papier gebracht in der naturalistischen Manier des Renaissancekünstlers.
"Nur wenige Freuden, dafür viele Sorgen" bestimmten ebenso das Leben Rachel Petit Pissarros, der Mutter Camille Pissarros. Er zeichnet sie schlafend, in einem nur sparsam eingerichteten Zimmer – erleuchtet vom spärlichen Licht einer Kerze.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis offenbart, dass lediglich drei der 40 vorgestellten Porträts von Künstlerinnen stammen – dies verwundert insbesondere, da der Bildband einen offensichtlichen Schwerpunkt auf Darstellungen des 19. Jahrhunderts setzt, eine Epoche, in der erstmals auffallend viele Künstlerinnen zum Pinsel griffen. Dies wurde im Jahr 2008 in der Frankfurter Exposition "Und ob es sie gab - Impressionistinnen" eindrucksvoll ausgestellt.
Herslewood nennt an dieser Stelle einzig die beiden Impressionistinnen Mary Cassatt und Berthe Morisot. Die Autorin behandelt in den begleitenden Texten aufschlussreiche Details der Bildentstehung. Die Mutter Morisots, Marie-Joséphine-Cornélie Morisot, konnte den Wunsch nach einer Karriere als Musikerin selbst nicht verwirklichen – unterstützte jedoch den Plan ihrer Tochter, auf dem von Männern dominierten Gebiet der Malerei zu reüssieren. Dennoch wurde ausgerechnet Morisots Mutterporträt Die Mutter und Schwester der Künstlerin Gegenstand eines männlichen Übergriffes: Konzipiert für eine Ausstellung im Pariser Salon nahm Morisots Schwager Edouard Manet – bei einem Besuch lediglich um künstlerischen Rat gefragt – umfangreiche Änderungen an dem Bildnis vor, woraufhin Morisot es verständlicherweise nicht länger ausstellen wollte.

Ungenannt bleiben weitere bekannte Mütter-Porträts von Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts, etwa von Louise Cathérine Breslau, Anna Elizabeth Klumpke, Anna Ancher und Vilma Lwoff-Parlaghy.

Zwischen Zuneigung und Kontroverse. Der Weg ins 20. Jahrhundert

Heslewood thematisiert den Versuch der KünstlerInnen, Sympathie und Verehrung für eine geliebte Person auszudrücken. "Wenn ich Bilder gemalt habe, dann deswegen, weil ich an meine Mutter denke", schreibt Marc Chagall und formuliert gleichzeitig die Schwierigkeit, diese Zuneigung adäquat auszudrücken: "Mit welchen Worten, mit welchen Mitteln soll ich sie porträtieren, wie sie lächelnd am Eingang steht oder stundenlang am Tisch sitzt und auf irgendeinen Nachbarn wartet, dem sie ihr Herz ausschütten kann?" Vincent Van Gogh verzichtet in seiner Darstellung Erinnerung an den Garten in Etten ganz auf jegliche Ähnlichkeit der Gesichtszüge und sucht ihre Entsprechung in Gegenständen der Natur: "Ich weiß, dass man hier kaum von Ähnlichkeit sprechen kann, aber […] die willkürliche Auswahl der Farben, das dunkle Lila mit den zitronengelben Tupfen der Dahlien beinhaltet für mich Mutters Persönlichkeit".

Die Autorin gibt im Vorwort an, sie habe bei ihrer Recherche neben der liebevollen und verehrenden Darstellung mit Konflikten und Schwierigkeiten in den Mutter-KünstlerInnen-Beziehungen gerechnet, "doch habe ich diese nur selten entdeckt. Wenn ein Künstler sich mit seiner Mutter nicht gut verstand, hat er sie auch nicht gemalt". Eine Ausnahme bildet hier unter anderem Lucian Freuds Bildnis Großes Interieur: London W9, in welchem die emotionale Distanz zur dargestellten Mutter Lucie Freud deutlich wird. Heslewood zitiert den Künstler, der angab, das Interesse seiner Mutter stets als Bedrohung empfunden zu haben: "Ich begann damit, sie zu malen, weil sie sich nicht mehr für mich interessierte. Hätte sie sich für mich interessiert, hätte ich es nicht gekonnt".

Erwähnenswert wären auch an dieser Stelle Porträt-Beispiele von Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts gewesen – die teils eben jenes Konfliktpotential bieten, von dem Heslewood angibt, es häufiger erwartet zu haben. Auch die im Bildband eher deskriptiv besprochenen Porträts von Frida Kahlo Meine Großeltern, meine Eltern und ich und Meine Geburt hätten durchaus einer Betrachtung unter diesem Aspekt Stand gehalten.

Der Blick in die Gegenwart zeitgenössischer Mutter-Darstellungen beschränkt sich im Bildband auf die beiden Briten David Hockney und Tom Phillips – dies ist ein wenig schade, denn gerade an dieser Stelle bieten zeitgenössische Künstlerinnen interessante Perspektiven und Einblicke in das komplexe Verhältnis der Tochter zur eigenen Mutter. Nennenswert sind an dieser Stelle beispielsweise Barbara Eichhorn (Passage), Carolyn Gayle Pyfrom (Portrait of My Mother), Elena Peteva (Mom. In Transition), Lauren Tilden (Vanitas) sowie die Fotokünstlerinnen Melanie Manchot (Look at You Loving Me) und Isabelle Graeff (My Mother and Me).

AVIVA-Tipp: Heslewoods Bildband umfasst eine umfangreiche Auswahl historischer Mütter-Porträts. Anhand informativer, wenn auch äußerst knapp gehaltener Texte können die LeserInnen verfolgen, wie die Darstellung der KünstlerInnen-Mutter in sechshundert Jahren Kunstgeschichte variiert – von den madonnenhaften Abbildungen der Renaissance bis zur kubistischen Abstraktion eines Juan Gris oder den Fotocollagen zeitgenössischer Künstler. Obwohl insbesondere die Künstlerinnen zu kurz kommen, bietet Mütter. 40 Porträts von Albrecht Dürer bis David Hockney dennoch viel Lesenswertes und interessante Einblicke in die Tradition der Mutter-Porträtierung.

Zur Autorin: Juliet Heslewood studierte Kunstgeschichte an der Universität London und absolvierte einen M.A. in Englischer Literatur in Toulouse. Sie lebte über 25 Jahre in Frankreich, wo sie Studienreisen zu Kunst und Architektur konzipierte und organisierte. Zu ihren kunsthistorischen Publikationen zählen Picasso: Maler, Bildhauer. Eine Einführung und Die Geschichte der westlichen Skulptur. Eine Einführung für junge Menschen, das in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Darüber hinaus veröffentlichte sie ein Handbuch über Skulpturen und Sammlungen mit Märchen aus aller Welt. Sie lebt heute in Oxfordshire, wo sie weiterhin zu Kunst und Volkskunst publiziert und Vorträge zur Kunstgeschichte hält. (Quelle: Verlagsinformation)

Juliet Heslewood
Mütter. 40 Porträts von Albrecht Dürer bis David Hockney

Dietrich Reimer Verlag, erschienen November 2010
Bildband, Hardcover, 96 Seiten
ISBN 978-3496014249
19,95 Euro
www.reimer-verlag.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Zwischen Liebe und Konflikt - Mütter und Töchter von Ulrike Ley und Susanne Sander"

"Und ob es sie gab - Impressionistinnen"


Buecher

Beitrag vom 05.01.2011

AVIVA-Redaktion