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Beitrag vom 11.04.2011
Tania Witte - beziehungsweise liebe
Ute Vetter
Das Romandebüt der Journalistin, Spoken-Word-Performerin und Schriftstellerin Tania Witte erzählt von komplexen und sexuell offenen Beziehungskonstellationen einer sympathisch-queeren Community. ...
... Abgebildet wird der urbane Kosmos einer lesbischen Szene in Berlin. Die Autorin liefert einen unterhaltsamen Einblick in die Widrigkeiten und Freuden lesbischer Liebe.
Acht Monate eines unbestimmten Jahres im aktuellen Jahrtausend in Berlin bestimmen das Zeitfenster des Romans. Die lang geplante Schwangerschaft Martes eröffnet den Plot. Von der künstlichen Insemination, die drei Tage lang im schönen Monat Mai groß gefeiert wird, über das ungewöhnliche Benehmen einer Schildkrötendame bis hin zur massiven Erschütterung gewählter Lebenskonstrukte, die auf die Probe gestellt werden, kommt die queere Welt Berlins zur Ansicht.
Eine italienisch-deutsch-türkische Schönheit wird zur Begehrtesten der Stadt proklamiert und Frauen würden für eine Beziehung oder auch eine Nacht mit ihr Alles geben. Ein symbiotisch-lesbisches Paar, das in grüner Idylle am Rande von Berlin wohnt, fehlt ebenfalls nicht. Die Autorin Tania Witte entwirft einen liebevollen Blick auf das komplexes Beziehungsgeflecht aus Freundschaft, Liebe und Sex. Die "Szene" kommt freizügig, komisch und nicht zu ernst, aber auch ein bisschen in sich selbst verliebt rüber.
Der bunte, doch durchweg homogen gestaltete FreundInnenkreis bewegt sich im Roman unbeschwert, angstfrei und nutzt selbstbewusst vorhandene urbane Freiräume. Eine klare Momentaufnahme vom Leben im gegenwärtigen Berlin, in dem gerade bei allen Alles gut ist - so wie auch auf dem Cover. Das nämlich zeigt eine träumende Schönheit auf der Landebahn des Berliner Flughafen Tempelhof liegend. Die junge Frau dort scheint dem Ensemble des Romans entsprungen zu sein und sich im sommerlichen Abendlicht vom rasanten Leben der Stadt zu erholen.
Der illustre und queere Mikrokosmos der Geschichte setzt sich aus lesbisch/bi/transsexuellen Figuren zusammen: Von Marte, die ein Kind mit Tekgül bekommt, die wiederum in ein magisch-obsessives Abenteuer gezogen wird - über Johanna, einer erfolgreichen Mittdreißigerin, die sich mit einer ihr "ebenbürtigen" starken Frau konfrontiert sieht - bis zu Sandy und Manu oder Nicoletta, die sich mit dem heterosexuellen Clemens bisher gut arrangiert hat.
Sprache und Duktus des Romans sind klar und unmissverständlich, wobei jedoch einige Passagen durch ihre attributiven Konstruktionen etwas überladen scheinen. Sie stören manchmal das kurzweilig Erzählte. Die Charaktere sind hingegen sehr homogen in ihren Anschauungen über die Welt gestaltet. Psychologische Tiefe und biographische Brüche bleiben, wenn überhaupt, nur angedeutet. Die Handlung ist leicht überschaubar und die Lektüre insgesamt entspannend, schön und undramatisch.
Erotik kommt im Roman beziehungsweise liebe von Tania Witte auch nicht zu kurz. Intime Situationen der Realität werden nicht aufdringlich oder voyeuristisch nachgestellt, sondern knapp und authentisch:
"Sie nimmt Johanna den Pullover, das T-Shirt, die Jeans und schließlich auch den samtweichen Slip, presst sie gegen die Spiegelwand und trägt dabei noch immer die schmale Stoffhose und den grün schillernden BH, der unter ihrem Hemd zum Vorschein kam, als sie es mit einem energischen Seufzen über den Kopf zog.
Und dann schiebt Tekgül Johannas Panzer beiseite, [...] Streckt und windet sich. Kommt." (S.73)
Der Roman zelebriert die queere Hauptstadt, ist eine Liebeserklärung an diese. Lesbisches Leben in Kontakt mit der Welt. Nichts ist zu spüren von verkrusteten Positionen, abstrusen Weltbildern und gesellschaftlichen Normen. Eine offene lesbische Kultur outet sich, zeigt Präsenz, nimmt artistisch und witzig Raum ein.
Zur Autorin: Tania Witte lebt und schreibt seit 2004 in Berlin. Sie ist Mitherausgeberin des ebenfalls im Querverlag erschienenen Bandes "Drag Kings. Mit Bartkleber gegen das Patriarchat" (2007) und veröffentlichte in diversen Anthologien. Um der Stille des Schreibens etwas entgegenzusetzen, gründete sie als Spoken-Word-Performerin mit einigen anderen Künstlerinnen "Shut Up And Speak", die Berliner Spoken-Word-Bühne für Frauen und Trans*. (Quelle: Querverlag, März 2011)
AVIVA-Tipp: Einen so intimen Blick in den Mikrokosmos einer Community bekommt frau selten so schnell, so schön und so freizügig serviert. Tabus, Klischees, No-Goes machen deutlich, wo in Berlin-Kreuzberg und in Mitte der Hammer hängt. Sexuelle Obsessionen, Kinderwunsch, moderne Lebensform, queeres Lebensgefühl, Transsexualität und Tierliebe sind spielerisch in Verbindung gebracht. Das belletristische Debüt beziehungsweise liebe legt ein außerordentlich hohes Erzähltempo vor, ist dabei sehr vergnüglich, empfehlenswert und entlockt der Leserin auch so manches Schmunzeln.
Tania Witte im Netz: www.taniawitte.de
Tania Witte
beziehungsweise liebe Querverlag, erschienen März 2011
www.querverlag.de
Broschiert, 232 Seiten
ISBN: 978-3-89656-185-5
14,90 Euro