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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 30.06.2011


Nina Jäckle - Zielinski
Clarissa Lempp

Die Autorin macht sich auf in das Innere eines Menschen, der nicht mehr mit dem Außen verhaftet ist. Ein poetischer Roman über radikale Zustände des Seins und einen Mann, der in einer Holzkiste lebt




Alles beginnt mit der Holzkiste und blauem Samt. Diese Utensilien werden in die Wohnung des Erzählers Schoch geliefert und mit der Kiste zieht ihr zukünftiger Bewohner ein. Der macht sich auch schnell namentlich bekannt, als titelgebender Zielinski. Ein gepflegter Herr, der von nun an in der mit Samt ausgeschlagenen Kiste an seinem Schreibtisch sitzt. Natürlich ist der ungebetene Untermieter dem Wohnungsbesitzer ungeheuer und doch verspürt er tiefe Sympathie. Immer mehr lässt er sich in den Bann des perfekt erscheinenden Zielinskis ziehen. Je mehr ihn das gepflegte Äußere, das Auftreten Zielinskis beschäftigt, umso weniger kümmert sich der Wohnungsbesitzer um sein Äußeres und das, was außerhalb der Wohnung liegt. Immer mehr wird das Alltägliche Leben für Schoch zum Absurdum.

Mit Erinnerungsfetzen und mantrischer Selbst-Suggestion lässt der Erzählende tief in sich blicken und bleibt doch stets distanziert. Was hier passiert, wiegt er pragmatisch ab. Wie soll mensch in dieser aufgewühlten Welt bestehen? Den Einkauf ausführen, Miete bezahlen, den Anrufbeantworter abhören, während die Perfektion, in blauem Samt gebettet, in einer Holzkiste sitzt? Er misst Fieber und hält Gemütszustände fest und von Zielinski erzählen, das würde heißen sich in ein System von Ärzten, Medikamenten und Abhängigkeiten zu begeben. Aber wie soll mensch diesen perfekten Zielinski eigentlich aushalten?

Zur Autorin: Nina Jäckle wurde 1966 in Schwenningen geboren und wuchs in Stuttgart auf. Nach dem Besuch von Sprachschulen in der französischen Schweiz und Paris wollte sie ursprünglich Übersetzerin werden. Mit 25 Jahren beschloss sie lieber selbst zu schreiben. Für ihre Hörspiele, Erzählungen und Romane erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen. Ihre 2010 erschienene Erzählung "Nai oder was wie so ist" erhielt begeisterte Kritiken. Sie ist Mitglied im VS Baden-Württemberg und im deutschen P.E.N.
Weitere Infos im Videointerview mit Nina Jäckle zu ihrem Roman Zielinski.

AVIVA-Tipp: Nina Jäckle schafft mit Zielinski einen Seelenkrimi, wie der Buchumschlag es passend beschreibt. Immer mehr zieht sie die LeserInnen in die Gedankenwelt des Erzählers. Durch Wiederholungen und klare Sätze gestaltet sie einen eigenwilligen Rhythmus, der durch das Ringen des Erzählers nach präzisen Beschreibungen seines Zustands einen eigenwilligen Sog entwickelt. In diesen Schwellenmomenten zwischen Wahrnehmung und Wahrheitssuche entwickelt Jäckles Roman seine besondere Kraft, einen Menschen in einer Phase des Lebens zu beschreiben, die von außen als "Krankheit" markiert ist, ohne seine innere Wirklichkeit und sein Menschsein in Frage zu stellen.

Nina Jäckle
Zielinski

Klöpfer & Meyer, erschienen 2011
186 Seiten mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 978-3-86351-002-2
18,90 Euro

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"Nai oder was wie so ist" von Nina Jäckle


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Beitrag vom 30.06.2011

Clarissa Lempp