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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 12.02.2011


Silvia Bovenschen - Wie geht es Georg Laub
Sonja Baude

Mit Lust an der Sprache und am Spiel begibt sich die Essayistin und Autorin auf eine kühne und scharfsichtige Spurensuche des Denkens und Fühlens. Dabei lotet sie Tiefen unserer Gesellschaft aus.




"Ich habe die pessimistischsten Annahmen über die Natur des Menschen", sagte Silvia Bovenschen in einem Gespräch mit dem Literaturkritiker Denis Scheck, nachdem sie 2009 mit dem Krimi "Wer weiß was" als Romanautorin debütiert hatte. In ihrem neuen Buch "Wie geht es Georg Laub?" führt die Autorin Spielarten der menschlichen Natur vor und gibt damit alles andere als eine nur finstere Sicht auf unsere Gattung: ihr kluger Gesellschaftsroman verödet nicht im Kulturpessimismus, sondern ist auch eine Art Liebeserklärung an das Denken und an die Menschlichkeit. Darin liegt eine fast zärtliche Tröstung. Formal ist der Roman von einer geistreichen und oft auch komischen Experimentierfreude bestimmt. Der Frage: Wie geht es Georg Laub? könnten wir die Frage: Wer weiß was? anschließen. Denn es ist nicht die allwissende Autorin, die ein Psychogramm des Schriftstellers Georg Laub entwirft und über dessen Seelenleben befindet. Vielmehr wird die Geschichte von einem mehrstimmigen Chor in Szene gesetzt: Wir treten ein in eine vieldimensionale Welt, in der wir von Zeit zu Zeit die Orientierung zu verlieren drohen.

Nachdem er als Sternchen der Literaturszene erloschen ist, zieht sich der Schriftsteller Georg Laub in die "Verkargung" am Rande Berlins zurück. Bovenschen kreiert ein heterogenes Personal, das sich aus jeweils unterschiedlicher Perspektive die Frage stellt: Wie geht es Georg Laub? Diesmal haben wir es zwar nicht mit einem Kriminalroman zu tun, dennoch steht über allem der Wunsch nach Aufklärung eines Rätsels, das sich sowohl auf die erzählte Geschichte als auch auf die Frage nach Form und Autorschaft bezieht. Was weiß der Erzähler von dem, was er tut, was wissen seine Figuren und nicht zuletzt: was wissen und verstehen die LeserInnen?

"Georg Laub erwachte, und die Welt war sofort bei ihm. Er wußte, wo er war, und er wußte, wer er war - so gut man das wissen kann. [...]
Dies war der Moment, mit dem für ihn der Tag begann.
Ganz bewußt.
Und so hatten auch die Tage in den letzten fünf Monaten begonnen.
Und so gefiel es ihm."

Eine wunderbare Exposition, sehr klar: und hätte Georg Laub in diesem Moment die Frage, wie es ihm gehe, zu beantworten gehabt, dann wohl mit "Gut", vielleicht auch "Sehr gut". Aber ein Moment folgt dem nächsten und damit einher geht auch eine umfassendere Selbstwahrnehmung: die Alltagssorgen werden benannt und eine kaum merkliche Irritation mündet am Ende, vielleicht im rechten Augenblick, in eine wundersame Verwandlung.

Im Nachdenken über das Buch packt die Rezensentin ein Schwindel, vielleicht ähnlich dem, der auch Georg Laub immer wieder heimsucht. Ich versuche, die Bilder scharf zu stellen, so wie es im Roman hier und da mit dem Fernrohr gelingt, das zwei der Figuren benutzen, um Georg Laub zu betrachten. Aber was hilft´s? Auch darin liegen keine Gewissheiten, nur Annäherungen und Versuche des Verstehens. Die Form, der Inhalt, die Wörter, alles hängt mit allem zusammen, ist fest verwoben zu einer klugen Komposition: Variationen über das Menschsein, von überall beleuchtet. Und so wird nicht nur Georg Laub ins Visier genommen, sondern das gesamte Personal, das ihn umgibt, die Lebenden und die Toten.

Sein ehemaliges Showleben in der Kulturschickeria, deren selbstgefällige und geistfeindliche Auswüchse Bovenschen treffsicher in der Figur Margy, der Exfreundin Laubs, karikiert, wollte der Schriftsteller hinter sich lassen. Jetzt hat er sich um das von seiner Tante Charlotte geerbte und verkommene Haus herum eine kleine einfache Welt mit einfachen Menschen, so es solche denn gibt, geschaffen. Aber da kommt der Passagier, ein Durchreisender und Fremder aus der alten Welt, ein ungebetener Gast und die Geschichte nimmt ihren irrwitzigen Lauf. "Was war das hier? Ein gemütliches Scheitern? Eine Ruinenwonne?", so fragt sich Fred Mehringer angesichts der neuen Lebenssituation Laubs. Ein kritischer Zuschauer einer krisenhaften Lage? Ja, aber nicht der einzige. Silvia Bovenschen führt vor, dass jedes Urteil sogleich wieder durch den Zweifel entthront werden kann. Das Allgemeine und das Konkrete, das Objektive und das Subjektive liegen immer eng beieinander. Ein "oder" verschiebt den Blickwinkel und die Versöhnung des Unversöhnlichen bleibt aus.

Mehringer, Setdesigner und also von Berufs wegen an skurrilen Schauplätzen interessiert, wird noch einige Male zurückkehren in Laubs Leben, vielleicht ist er ein Parasit. Das Gespräch unter Freunden findet nicht statt und so erhält er keine Antwort auf die Frage, die sich von nun an auch andere stellen: Wie geht es Georg Laub?
Wer ist da noch, der was weiß? Sämtliche AnwohnerInnen des Agniwegs treten auf. All diese Figuren sind sehr lebendig, lachen und streiten, denken nach über Ideen und Vergangenes, formulieren Wünsche für die Zukunft, werden zu KomplizInnen. Wir treffen auf vorgefertigte Meinungen und Werturteile, Klischees über den Stand der Welt werden gezimmert und wieder eingerissen. Der Zweifel am Zweifel macht das Rennen, denn wer weiß was mit Sicherheit?

Aber daneben stehen wir vor weiteren Rätseln. Mit "Wie geht es Georg Laub?" sind mehrere Kapitel überschrieben und wir lauschen einem prosaischen Dialog im Stakkato-Rhythmus. Wer spricht da und was genau wird gesehen? Und dann geschieht etwas sehr Sonderbares: Ein Manuskript taucht auf und mit ihm betreten wir eine neue und geheime Welt in anderer Form. Wer denkt und spricht in ihr? Ist es das Unbewusste, das sich zu Wort meldet? Welchen Heimsuchungen und Tiraden gegen sich selbst ist Laub da ausgesetzt ? Wie ist das auszuhalten?

Immer tiefer werden wir hineingesogen in einen Schwindel, der uns so vieles gleichzeitig denken und fühlen lässt und zuletzt fragen sich die LeserInnen selbst: Wie geht es Georg Laub, und auch: Was bedeutet diese kleine, vermeintlich harmlose Frage eigentlich? Diese ganz alltägliche Frage, die wir allerorts stellen und gestellt bekommen, bietet für Bovenschen Anlass, eine rasante, irritierende, aufregende und aufgeregte Reise durch die Gesellschaft und in uns hinein anzutreten. Dabei analysiert sie wunderbar scharfsichtig unsere Zeit und führt das gleichzeitige Existieren beunruhigender und tröstender Welten vor, manchmal sehr düster und dann wieder sehr hell und schön.
Was am Ende bleibt, ist ein Verschwinden, eine Stille und ein Rätsel, alternativlos.

AVIVA-Tipp: "Wie geht es Georg Laub?" ist eine sagenhaft geistreiche und klarsichtige Gesellschaftsanalyse voll beißender Ironie. Der Schauplatz ist Berlin. Mit feinem Sprachwitz gelingt es Silvia Bovenschen, Spielarten und Töne zu finden, die irritieren und empfindliche Punkte in uns berühren.

Zur Autorin: Silvia Bovenschen wurde am 5. März 1946 in Oberbayern geboren. Heute lebt die Literaturwissenschaftlerin, Essayistin und Autorin gemeinsam mit der Malerin Sarah Schumann in Berlin. 2000 erhielt sie den Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim und den Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2007 wurde sie mit dem Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik ausgezeichnet. Mit dem Buch "Älter Werden" wurde sie 2006 einer breiten Öffentlichkeit bekannt.


Silvia Bovenschen
Wie geht es Georg Laub?

S. Fischer Verlag, erschienen 11. Februar 2011
288 Seiten
ISBN 978-3-10-003516-5
18,95 Euro

Weiterlesen: Silvia Bovenschen im Gespräch über Emanzipation und Feminismus



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Beitrag vom 12.02.2011

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