Paris bezauberte mich. Käthe Kollwitz und die französische Moderne - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 26.02.2011


Paris bezauberte mich. Käthe Kollwitz und die französische Moderne
Anna Hohle

Käthe Kollwitz ist vorrangig für ihre sozialthematischen Graphiken und eindringlichen Milieustudien bekannt. Zu seinem 25. Jubiläum beleuchtete das Käthe Kollwitz Museum Köln einen bisher...




... vernachlässigten Aspekt ihres umfangreichen Werkes: Zwei längere Aufenthalte in Paris beeinflussten die Arbeiten der Künstlerin nachhaltig in Motivik und Technik. Die Monographie zur Kölner Ausstellung enthält Abbildungen von Kollwitz´ Werken und denen verschiedener ZeitgenossInnen sowie wissenschaftliche Aufsätze.

1901 reiste Käthe Kollwitz zum ersten Mal in die französische Metropole, 1904 folgte ein zweiter längerer Aufenthalt. Die Künstlerin war zu diesem Zeitpunkt bereits über 30 Jahre alt und hatte in Deutschland mit ihren sozialthematischen Graphiken einige Erfolge gefeiert.

Seit 1899 war sie Mitglied der KünstlerInnengruppe Berliner Secession, die in Opposition zur herrschaftlichen Salonmalerei VertreterInnen der französischen Moderne einlud und deren Bilder in Berliner Galerien ausstellte. So hatte Kollwitz die Gelegenheit, bereits in Berlin Werke französischer ImpressionistInnen und PostimpressionistInnen studieren zu können. Im Gegensatz zur von staatlicher Seite lancierten Historienmalerei waren deren Sujets oftmals urbane Straßenszenen, Eindrücke aus Cafés und Vergnügungslokalen.

Kollwitz zeigte sich beeindruckt von jenen Darstellungen und begann im Zuge ihrer Paris-Aufenthalte selbst mit Farbe, Fläche, Linie und Komposition zu experimentieren. Diese Werkphase der Künstlerin, in der viele farbige Drucke und Zeichnungen entstanden, wurde in der bisherigen Forschung wenig berücksichtigt.
Jene Arbeiten verdeutlichen, dass Kollwitz ihr Themenspektrum naturalistischer Milieustudien und sozialkritischer Portraits in den Parisjahren um farbige Lithographien, lebhafte Straßenszenen und einfühlsame Aktstudien erweiterte.

Kollwitz bewegte sich in Paris im KünstlerInnenumfeld ihrer Studienfreundin Maria Slavona, zu dem unter anderem Edvard Munch und Camille Pissarro gehörten. Sie studierte an der renommierten Académie Julian, einer unabhängigen, nichtstaatlichen Kunstschule, in der auch Frauen eine Ausbildung erhielten, und erkundete Pariser Cafés und Kneipen: Lokalitäten, die so gar nicht den bürgerlich-konventionellen Vorstellungen vom angemessenen Ort für eine Frau entsprachen.

Der Bildband widmet eben jener Tatsache einen zweiten Blick und thematisiert die Liberalisierungen um das Jahr 1900, als sich Künstlerinnen nach und nach eine größere Freiheit der Motive erarbeiteten. Auffällig viele Malerinnen wie Clara Westhoff, Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter und Ida Gerhardi hielten sich zu dieser Zeit in der französischen Hauptstadt auf. Sie begannen, jenseits "typisch weiblicher" Motive aus Natur und Privatleben auch jene für die Moderne charakteristischen Eindrücke aus Tanz- und Kellerlokalen, Straßenszenen und Liebespaare darzustellen. Kollwitz´ Zeichnungen aus den "Caveaux des Innocents" sind eindrucksvolle Belege für diese Entwicklung.

Der Bildband Paris bezauberte mich stellt Kollwitz´ Werke in Folge der Pariser Aufenthalte jenen ihrer französischen und deutschen KollegInnen gegenüber.
In Paris sah die Künstlerin neben den bewunderten ImpressionistInnen auch Arbeiten des Spät-, Neo- und Postimpressionismus, des Fauvismus und Symbolismus, die sich als Avantgarde in Reaktion auf diese Stilrichtung verstanden.
Wir sehen, wie der Einfluss der KünstlerInnengruppe Nabis Kollwitz zu Experimenten mit Farben und Lichtreflexen anregte und lesen, wie der Grundsatz der NaturalistInnen "Le laid c´est le beau" ("Das Hässliche ist das Schöne") sie in ihrer ungeschönten Darstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit bestärkte.

Der Band enthält 120 Farbabbildungen sowie elf Aufsätze von Hannelore Fischer, Doris Hansmann, Ekaterini Kepetzis, Alexandra von dem Knesebeck, Nadine Lehni, Andrea Meyer, Stefanie Rentsch und Karin Sagner.

AVIVA-Tipp: Die sehens- und lesenswerte Monographie zu Käthe Kollwitz´ Parisaufenthalten versammelt informative Aufsätze und aufschlussreiche Abbildungen von KünstlerInnen der Jahrhundertwende. Sie thematisiert darüber hinaus einen neuartigen Aspekt der Rezeption moderner französischer Kunst im deutschen Kaiserreich jenseits idealisierter historistischer Darstellungen. Die LeserInnen erhalten Einblicke in eine bislang wenig bekannte Facette von Kollwitz´ Kunst, insbesondere in die Entwicklung ihrer farbigen Graphiken. Anhand ausgewählter Gegenüberstellungen lassen sich die Einflüsse französischer AvantgardekünstlerInnen auf Kollwitz´ Lithographien und Skulpturen auf spannende Art und Weise nachvollziehen.

Weitere Infos unter: www.kollwitz.de, Homepage des Käthe Kollwitz Museums in Köln

Zu den Herausgeberinnen:

Hannelore Fischer M.A.
, Kunsthistorikerin, war lange Zeit auf französische ImpressionistInnen spezialisiert, entdeckte nach einer Lektüre Käthe Kollwitz´ Tagebücher jedoch ihre Leidenschaft für die Künstlerin. Seit 1989 ist sie Leiterin des Käthe Kollwitz Museums in Köln.

Dr. Alexandra von dem Knesebeck, Kunsthistorikerin, hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zu Käthe Kollwitz publiziert und ein Werkverzeichnis ihrer Graphiken herausgegeben. Gemeinsam mit Hannelore Fischer war sie Kuratorin der Ausstellung "Paris bezauberte mich". Käthe Kollwitz und die französische Moderne des Käthe Kollwitz Museums in Köln von Oktober 2010 bis Januar 2011.

Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knesebeck (Hrsg.)
"Paris bezauberte mich". Käthe Kollwitz und die französische Moderne

Hirmer Verlag, erschienen Oktober 2010
Bildband, 240 Seiten, 120 Farbabbildungen
ISBN 978-3777430416
39,90 Euro
www.hirmerverlag.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Die Malweiber", 42 Malerinnen-Portraits von Katja Behling und Anke Manigold

"So viel Energie - Künstlerinnen in der dritten Lebensphase", von Hanna Gagel



(Quellen zu den Biographien der Herausgeberinnen: www.journalistinnen.de, www.kollwitz.de)


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Beitrag vom 26.02.2011

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