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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 09.03.2004


Gott und die Götter
Tatjana Zilg

Die faszinierende Vielfalt der Religionen - ein umfangreicher Überblick der sechs großen Weltreligionen: Hinduismus, Buddhismus, Chinesischer Universismus, Judentum, Christentum und Islam




Über Religion wird viel diskutiert wie z. B. der heftige Meinungsstreit um das Kopftuchtragen muslimischer Lehrerinnen in deutschen Schulen zeigte. Doch häufig wird über die Religion des Andersgläubigen gesprochen und argumentiert, ohne ausreichend Hintergrundwissen zu haben. Sich dieses anzueignen, möchte der Religionswissenschaftler Gerhard Staguhn erleichtern. Er stellt in seinem Buch "Gott und die Götter" die großen Weltreligionen in sechs Kapiteln mit umfassenden Informationen, geschichtlichem Hintergrund und nachvollziehbaren Erklärungen ausführlich dar.

Widersprüchlichkeit kann als elementarer Wesenszug von Religion angesehen werden. Die Leserin gewinnt einen Einblick in Religion als vielschichtige und ziemlich verwirrende Erscheinung des menschlichen Geistes. Religion wird als Versuch dargestellt, eine Beziehung zwischen der sterblichen Existenz des Menschen und vermuteten übernatürlichen Mächten herzustellen. Die Gefühle gegenüber der höheren Welt sind ursprünglich von Furcht und Abhängigkeit geprägt. Um sie für sich einzunehmen, nutzt der Mensch Religion zur Kommunikation mit Gott und den Göttern.

"Religere" oder "Religare" - der Begriff Religion kann von diesen beiden lateinischen Ausdrücken abgeleitet werden. Ersteres bedeutet "sorgsam beachten", zweites "wieder verbunden": So kann der Begriff im Zusammenhang mit der Pflichterfüllung der Götterbefehle als auch mit der Gefühlsbindung an Gott gesehen werden.

Etwa neunzig Prozent der religiösen Menschen verteilen sich auf die sechs großen Religionen: Hinduismus, Buddhismus, Chinesischer Universismus, Judentum, Christentum und Islam.

Im Kapitel zum Hinduismus wird die Götterdreiheit Vishnu, Shiva und Brahma erklärt. Der Hinduismus ist als älteste der Weltreligionen vor 5000 Jahren in Indien entstanden.
"Diese tiefe Verwurzelung in der Menschheitsgeschichte erklärt vielleicht das Pflanzenhafte dieser Religion: ein schier undurchdringlicher, üppiger Dschungel von Mythen, Göttern und Geistern, von Kulten, Riten und Bräuchen." (Seite 15)

Der Ursprung in der Verschmelzung von arischer und dravidischer Kultur wird aufgezeigt. Die Verkündung der Wahrheit des Hinduismus durch legendäre Personen wie Rama, Krishna oder Manu und historische Persönlichkeiten wie Shankara erfolgte, ohne eine neue Lehre zu vertreten. Als Widerspruch wird angesehen, dass die Priester des Hinduismus keine Vorschriften für richtiges Handeln im Leben geben, aber das sehr strenge Kastensystem als kosmisches Prinzip der Abgrenzung existiert. Zudem wird auf das Wirkungsprinzip des Karma eingegangen und Yoga in der Bedeutung für den Hinduismus erläutert.

Der Buddhismus ist ursprünglich als eine Reformbewegung gegen das alte Brahmanentum zu verstehen. Die untergeordnete Kriegerkaste wehrte sich gegen die Machtposition der Priester. Das folgende Kapitel zeigt, wie der Fürstensohn Siddharta als Buddha das Kastensystem und andere Glaubenssätze hinterfragt. Er bekämpfte die Vorrangstellung der Brahmanen in geistigen Dingen, denn die hielt er für pure Anmaßung: Nicht die Abstammung verbürge den Weg zum Heil, sondern allein das Wissen - und das könne jeder erlangen. Weiter wird die Ausbreitung des Buddhismus, die Lehre, die verschiedenen Schulen, der Zen-Buddhismus erläutert. Hervorgehoben wird besonders die Toleranz des Buddhismus gegenüber Andersgläubigen: "Freundliche Gesinnung" als Grundhaltung.

Der chinesische Universismus mit seinem Symbol des Tai Chi für den Uranfangwird im nächsten Kapitel erläutert. Der Uranfang ist der Zustand des Universums, in welchem sich die beiden Urkräfte, das dunkle "Yin" und das helle "Yang" bereits voneinander getrennt haben, diese sind aber niemals isoliert voneinander denkbar.
Das "Tao" als das geheime Weltgesetz, hinter das sich alles verbirgt, wird erklärt und die Aufspaltung des Taoismus in die zwei Richtungen der Philosophen Konfuzius und Lao-Tse nachvollzogen.

Im Kapitel "Das Judentum" wird der starke Bezug auf einem einzigen allmächtigen und persönlichen Schöpfergott, dem Gott Jahwe, gezeigt. Es wird der Frage nachgegangen, ob er ursprünglich aus einem Kriegsgott hervorgegangen ist. Das Kapitel enthält einen ausführlichen historischen Abriss über die Siedlungsgeschichte des jüdischen Volkes. Weiter werden die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten, in denen der Gott Jahwe seinen göttlichen Willen verbindlich für die Menschen niedergelegt hat, und die Tora, die fünf Bücher Mose, vorgestellt.

Jesus Christus als Gottessohn und als Reformer ist das Thema des Kapitels "Das Christentum". Für die Urchristen in Jerusalem war Jesus Rabbi, Lehrer, Prophet und Messias in einem, das Bild vom auferstandenen Christus entstand erst in den frühen griechischen Christengemeinden, die von Juden gegründet worden waren. Jesus wird als religiöser Visionär und weltlicher Realist vorgestellt. Die Auferstehung als das entscheidende Ereignis der christlichen Religion wird diskutiert sowie die Entwicklung des Christentums in der Kirchengeschichte mit dem späteren Anspruch der katholischen Kirche, eine mächtige Kirche mit starrer Hierarchiestruktur aufzubauen, bis zur Reformbewegung durch Luther.

Im letzten Kapitel "Der Islam" wird die tiefe Gläubigkeit der traditionellen Muslime verständlich. Als Vermittler und Überbringer der islamischen Gesetze diente der Prophet Mohammed. Ihm wurden durch den Erzengel Gabriel in klarer arabischer Sprache über den Zeitraum von 23 Jahren Allahs Worte offenbart, die er im Koran niederschrieb. Grundpfeiler des Islams wie der Fastenmonat Ramadan das Gebet mit Waschungen werden erklärt.

"Wer einmal in einer Moschee verweilen und die Gläubigen beim Gebet erleben durfte, wird davon eine starke Erinnerung bewahren, vor allem, wenn er bis dahin zum Islam keine besondere Neigung verspürte. Eine große Wohltat geht von dieser Art des Gebets aus, etwas Beruhigendes, Festes, Unerschütterliches. Muslime beten nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Körper. Man spürt eine echte, tiefe Versenkung in die Zweisprache mit dem Gott, den die Muslime Allah nennen. (Übrigens sprechen auch christliche Araber von Allah.) Diese Hingabe, die man durchaus mit dem altertümlichen Wort ‚Inbrunst´ bezeichnen kann, wird man in einem christlichen Gottesdienst heutiger Zeit vergeblich suchen." Seite 177

Weitere Themen sind die inhaltliche Verzahnung von Judentum, Christentum, Islam und die Verbreitung des Islams in der Welt.

Aviva-Tipp: Das Buch ist in einer sehr bildhaften Sprache geschrieben, gut strukturiert und klar gegliedert. Allerdings wird der Autor dem Anspruch, Klischees und Vorurteilen entgegenzuwirken teilweise nicht gerecht, da sie durch die Bildhaftigkeit und Quervergleiche, die nicht frei sind von Wertungen, nicht abgebaut, sondern eher untermauert wird. Zudem ist das Buch sehr thesenhaltig, wobei die Thesen oft als Fakten dargestellt werden, die aufgrund der fehlenden Quellenangaben nicht nachvollzogen werden können.

Gott und die Götter - Die Geschichte der großen Religionen
Gerhard Staguhn

Hanser Verlag, August 2003
ISBN 3-446-20340-0
17,90 Euro
216 Seiten, kartoniert200904576775"




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