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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.04.2004


Anetta Kahanes deutsche Geschichten
Denise Hoffmann

Ich sehe was, was du nicht siehst - dies ist der Leitspruch der aktiven Kämpferin gegen rechte Gewalt, denn Rassismus und Antisemitismus sind Geister, an die in der DDR lange niemand glauben wollte




Der autobiographische Roman von Anetta Kahane erzählt deren Leben als Jüdin in der DDR - jenem Land, in das die Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg und der Emigration bewusst zurückgekehrt waren - sowie ihren Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Judenhass.

Die DDR als dezidiert antifaschistischer Staat gab den vor dem Nationalsozialismus geflohenen Jüdinnen und Juden Hoffnungen, sah sich jedoch nicht als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches und damit auch frei von jeglicher Verpflichtung. Außerdem wurde Opferanerkennung und Aufarbeitung der "deutschen" Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg tabuisiert:

"Es lag eine wenig subtile Unterscheidung zwischen Opfern des Faschismus und Kämpfern gegen den Faschismus. Ohne dass das Wort Jude ausgesprochen wurde, galten die Opfer des Faschismus selbstverständlich weniger.(.....) Die Erinnerung sollte politisch sein".

Als Kind und später als Studentin - als Gegnerin der DDR-Konformität und Staatsideologie - erlebt Anetta Kahane tägliche Diskriminierung bei sich und anderen durch DDR-BürgerInnen und Staat.
Das rückwirkend-reflektierende Ergebnis der Autorin: Wenn die DDR "keine Garantie gegen Rassismus und Antisemitismus war, hatte sie ihre Legitimation für mich verloren. Das nun war das besser Deutschland, das meine Eltern gewählt und erkämpf hatten?"

Anetta Kahane geht der Frage nach, warum es nach der Wende vor allem in den östlichen Bundesländern zu rechtsextremistischen, rassistisch und antisemitisch motivierten Gewalttaten kommt. Sie sieht dies in direkter Nachfolge der Verdrängung einer antisemitischen Verfolgung durch den NS-Staat und in der DDR-Ausländerpolitik, welche restriktiv und isolationistisch MigrantInnen lediglich duldete.

Gegen Schluss vermischen sich Mölln und Solingen, 11. September 2001, NPD und Hisbollah, Möllemann- und Hohmann-Affäre, Kopftuchstreit und Nahostkonflikt leider zu einer undifferenzierten Einheit. Es bleibt das Gefühl, dass die Autorin im Schlusskapitel einfach zuviel wollte. Insgesamt jedoch ist das im März 2004 erschienene Buch ein eindringliches Zeitdokument des bewegten und spannenden Lebens einer Kämpferin.

Aviva-Tipp:
Lesenswerter Roman einer gegen Rassismus und Antisemitismus engagierten Frau. Leben in und Probleme mit der DDR und dem wiedervereinten Deutschland werden biographisch skizziert und es entsteht ein spannendes Bild der Zeitgeschichte.

Zur Autorin:
Anetta Kahane, geboren 1954 im ehemaligen Ost-Berlin, wuchs als Kind von im Nationalsozialismus emigrierten und später nach Ost-Berlin zurückgekehrten Juden in der DDR auf. Sie studierte Lateinamerikanistik und arbeitete als Übersetzerin.
Sie engagiert sich erfolgreich in Initiativen gegen Rechtsextremismus und für Zivilcourage, wie 2000 mit der "Stern"-Aktion "Mut gegen rechte Gewalt". Für ihre Arbeit und ihr Engagement erhielt sie 2002 den Moses-Mendelssohn-Preis.
Anetta Kahane lebt in Berlin und hat eine erwachsene Tochter.

Mehr Informationen zur Initiative "Mut gegen rechte Gewalt" im Netz:
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de



Anetta Kahane
Ich sehe was, was du nicht siehst

Meine deutschen Geschichten
Rowohlt Verlag Berlin, März 2004
ISBN/EAN 3-87134-470-2
19,90 Euro
351 Seiten, Gebunden"



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Beitrag vom 27.04.2004

AVIVA-Redaktion