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Beitrag vom 30.10.2007
Bernice Eisenstein – Ich war das Kind von Holocaustüberlebenden
Annegret Oehme
Mit comichaften Bildern, ironiedurchsetzten Texten und ehrlichen Bekenntnissen schildert Bernice Eisenstein ihre Kindheit als Tochter Holocaustüberlebender, die 1948 nach Kanada auswanderten.
"Die Erinnerung hat kein Zentrum, ihr Herz schlägt in allen Dingen."
Als Kind weiß Bernice Eisenstein nicht viel von der Geschichte ihrer Eltern, außer dass sie den Holocaust überlebt haben. Diese Tatsache steht wie ein großer Schatten über ihrem Leben. Ausgelöst durch den Eichmannprozess entwickelt sie ein großes Interesse an allem, was mit der Shoah zu tun hat. Sie liest Unmengen von Büchern - André Schwarz-Barts "Der Letzte der Gerechten" gleich dreimal und sieht sich unzählige Filme an. Die Informationen, die ihre Eltern ihr vorenthielten besorgt sie sich nun selbst und findet sich allein in einem riesigen Universum wieder.
Später erkennt sie, dass sie nicht liest, um klare Antworten zu bekommen, sondern um zu verstehen. Bei ihren Eltern stößt sie immer wieder auf eine Mauer des Schweigens, welche schwer auf ihr lastet. "In dem neuen Land angekommen, war meinen Eltern und ihren Freunden nicht bewusst, dass ihre Vergangenheit einen unsichtbaren Schatten über das Leben derer zeichnete, die sie zur Welt brachten. Allein der Schatten weiß es und will davon erzählen."
Bernice Eisensteins Vater Barek wurde 1917 im polnischen Miechow geboren. Als 1940 die Deutschen einmarschierten, musste er gemeinsam mit seinem Bruder Zwangsarbeit in einem Militärstützpunkt verrichten. Der Rest seiner Familie, der im Miechower Ghetto verblieb, wurde ermordet. Die beiden Brüder kamen ins Konzentrationslager Plaszow und Barek schließlich nach Auschwitz, wo er die Befreiung miterlebte. In den letzten chaotischen Tagen des Krieges lernte er dort seine spätere Frau und Bernice Eisensteins Mutter Regina kennen. Diese stammte aus Bedzin, wo sie bis August 1943 im Ghetto lebte, bevor sie ebenfalls nach Auschwitz deportiert wurde.
Drei Jahre nach dem Ende des Naziregimes wandert die kleine Familie, gemeinsam mit den Eltern von Reginas Mutter, ins kanadische Toronto aus.
Dort wurde Bernice Eisenstein geboren. Sie wuchs im jüdischen Mikrokosmos Torontos auf, den sie episodenhaft immer wieder auch in ihrem Buch beschreibt. Bei ihrer Elterngeneration trat die Gemeinschaft an die Stelle der Heimat und Familie, wodurch ein tiefer Zusammenhalt entstand. Ein entscheidendes Bindeglied war Jiddisch, welches nicht nur zu Hause, sondern auch auf gemeinsamen Festen immer wieder gesprochen wurde.
Die Erfahrungen, die Bernice Eisenstein als Kind gemacht hat schildert sie den LeserInnen anhand zweier Ausdrucksmittel: der Sprache und der Bilder. In letzterem ist sie als Zeichnerin und Illustratorin zu Hause aber auch der Sprache bedient sie sich auf sehr feinfühlige Weise.
Zur Autorin: Bernice Eisenstein wurde 1949 in Toronto geboren. Die Zeichnungen und Illustrationen der Künstlerin erschienen in zahlreichen kanadischen Zeitungen und Zeitschriften. Daneben arbeitete sie als freie Lektorin. Im Alter von 6 Jahren wusste sie, dass sie Künstlerin werden wollte, als sie den Film "Lust for Life" sah, und begann daraufhin, zu malen. Sie erhielt sie ihr Examen in englischer Literatur mit Auszeichnung von der York University und lebte anschließend in Israel und England, wo sie mehrere Jahre lang Kunst studierte. Mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie in Toronto. (Quelle: Verlagsinformation)
AVIVA-Tipp: Auf ehrliche und entwaffnende Art und Weise schildert Bernice Eisenstein ihre Kindheit als Tochter und Enkeltochter Überlebender der Shoa. Dabei wirken Bilder und Texte zusammen, um auch das Unaussprechliche zu thematisieren. "Ich war das Kind von Holocaustüberlebenden" ist ein bewegendes biografisches Werk, das keine Antworten gibt, sondern die schwere Last der zweiten Generation thematisiert, deren Eltern und Verwandten Opfer des Nationalsozialismus waren.
Bernice Eisenstein
Ich war das Kind von Holocaustüberlebenden
Originaltitel: I was a Child of Holocaust Survivors.
Aus dem Englischen von Henriette Heise
Zahlreiche Schwarz/Weiß Zeichnungen.
Berlin Verlag, erschienen August 2007
ISBN: 9783827007568
192 Seiten, Gebunden
Preis: 19,90 Euro