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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 05.11.2007


Wa(h)re Lust – erweiterte Neuauflage
Stefanie Denkert

Herausgeber Marcel Feige lässt "Zuhälter, Prostituierte und Freier erzählen". Dabei präsentiert er mit 32 interviewten Menschen einen äußerst umfassenden Einblick ins Milieu.




Prostitution gilt als das "älteste Gewerbe der Welt". Ob im antiken Griechenland, im Mittelalter oder heute, die Stellung von Prostituierten und die Sichtweise auf diese ist unterschiedlich von Kultur zu Kultur und unterliegt dem sozialen Wandel im Laufe der Geschichte. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ließ sich in den westlichen Kulturkreisen jedoch ein Zusammenhang von wirtschaftlicher Notlage der mehrheitlich weiblichen Prostituierten und dem Anbieten sexueller Dienstleistungen nicht von der Hand weisen. In der Nachkriegszeit verschwand angeblich die so genannte Armutsprostitution, und Frauen aus allen sozialen Schichten prostituierten sich. Bis Mitte der 1990er hatten sich verschiedene Formen von Prostitution herausgebildet: Von Straßenstrich-Prostituierten zu "Edel-Nutten", von Callgirl-Ringen zu Bordellen usw.. Mit dem Fall der Mauer, und dann mit der EU-Osterweiterung, veränderte sich das Rotlichtmilieu, wie es sich bis dato in Deutschland etabliert hatte, immens.

Einen weiteren wichtigen Einschnitt stellte 2002 die de facto Legalisierung von Prostitution in Deutschland dar. Als 2003 in der EU über die Legalisierung von Prostitution debattiert wurde, hatte die rot-grüne Bundesregierung diese bereits ein Jahr zuvor beschlossen - und auch Belgien und Österreich setzten sich dafür ein. In den meisten europäischen, z.B. Schweiz und Frankreich, und außereuropäischen Ländern ist Prostitution jedoch illegal und wird häufig als "moderne Sklaverei" bezeichnet. Schweden hatte bereits 1999 einen neuen Weg beschritten, um Prostitution zu bekämpfen. Erstmals wurden die Freier, und nicht die Prostituierten bestraft. Ziel war es, die Frauen zu motivieren, sich andere Beschäftigungen zu suchen, ohne sie auf dem Weg dahin zu kriminalisieren.

In Deutschland trat hingegen 2002 das "Gesetz zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation von Prostituierten" (ProstG) in Kraft, das die staatliche Kontrolle über das Rotlichtmilieu zugunsten der Prostituierten ausbauen sollte. Zum einen wurde Prostitution nun behandelt "wie jeder andere Beruf", zum anderen sollte aber auch der Ausstieg erleichtert werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich dem Staat im lukrativen Sex-Geschäft eine große Einnahmequelle offenbarte, denn der jährliche Umsatz im Prostitutionsgewerbe liegt schätzungsweise bei 380 Mrd. Euro.

Die neue Bundesregierung, genauer gesagt Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), stellte fest, dass das ProstG reformbedürftig sei. Am 24. Januar 2007 erklärte sie in einer Pressekonferenz: "Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere", "Freier von Zwangsprostituierten werden in Zukunft bestraft" (worunter auch zahlreiche Prominente, u.a. Michel Friedman gefallen wären, hätte es das Gesetz schon früher gegeben), und "Der Ausstieg aus der Prostitution ist unser wichtigstes Ziel".

Eine Reform des ProstG muss berücksichtigen, dass es nicht "die Prostituierte" gibt. Frauen, die im Sex-Geschäft tätig sind, sind keine homogene Gruppe. Eines der Probleme des PrsotG ist, dass ca. 90% der ca. 400.000 Prostituierten in Deutschland Ausländerinnen sind – davon die Hälfte Migrantinnen, die nicht vom ProstG erfasst werden. Es ist davon auszugehen, dass eben diese Migrantinnen Opfer von Menschenhändlern sind und nicht freiwillig der Prostitution nachgehen.
Wobei es auch problematisch ist von Freiwilligkeit zu sprechen, wenn Menschen sich aus finanzieller Not heraus prostituieren. Diejenigen, die ihre Lust an Sex mit ihrer Lust am schnell verdienten Geld verbinden – so wie angeblich die Mehrheit der Nachkriegsprostituierten – scheinen heute in der Minderheit. In "Wa(h)re Lust" wird von diesen Frauen wiederholt beklagt, dass das Business härter geworden sei, die "billige" Konkurrenz – vor allem aus dem Osten – das Milieu kaputt mache.

Das Milieu, dazu zählt in "Wa(h)re Lust" nicht nur der Straßenstrich oder das klassische Bordell, sondern auch Striptease-Bars, SM-Studios, Swingerclubs, Gang-Bang-Parties und Cyber-Sex. Zu Wort kommen Tänzerinnen, Web-Girls, Hurenrechtlerinnen, Dominas/Sklavinnen, "Streichlerinnen" (die Sex mit Behinderten anbieten), Freier, Zuhälter, Stricher, Streetworker, Menschenhandelsopfer und noch mehr. Marcel Feige lässt seine 32 Befragten ihre Geschichte frei erzählen, ohne sie zu kommentieren. Jede/r erinnert sich wie er/sie zum Sex-Business kam und auch teilweise, wie sie wieder herauskamen. Was die erzählenden Frauen und Männer erleben, ist häufig ebenso unterschiedlich, wie die Personen selbst. Konsens besteht jedoch darüber, dass im Gewerbe "früher alles besser war". Fest steht auch, dass keine/r aus reinem Spaß am Sex diesen Job ausübt. Frauen, die einfach gerne Sex haben, könnten schließlich auch unbezahltem und einvernehmlichem Sex in Swinger-Clubs nachgehen. Prostitution ist ein Geschäft, bei dem "das schnelle Geld" gemacht wird. Aber mehrheitlich sind es Frauen, die ihren Körper aus einer finanziellen Not heraus anbieten oder weil sie gezwungen werden. In "Wa(h)re Lust" gibt es Frauen, die ihre Sex-Arbeit verabscheuen und solche, die behaupten, Spaß an ihrer Arbeit zu haben. Dazu gehört auch Steffie (23), die sich in Berlin auf Gang Bang-Parties zum bezahlten Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern vor Zuschauern anbietet. Auch ihre wiederholten Beteuerungen, sie liebe ihre Arbeit, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine junge Frau mit ernsten psychischen Problemen handelt. Und damit gehört Steffie zur Mehrheit: laut UN-Studie (zitiert in Alice Schwarzer "Die Antwort", 2007) haben 90% aller Prostituierten Missbrauchserfahrungen, jedoch 25-35 % der Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt.

AVIVA-Tipp: Bei Marcel Feige machen die Befragten einen "Seelenstriptease" und geben intimste Details preis, mit denen er einen objektiven und wirklich lobenswert umfassenden Einblick über die "Wa(h)re Lust" in all ihren Facetten herausgegeben hat. Mit der Zusammenstellung der Kapitel und der Anordnung der Erzählbeiträge scheint er jedoch seine kritische Sicht auf das Gewerbe zu offenbaren. Es wird wohl kein Zufall sein, dass das Buch mit dem Beitrag von Uta Ludwig, Koordinatorin bei Bella Donna e.V. endet: diese beschäftigt sich seit Jahren mit der Aufklärung von Prostituierten, mit Präventionsarbeit und dem Kampf gegen Menschenhandel.

Zum Autor: Marcel Feige (geb. 1971) lebt als Schriftsteller in Berlin. Zu seinen Werken gehören, u.a. das preisgekrönte "Nina Hagen: That´s why the Lady is a punk" (2003) sowie zwei weitere Bücher über das Milieu: "Das Lexikon der Prostitution" (2003) und "Lude! Ein Rotlicht-Leben" (2006).


Marcel Feige
Wa(h)re Lust - Zuhälter, Prostituierte und Freier erzählen

Mitarbeit von Britta Stobbe
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
Erweiterte Neuauflage, erschienen: 1. Okt. 07
320 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-89602-776-4
9,90 Euro

Weitere Infos:
Marcel Feige: www.marcel-feige.de

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Beitrag vom 05.11.2007

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