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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 31.07.2007


Lisa Bassenge im Interview
Silvy P. und Clarissa L.

Die Sängerin ist ein wahres Multitalent. Neben reinen Jazzalben unter dem Namen Lisa Bassenge (Trio), hat sie sich mit der Band Micatone auch in den Clubbereich hineingespielt und veröffentlicht...




...in diesem August das neue Album "Zehn Lieder über Liebe" mit Nylon. AVIVA-Berlin traf die charmante Musikerin in ihrer Altbauwohnung in einem der kreativsten Stadtteile Berlins: Kreuzberg 36.

AVIVA-Berlin: Du bist1974 geboren und hast mit 16 Jahren deine Liebe zur Musik entdeckt. Wie sah das aus?
Lisa Bassenge: Meine Mutter, bei der ich aufgewachsen bin, war zwar selbst keine Musikerin, hat aber viel Musik gehört. Als ich dann in der Pubertät war, hatte ich das Gefühl, ausbrechen zu müssen und bin mit 15 von zu Hause ausgezogen. Das war eine relativ heftige Phase, in der ich die Musik als rettenden Anker, als Lebenshilfe entdeckte. Komischerweise habe ich damals auch schon Jazz gehört. Es gab ein Jugendzentrum mit Übungsräumen, aus dem beispielsweise "Seeed" oder "die Lemonbabies" gekommen sind, und in mir entwickelte sich der Wunsch, Musikerin zu werden.

AVIVA-Berlin: Ist es nicht eher ungewöhnlich für junge Frauen mit 15, 16 Jahren in die Jazzrichtung zu gehen?
Lisa Bassenge: Ich habe nicht nur Jazz gehört sondern immer viele Komponenten. Von meiner Mutter habe ich vielleicht eine Vorliebe für Nat King Cole, Billie Holiday und so etwas geerbt. Sie hatte aber auch Coltrane und Miles Davis, und ich fing dann irgendwann an, sie zu hören. Ich glaube, wir teilen die Liebe zu trauriger und bluesiger Musik. Sie hat mir auch das erste Mal Tom Waits vorgespielt, von dem ich ein totaler Fan bin.
AVIVA-Berlin: Tom Waits hört man nicht aus deiner Musik heraus, dafür aber andere MusikerInnen.
Lisa Bassenge: Ich glaube, man hört wenig Einflüsse in meiner Musik, weil sie doch total anders ist.

AVIVA-Berlin: Dennoch gibt es auf dem letzten Nylon-Album das Stück "Kurze Weile", das stark aus dem Rahmen des Albums fällt und große Ähnlichkeiten mit IDEAL aufweist.
Lisa Bassenge: Der Achtziger-Jahre-Stil war tatsächlich das Konzept des Stücks, und es ist das einzige, das ich nicht selber geschrieben habe.

AVIVA-BERLIN: Zurück zu deinen ersten musikalischen Erfahrungen: wann hast du beschlossen, zur "Hanns Eisler" Musikhochschule zu gehen?
Lisa Bassenge: Ich habe es direkt zur Zeit des Abiturs beschlossen. Allerdings hatte ich ein bisschen Probleme mit der Aufnahmeprüfung, und es hat erst beim zweiten Anlauf geklappt.

AVIVA-Berlin: Braucht man da neben der Stimme nicht auch ein Instrument?
Lisa Bassenge: Ja. Man muss Klavier spielen und ein gutes Gehör haben. Außerdem macht man Tonsatzsachen und lernt, wie man Chorsätze oder anderes aufsetzt.

AVIVA-Berlin: Ist in dieser Zeit auch der Kontakt zu Andreas Schmidt und Paul Kleber entstanden, mit dem du in fast allen deinen Projekten zusammen arbeitest?
Lisa Bassenge: Paul und ich kannten uns schon vor der Hochschule, und er begleitete mich bei meiner Aufnahmeprüfung. Andreas kenne ich sogar noch aus der Schulzeit. Paul hatte das Klassik-Studium für Bass angefangen, und auch Andreas war schon an der HdK.

AVIVA-Berlin: Paul Kleber ist auch eines der Mitglieder von Micatone.
Lisa Bassenge: Micatone ist ein Projekt eines ganz alten Zehlendorfer Freundes von mir, Boris Meinhold. Er spielte Gitarre und wollte dann selbst produzieren. Deswegen kaufte er sich einen Atari, und wir fingen in den Neunzigern mit Elektrokram an. Ich war schon als Sängerin eingeladen und habe dann Paul dazu geholt.

AVIVA-Berlin: Vorher hattest du bereits das Lisa Bassenge Trio gegründet und Ende 2003 Nylon. Was lässt dich so differierende Musik machen, denn die einzelnen Band-Konzepte variieren doch sehr.
Lisa Bassenge: Es ist wichtig für mich, meine ganze Bandbreite auszuschöpfen. Meine nächste Jazzplatte soll eine Soulplatte werden. Ich brauche das, mich auf verschiedenen Spielwiesen zu tummeln. Gerade das mit den deutschen Texten würde sich schwierig in die anderen Projekte eingliedern. Je mehr Platten von mir rauskommen, desto stärker gleicht sich das alles an. Langsam – hoffe ich zumindest – legt sich das dann auf eine Richtung fest, so dass ich dann vielleicht nur noch ein Projekt haben werde.

AVIVA-Berlin: Warum hast du am Anfang für Nylon unter dem Namen Niku Sebastian gesungen?
Lisa Bassenge: Das lag daran, weil zeitgleich mehrere Platten rauskamen, und meine Plattenfirma Angst hatte, dass das eine Projekt total durchstartet und das andere hinten überfällt.


AVIVA-Berlin: Wieso heißt das neue Album "10 Lieder über Liebe", wo doch elf Songs drauf sind?.
Lisa Bassenge: Wir hätten auch sagen können: neun Lieder über Liebe, gegen Krieg und ein Sentimentalstück. Aber wir wollten das einfach pauschalisieren. Denn auch wenn es eher um die Schattenseiten der Liebe geht, handelt es trotzdem von Liebe.

AVIVA-Berlin: Neben eigenen Songs gibt es auch wieder gecoverte Songs. Wonach sucht ihr die aus?
Lisa Bassenge: Wir suchen die hauptsächlich nach den Texten aus. Was dann unterm Strich rauskommt, ist immer Manfred Krug und Hildegard Knef, weil die die besten Texte haben.

AVIVA-Berlin: Was hat es mit dem Carole King Stück auf sich?
Lisa Bassenge: Das hat unser neuer Produzent vorgeschlagen, und ich habe das dann ins Deutsche übersetzt. Bis zum Tag der Pressung war es voll stressig, weil wir nicht wussten, ob Carole King das Cover genehmigen würde.

AVIVA-Berlin: Euer neuer Produzent kommt ja eher aus dem R`n`B und HipHop Bereich.
Lisa Bassenge: Ja, der ist total gut für uns gewesen, weil er uns aus der Elektroecke herausgeholt hat. Durch das neue Konzept ist viel Wärme entstanden, und die Samples, die wir benutzen sind aus den sechziger und siebziger Jahren. Das klingt komplett anders, als die früheren Alben, und es ist sehr ruhig geworden.

AVIVA-Berlin: Deine älteste Tochter ist vier Jahre alt, und vor neun Monaten wurde dein zweites Kind geboren. Inwiefern wirkt sich das auf deine musikalische Arbeit und deine Konzertreisen aus?
Lisa Bassenge: Ich nehme die Kinder durchaus mit auf Konzertreise. Oder sie sind beim Vater und bei der Großmutter. Es ist allerdings sehr schwierig mit Kindern, weil das schlechte Gewissen von berufstätigen Müttern stark ausgeprägt ist. Aber meine Arbeit ist mir sehr wichtig, weswegen ich immer nach Möglichkeiten suche, beides miteinander zu verbinden. Ich habe allerdings mit beiden Kindern tierisch viel Glück gehabt, denn sie sind extrem pflegeleicht. Klar bedeutet das auch Stress, aber Kinder entschädigen einen für so vieles. Auf Tour kommt auch eine super-gute Freundin von mir mit, die sich ebenfalls um das Kind kümmert. Beispielsweise nachts, wenn ich nicht mehr kann. Sie ist auch die Babysitterin von Judith Holofernes [Sängerin von "Wir Sind Helden"].

AVIVA-Berlin: Kürzlich ist das Buch "Wir sind jetzt! Frontfrauen im deutschen Pop" erschienen. Der Autor resümiert darin, dass in der deutschen Popmusik Frauen unterrepräsentiert sind. Woran liegt das deiner Meinung?
Lisa Bassenge: Ich denke, dass das an der anderen Erziehung von Mädchen liegt. Dieses wirklich "Wild sein", das man in der Rock oder Popmusik braucht, bekommen Frauen ganz früh aberzogen, oder aber sie werden als hysterisch abgestempelt, wenn sie auf der Bühne ausflippen. Manche Männer glauben, dass Frauen gar keine Musik machen können, und man muss ganz viele solcher komischen Anfeindungen überwinden.

AVIVA-Berlin: Die Konsumenten des Musikmarktes - egal ob Frauen oder Männer – zielen letztendlich in die gleiche Richtung, indem sie hauptsächlich Musik von Männern hören, oder aber von Bands, in denen Männer die Instrumente spielen, und Frauen für das Singen zuständig sind.
Lisa Bassenge: Ja, und dabei ist das Aussehen auch wahnsinnig wichtig. Wenn du als Frau nicht super attraktiv bist, dann wird es einfach schwierig im Musikbusiness. Trotzdem glaube ich, dass da eine Entwicklung stattfindet. Beispielsweise hat Annette Humpe in den Achtzigern sowohl die Texte als auch die Musik selbst geschrieben. Oder heutzutage Judith Holofernes, die für mich der strahlende Stern am Himmel ist, weil sie einfach total geniale Texte schreibt und Gitarre spielt. Mittlerweile gibt es immer mehr Frauen, die sich das auch trauen.

AVIVA-Berlin: Du hast bei einem Else Lasker-Schüler Projekt mit gearbeitet. Wie steht es denn mit deiner Affinität zur Literatur?
Lisa Bassenge: Literatur ist meine zweite große Leidenschaft. Oder eigentlich mehr die erste. Ich schreibe auch einen Blog im Internet für Jazzthing. Selbst zu schreiben war immer mein größter Traum, aber ich traue mir das nicht wirklich zu. Das Else Lasker-Schüler Projekt war nur fürs Radio, aber ich arbeite jetzt im August noch mal mit der WDR Bigband zusammen, mit Musik von Kurt Weil und Udo Lindenberg. In der Big Band ist übrigens auch nur eine Frau, eine Saxophonistin.

AVIVA-Berlin: Hast du einen Lieblingsautor oder Autorin? Findest du überhaupt Zeit fürs Lesen?
Lisa Bassenge: Ich muss immer lesen, auch wenn ich erst nachts um drei ins Bett gehe. Gerade habe ich Ralf Rothmann entdeckt und zur Zeit wieder einmal Madame Bovary, die ich das letzte Mal mit 17 gelesen habe. Ich finde es total irre, wenn man Klassiker neu entdeckt, die man früher schon mal gelesen hat. In meiner jetzigen Lebenssituation wirkt das ganz anders als damals.

AVIVA-Berlin: Du bist in Berlin geboren und lebst immer noch hier. Glaubst du, dass Berlin in Bezug auf den Musikbereich, die geeignetste Stadt in Deutschland ist, um sich am besten auszuprobieren?
Lisa Bassenge: Ich glaube, marktmäßig ist eh alles am Ende. Das ist so, dass man CDs rausbringt, die kaum etwas einbringen. Wenn man Musik macht, muss man in Kauf nehmen, dass man damit nicht reich wird. Berlin ist aber insofern gut, weil man hier billig wohnen kann, und viele Gleichgesinnte um sich hat. In Mannheim zum Beispiel, gibt es auch eine fette Musikszene, aber es ist trotzdem nicht so locker.

AVIVA-Berlin: Möchtest du unseren LeserInnen noch etwas sagen?
Lisa Bassenge: Mehr Frauen in das Musikgeschäft!

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Lisa Bassenge im Netz: www.lisa-bassenge.de
Nylon im Netz: www.nylonmusic.de


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Beitrag vom 31.07.2007

AVIVA-Redaktion