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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 06.11.2007


Helen Schneider im Interview
Sharon Adler, Silvy Pommerenke

Die Wahlberlinerin hat im Frühjahr ihre neue CD "Like a woman" herausgebracht und gastierte im Oktober 2007 in der Bar jeder Vernunft mit dem Programm "A voice and a piano", für das sie...




...frenetischen Beifall erhielt. AVIVA-Berlin traf das amerikanische Allroundtalent, um über ihren musikalischen Werdegang und über ihre Zukunftspläne zu reden.

AVIVA-Berlin: Du warst noch ein Teenager, als Du versucht hast, Dich im Musikbusiness zu etablieren. Hast Du damals ausschließlich gesungen, oder hast Du auch Klavier gespielt?
Helen Schneider: Ich bin als Pianistin ausgebildet, und nach einem katastrophalen Vorspiel für einen Chor erhielt ich auch eine Ausbildung als Sängerin. Ich habe damals den Mann gezwungen, mich anzuhören, obwohl er eigentlich keine Pianistin mehr brauchte. Aber ich war jung, arrogant, stur und hartnäckig. Also hat er mir zugehört und wieder gesagt, dass er niemanden braucht. Ich fing dann an wie eine Idiotin zu weinen, und er hat mich gefragt, ob ich nicht singen könnte. Dieser Mann war mein George! So begann unsere Beziehung, aber noch nicht in dem Sinne, dass wir ein Paar wurden, das kam erst ein bisschen später. Zu diesem Zeitpunkt war ich fast 15.

AVIVA-Berlin: Das heißt, er kommt aus dem klassischen Bereich?
Helen Schneider: Ja, er ist klassischer Musiker und Stimmlehrer. Es ist billiger, den Stimmlehrer zu lieben...

AVIVA-Berlin: Du hast großväterlicherseits deutsche Wurzeln. War das der Auslöser Dir hier in Deutschland eine Karriere aufzubauen?
Helen Schneider: Mein Großvater ist sehr früh gestorben, als mein Vater erst neun Jahre alt war. Ich bin im Prinzip also in vierter Generation New Yorkerin, der Rest meiner Familie stammt aus Russland, die mit der ersten großen Welle 1810 nach Amerika emigrierte. Aufgewachsen bin ich in einer orthodoxen jüdischen Familie und besuchte die hebrew school, aber ich sehe mich heute nicht als Jüdin, sondern eher als spirituell fühlender Mensch. Unsere Eltern wollten uns keine deutsche Kultur vermitteln, sie sahen sich als Amerikaner. Es ist purer Zufall, dass ich hier nach Deutschland gekommen bin.

AVIVA-Berlin: Wie sah dieser Zufall aus?
Helen Schneider: Ein Produzent, er hieß Richard Kröger, hatte eine regionale Fernsehshow in Saarbrücken. Er hörte meine allererste LP, war sehr begeistert davon und lud mich in seine Show ein. Das war meine erste Reise nach Europa. In dieser Show haben mich dann Alfred Bioleks Leute gesehen, und so ging es weiter.
Außerdem hatte ich in Amerika mit einem sehr mächtigen Manager enorme Schwierigkeiten. Das Resultat war, dass ich meine Karriere hier in Deutschland verfolgt habe, weil ich in USA nicht mehr arbeiten konnte.

AVIVA-Berlin: Wie kam Biolek ausgerechnet darauf, Dich das "Heidenröslein" von Goethe interpretieren zu lassen?
Helen Schneider: In dieser Zeit habe ich "middle of the road" gesungen, wie wir in den USA sagen. Das war richtiger Mainstream-Balladen-Pop und noch kein Rock, wie ich ihn etwas später gemacht habe. Für Alfred verkörperte ich also einen ganz anderen Stil, so dass es für ihn keine Schwierigkeiten gab, mich das "Heidenröslein" interpretieren zu lassen.
Allerdings kannte ich das Lied nicht und hatte noch nie ein Wort Deutsch gesprochen. Aber er wollte unbedingt, dass ich das singe. Ich war frisch, jung und voller Glauben an mich selbst, und endlich habe ich gesagt: "Ok, I do it!"
Dann kam der Erfolg, aber auch ein paar Krisen. Vor allem eine besondere in der Mitte meiner Karriere, in der ich nicht mehr wusste, warum ich in meinem Beruf weitergehen sollte. Ich dachte, als Musikerin hilft man niemandem direkt, wie als Arzt, Wissenschaftler oder Feuerwehrmann. Mit diesem Gefühl der tiefen Melancholie ging ich aufs Land, und ich saß in einem riesigen Feld mit wilden Veilchen. Ich fand sie wunderschön, wie sie sich im Wind bewegten, und in diesem Moment dachte ich, dass ich eines dieser ganz kleinen, einfachen, Veilchen bin. Das hat mir eine große Ruhe gegeben, und so habe ich mit der Musik weitergemacht.
Außerdem fragte mein George, als ich ihm von meinen Zweifeln erzählte: "Ok, Darling, was willst du dann tun?" Darauf fiel mir nichts ein, und ich machte als Musikerin weiter.

AVIVA-Berlin: Neben Deinen Pop-Balladen hast Du Rock`n`Roll gemacht, hast auch als Schauspielerin gearbeitet und bist später in das Musical eingestiegen. Auf Deinem Programm "A voice and a piano" vereinst Du alle Qualitäten und gibst eine musikalisch-kabarettistische Lebensrückschau. Allerdings ist dies ein altes Programm von Dir, warum trittst Du damit wieder auf?
Helen Schneider: Lutz Deisinger hat mich eingeladen "A voice and a piano" in der Bar jeder Vernunft zu machen. Er hatte ein Video gesehen, das 3SAT gemacht hat. Davon war er sehr begeistert und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, die Show wieder auf die Bühne zu bringen. Ich konnte keinen Grund finden, nein zu sagen. Mit dem Programm war ich schon vor sechs Jahren unterwegs. Es ist eine Show, die immer wieder auftaucht, sie ist autobiographisch und somit zeitlos für mich. Ich nenne das Kammerrock, "it´s chamber rock!": Klein besetzt, intim. Man kann das nicht Pop nennen, man kann das nicht Rock nennen, und es ist auch kein Theater – also ist es Kammerrock.

AVIVA-Berlin: Während Deines Programms in der Bar jeder Vernunft trägst Du diverse Klappstühle von der Bühne und wirfst sie achtlos und laut scheppernd durch die Gegend. Hat das keinen Ärger mit dem Veranstalter gegeben?
Helen Schneider: Nein, denn das gehört zum Stück. In der Bar ist es einerseits schön, andererseits schade, dass die Säulen dort überall stehen, denn dadurch hat es weniger Fläche, als ich für dieses Spiel brauche. Aber das gehört irgendwie auch wieder zum Stück, denn es ist 40 % improvisiert und 40% ist geschrieben. Normalerweise spiele ich mit zwanzig Stühlen, und das Klavier ist nirgendwo zu finden. Bruce und ich schleppen dann das Klavier auf die Bühne raus, die Stühle fliegen überall herum, somit ist komplettes Chaos auf der Bühne, und ich fange dann an, alles wegzuräumen. Man muss flexibel sein im Leben, sonst funktioniert nichts.

AVIVA-Berlin: Du hast als Zugabe bei dem Programm "A voice and a piano" einen Song des Färöer Singer-Song-Writers Teitur gesungen. Wie bist Du auf dieses Lied gestoßen?
Helen Schneider: Ja, das war "All my mistakes", was Teitur auf seiner aktuellen CD aufgenommen hat. Jemand hat mir den Song vorgespielt, und ich fand ihn so super! Der Text ist so - I don`t know - er spricht für mein Alter, drückt alles aus, was ich sagen möchte. Ich habe für meine CD nach solchen Texten gesucht, und jedes einzelne Lied hat mit mir zu tun. Diese Lieder waren für mich wie maßgeschneiderte Kleider. Gleichzeitig finde ich, dass die Songs sehr universal sind.

AVIVA-Berlin: Bedeutet das, dass Literatur eine große Rolle für dich spielt?
Helen Schneider: Ja, denn mein erster Schritt geht immer über den Text, erst der zweite Schritt ist die Melodie. Weil man an einer Melodie immer arbeiten kann. Man kann ganz viel tun mit einer Melodie, genauso wie im Jazz. Aber wenn ein Text nichts in meinem Kopf macht, oder er überhaupt nichts mit mir zu tun, dann bin ich komplett verloren. Ein Lied lebt für mich durch den Text.

AVIVA-Berlin: Kannst Du andere Leute gut von einer Vision überzeugen? Wenn Du eine Idee hast, die Du auf der Bühne realisieren willst, wie schaffst Du es dann, die anderen dafür zu gewinnen?
Helen Schneider: Ich habe um mich herum Leute mit Visionen, die mir dann versuchen zu sagen, wie das zu verwirklichen ist. Manchmal habe ich allerdings Ideen, und sitze trotzdem 24 Stunden später vor den Leuten und sage: Das geht nicht! Es ist die falsche Jahreszeit, oder ich bin der falsche Typ, und, und, und.

AVIVA-Berlin: Trotz dieser Zweifel hast Du es aber weit gebracht!
Helen Schneider: Habe ich es weit gebracht? Ich habe die Tendenz, ein Team um mich herum aufzubauen, das sehr komplementär zu mir ist, und ich schätze diese Beziehungen sehr. Ohne meinen Kreis oder einen neuen Kreis – so wie das sein sollte – geht es nicht. Ich bin ein Teamplayer und sehr happy mit ihnen zu arbeiten, denn ich habe oft andere Ideen im Kopf. Andere Künstlerinnen brauchen das überhaupt nicht, aber ich brauche ein Team. Ich funktioniere so viel besser.

AVIVA-Berlin: Ist dieses Team auch ein bisschen wie eine Familie?
Helen Schneider: Ja, teilweise. Ich bin mit demselben Mann 37 Jahre zusammen, das hilft. Und unsere Beziehung geht in ganz viele verschiedene Richtungen. Er ist mein größter Fan und mein größter Kritiker. Da gibt es aber auch andere Leute – teilweise neu, teilweise alt – deren Meinung ich schätze. Ohne die wüsste ich nicht, wie ich funktionieren sollte.

AVIVA-Berlin: Wahrscheinlich braucht man als Künstlerin auch den Austausch und die Reflektionsfläche anderer Menschen.
Helen Schneider: Unbedingt! Wie ich gesagt habe, kenne ich andere, die brauchen kein Team, aber ich doch. Und das war von Anfang an so. Ich bin aufgewachsen in einer Bandsituation, denn ich habe ja früher in einer Rock`n`Roll-Blues-Band gespielt. Da waren immer viele Leute um mich, und ich habe gelernt, was es heißt, einen Kreis aufzubauen.

AVIVA-Berlin: Du bist vor zwei Jahren mit einem Programm getourt das "Like a woman" hieß und hast in diesem Frühjahr eine CD mit dem gleichnamigen Titel herausgebracht. Sind das damalige Programm und die neue CD identisch?
Helen Schneider: Nein, das ist ein bisschen kompliziert. Ich war vor ein paar Jahren auf einer Tour mit meinem Trio, und der Veranstalter nannte es "Just like a woman". Aber der Song war dann das Grundstück für die aktuelle CD, und darauf haben wir das Material aufgebaut. Es ist ein anderes Programm, und wir werden hoffentlich die CD mit anderem Material im Frühling und Sommer nächsten Jahres auf Tournee bringen.

AVIVA-Berlin: Auf die Tournee sind wir schon sehr gespannt und bedanken uns für das Interview!


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Beitrag vom 06.11.2007

AVIVA-Redaktion