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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.08.2007


Jetzt treiben wir dahin - Terézia Mora im Interview
Constanze Geißler

Ihr Roman "Alle Tage" aus 2004 fand große Beachtung. Doch womit beschäftigte sich Terézia Mora in der Zwischenzeit? Und wie denkt sie heute über ihre Arbeit als Schriftstellerin? Lesen Sie selbst.




AVIVA-Berlin: Sie haben den Roman "Meines Helden Platz" des ungarischen Schriftstellers Lajos Parti Nagy übersetzt, der im Oktober 2007 erscheinen wird. Bekannt sind Sie auch als Übersetzerin des opus magnum "Harmonia Caelestis" von Péter Esterházys geworden. Was hat Sie zum Beruf der Übersetzerin geführt?
Terézia Mora:
Literarisches Übersetzen spielte von Anfang an - also schon während des Hungarologie-Studiums - eine Rolle. Damals hieß es aber noch: ihr, Studenten, braucht gar nicht erst zu versuchen, das als Profession zu betreiben, es gibt zu viele Übersetzer aus dem Ungarischen. Hintergrund: wenn man in der DDR "Sprachmittler" studieren wollte, wurden einem die Sprachen zugewiesen(!), deswegen gab es in der DDR mehr Ungarisch-Sprachmittler, als es diese auf freiwilliger Basis gegeben hätte. Wie auch immer. Schlussendlich bin ich im Vorfeld des Gastauftritts Ungarns auf der Frankfurter Buchmesse dazu gekommen, zu übersetzen. Nicht ich habe danach gefragt, man fragte mich, und zwar, weil ich inzwischen Schriftstellerin war. Wenn man Schriftstellerin ist, geht man davon aus, dass man übersetzen kann (Artikel schreiben etc.). Natürlich kann man es keineswegs besser als schon zuvor - Schwamm drüber... Zunächst wollte ich keine ganzen Bücher übersetzen, weil ich sehr viel Zeit für die eigenen Texte brauche. Doch dann sagte ich "Harmonia caelestis" zu. Ich habe mich unterwegs oft geärgert, schließlich hat es mich summa summarum 18 Monate gekostet - doch als ich fertig war und zu "Alle Tage" zurückkehrte, sah ich deutlich, dass mir diese Übersetzung eine Menge gebracht hat. Es hat mir nicht Zeit geraubt, sondern Zeit gebracht. Von der Ermutigung, selbst nichts weniger als das Bestmögliche zu versuchen, ganz zu schweigen.

AVIVA-Berlin: Sie beherrschen Sprache virtuos! Das hat Ihr Roman "Alle Tage" (2004) bewiesen. Ein Faible für Ironie, eine unglaubliche Lebendigkeit und sprachliche Präsenz - so lässt sich das Buch knapp charakterisieren. Sind Sie ein "Sprachgenie"?
Terézia Mora:
Ich könnte sowohl mit Ja als auch mit Nein antworten - unter beidem könnte man sich nicht wirklich etwas vorstellen. Sagen wir es so: Ich habe ein gewisses Sprachgefühl. Dieses kommt mir zum einen beim Übersetzen und zum anderen beim Schreiben zugute. Es ist Quelle der - bislang - größten Freuden in meinem Leben, aber auch der Grund dafür, wieso ich mich in manchen Situationen, wie dem Hören(müssen) von deutschen Liedtexten, Reden oder dem Lesen mancher Artikel oder Bücher in Qualen winde.

AVIVA-Berlin: Doch das Thema Ihres Romans "Alle Tage" ist ein ernstes. Das Buch handelt von Heimatlosigkeit, von den Folgen des Krieges in Ex-Jugoslawien, von existenzieller Unsicherheit. Was glauben Sie, bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema gefunden zu haben?
Terézia Mora:
Diese Themen sind universell, existenziell - dass wir (Menschen, Künstler) uns immer und immer wieder mit ihnen beschäftigen, versteht sich von selbst. Ich habe mich nach "Seltsame Materie" (1999) umgeschaut und mich gefragt: was hat dich in den letzten Jahren am meisten beschäftigt, umgetrieben, aufgeregt? Über diesen Komplex, den man nicht in einem Satz beschreiben kann und auch nicht mit den oben erwähnten drei Begriffen, habe ich versucht, mich so komplex wie nötig und so einfach wie möglich zu äußern. Ich habe versucht, "alles" zu sagen, was ich über "Abel Nema and environs" den Drang hatte, zu sagen, und ich wollte es mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln tun. [Anmerkung der Redaktion: Abel Nema ist der Protagonist des Romans "Alle Tage".] Das ist natürlich so zu verstehen: mit allen, die in diesem Zusammenhang, für dieses Projekt, sinnvoll waren. Alles in allem, scheint mir im Nachhinein, wollte ich meinen Frieden finden bezüglich dieses gewaltvollen Erlebnisses: "die Staaten, die uns festhielten mit eiserner Hand, haben uns hinausgespuckt in die Welt, jetzt treiben wir dahin".

AVIVA-Berlin: Sie sind im ungarischen Sopron, einer kleinen Grenzstadt zu Österreich, geboren. Deutsch ist Ihre Muttersprache, weil Sie in einer deutschsprachigen Familie aufgewachsen sind. Erleben Sie es als Vorteil zwei Kulturen anzugehören - der deutschen und der ungarischen?
Terézia Mora:
Absolut. Die deutsche und ungarische Kultur sind sich zudem so nah, dass es zu Gefühlen von Zerrissenheit nicht kommen muss - es sei denn, man legt es darauf an. Aber ich lege es nicht darauf an. Ich lege es auf Synthese an, ich richte meinen Blick dorthin, wo Unterschiede einander dienlich sind. Ich habe das Gefühl, in einem großen Reichtum zu schwelgen, und zwar, zu meinem Glück, so, dass mich keine Sehnsüchte nach noch anderen Reichtümern quälen.

AVIVA-Berlin: Was ist Ihnen aus Sopron besonders in Erinnerung geblieben?
Terézia Mora:
Der mittägliche Gang durch die mittelalterliche Innenstadt - wo sich die Ringstraßen zwar nicht "wie Zwiebelhäute um einander legten, um sich schließlich am Hauptplatz zu treffen", sondern strahlenförmig auf diesen zuliefen - von meinem Gymnasium zur Mensa. Je nach Zeit und Laune auch mal "über den Salzmarkt durch das vordere Tor auf den kleinen Ring". Sowie später in die andere Richtung, zum Bahnhof. Also im Grunde die Spaziergänge von Abel und Ilia.

AVIVA-Berlin: Für Ihren Roman "Alle Tage" haben Sie den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten, für Ihren ersten Erzählband "Seltsame Materie" (1999) den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Aufzählung der Auszeichnungen ließe sich fortsetzen. Was bedeuten all die Preise für Sie und für Ihre Arbeit? Sind Sie mitunter auch selbst als Jury-Mitglied aktiv?
Terézia Mora:
Preise sind gut. Sie machen Werbung für das Buch, und sie bringen Geld - d.h. mehr Schreibzeit. Genau das ist auch ihre Funktion.
Mitunter bin ich auch als Jury-Mitglied aktiv, aber ich bereue es jedes Mal. Es ist eine Heidenarbeit, und die Diskussionen sind immer frustrierend. Lieber lebe ich 5 Jahre lang wie ein Eremit, ernähre mich von Sauerampferblättern und Trockenbrot und schreibe mir die Finger wund.

AVIVA-Berlin: Sie haben ein vielseitiges Talent. Sie sind Drehbuchautorin, haben ein Hörspiel verfasst und mehrere Theaterstücke geschrieben. Welches Projekt wollen Sie unbedingt noch verwirklichen?
Terézia Mora:
Ich habe ein Theaterstück geschrieben. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder eins schreiben werde. Im Grunde interessiere ich mich ausschließlich für fiktionale Prosa. Da ich sehr langsam arbeite, schätze ich, dass ich im Laufe meines Lebens noch die Chance auf ca. 7 bis max. ein Dutzend Bücher habe. Das ist nicht viel. Ich könnte auch nicht behaupten, ich wollte wenigstens davon so viel wie möglich verwirklichen. Ich hoffe, gute Bücher zu schreiben. Eventuell immer bessere. Aber ich weiß nicht, ob das möglich ist. Ich versuche es jeden Tag und warte auf die Gnade.

AVIVA-Berlin: Sie leben seit 1990 in Berlin. Ist Ungarn Ihre Heimat geblieben?
Terézia Mora:
"Wie ich lebe, ist meine Heimat", um mit Zsófia Balla zu sprechen. Ich definiere Heimat nicht als einen Ort, sondern als eine Lebensweise. Ungarn, ebenso wie Deutschland bleibt immer eine "Sache", mit der ich zu tun haben werde, das lässt sich nicht vermeiden. "Man kann vielleicht den Glauben verlieren, aber nicht die Herkunft", um mich selbst zu zitieren. Meine Einstellung dazu ist weitgehend entspannt. Es ist, wie es ist. Ich komme aus Ungarn, und nun lebe ich in Berlin, weil ich es will und kann.

AVIVA-Berlin: Was gefällt Ihnen an der Stadt Berlin?
Terézia Mora:
Das Leben hier strengt mich so minimal an, wie sonst nirgendwo. Ich weiß nicht, ob das wirklich an der Stadt liegt, ob sie wirklich eine "entspannte" Stadt ist, oder ob es einfach so ist, dass wir zu einander passen. Wir sind beide sowohl Ost als auch West, beide etwas proletarisch und etwas spinnert, nicht besondern "fein". Wir sind nicht schön oder gemütlich, und wir sind auch nicht "cool" - das ist ein Missverständnis jener (Außenstehender), denen Coolness offenbar zu viel bedeutet. Dass die Stadt "offen" ist, würde ich sagen. Ja, sie ist offen. Open minded. Was im Übrigen wieder das Gegenteil von cool ist.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Möchten Sie noch mehr über Terézia Mora erfahren? Dann lesen Sie die Rezension zu "Alle Tage".


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Beitrag vom 27.08.2007

AVIVA-Redaktion