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Beitrag vom 24.08.2012
Interview mit Sigrid Grajek
Maria Mikityla
Ein Gespräch über die berühmteste Berliner Kabarettistin der 20er Jahre. Mit ihrem Programm "Claire Waldoff: Ich will aber gerade vom Leben singen..." reist Sigrid Grajek durch die Bundesrepublik.
AVIVA-Berlin: Du hast das Bühnenprogramm für den Claire Waldoff-Abend komplett selbst geschrieben, wie lange hast Du dafür gebraucht, und wie hast Du für den umfangreichen biografischen Anteil recherchiert?
Sigrid Grajek: Ja, das hat einige Zeit in Anspruch genommen. Zunächst musste ich mich erstmal in die Figur einleben und mich selbst fragen, wie ich den Abend überhaupt gestalten, was ich erzählen will. Natürlich ist es toll für so ein Programm, wenn man die Figur, die man vorstellt auch selber spielt, aber gewisse Zweifel sind auch damit verbunden. Diese großartige Frau darzustellen ist eine ziemliche Herausforderung für mich gewesen. Natürlich zweifelte ich zwischendurch ob ich mir das erlauben kann. Ob es nicht anmaßend ist, tatsächlich in ihre Rolle zu schlüpfen. Aber schließlich habe ich mich dazu entschieden. Während meiner Recherche habe ihre Memoiren gelesen, und die Biografien, die über sie verfasst wurden und habe ich mich immer intensiver ihrer Persönlichkeit angenähert. Ich habe mir ein komplettes Jahr Zeit genommen um das Programm zu perfektionieren und so lange daran herum zu formen bis es saß.
AVIVA-Berlin: Wie bist du ausgerechnet auf Claire Waldoff gekommen?
Sigrid Grajek: Als mein damaliger Chef im Berliner Brett´l mich an das Kabarett heranführte, sagte er: "Du brauchst unbedingt ein Soloprogramm!" Und als ich mir dann überlegte wer da als Figur in Frage käme war das eigentlich schon optisch klar. Ich habe als Schauspielerin wirklich versucht weiblich zu sein, habe mir die Haare lang wachsen lassen und so weiter. Das war aber alles nicht ich. Und da bin ich eigentlich schon auf Claires Wegen gewandelt. Sie hat ja als sie mit dem Theater anfing auch immer versucht möglichst weiblich zu sein. Oder zumindest dem gesellschaftlichen Anspruch an eine Frau zu genügen. Bis sie es einfach irgendwann sein ließ und sich so auf die Bühne stellte, wie sie war. Und dieses Burschikose hat sie sich bewahrt. Das hat sie zum Original gemacht. Und so ist sie das Vorbild für viele die danach gekommen sind. Zum Beispiel Marlene Dietrich, mit der sie ja auch sehr häufig auf der Bühne stand und der sie einiges beibrachte. Natürlich kennen alle das Bild von Marlene in Anzug und Krawatte. Dass in Wirklichkeit aber Claire das Vorbild gewesen ist, weiß heute kaum noch jemand. Das finde ich spannend an der Figur. Sie ist völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten.
AVIVA-Berlin: Du hast im Programm darüber gesprochen, dass viele ihrer Freunde und Texter von den Nazis verschleppt wurden. War Claire Waldoff während dieser Zeit im Widerstand aktiv?
Sigrid Grajek: Sie war nicht in einer Partei organisiert. Allerdings hat Claire ihren Freunden und Bekannten, ständig Geld geschickt, wenn sie selbst welches hatte. Sie hat finanziell viel zur Fluchthilfe anderer beigetragen. Und war nicht nur deshalb den Nazis ein Dorn im Auge. Natürlich entsprach sie mit ihren Liedern, ihrem Erscheinungsbild und darüber hinaus offen lesbisch lebend überhaupt nicht dem Idealbild der deutschen Frau. Besonders Goebbels war sie ein Dorn im Auge. Mehrmals wurde ihr ein Auftrittsverbot angedroht. Nachdem sie 1933 vor der kommunistischen "Roten Hilfe" aufgetreten war, durfte sie dann tatsächlich nicht mehr auf die Bühne. Deshalb musste sie schließlich in die Reichskulturkammer eintreten. Doch 1936 verbot ihr Goebbels dann, in der Berliner Scala zu spielen. Von da an ging ihre Karriere bergab. Die Engagements wurden immer weniger. Aber sie war natürlich ein Original. Ihre Lieder wurden auf der Straße gesungen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Zu ihrem Lied "Hermann heeßta" wurde eine zusätzliche Strophe über Hermann Göring gedichtet. "Rechts Lametta, Links Lametta und der Bauch wird imma fetta und in Preußen issa Meesta, Hermann heeßta". Das war für die Parteispitze natürlich weniger gute Werbung. Allerdings konnte man sie nicht so einfach absägen. Dafür war sie glücklicherweise viel zu bekannt. Aber Drohungen gab es einige. Zum Beispiel erschien eine Ausgabe einer tschechischen Tageszeitung, auf deren Titel stand, dass Claire Waldoff von den Nazis inhaftiert und im Gefängnis Selbstmord beging. Das war ganz klar ein Warnschuss.
AVIVA-Berlin: Was berührt Dich am meisten an Claire Waldoff und welche besonderen Erfahrungen hast Du mit dem Programm gemacht?
Sigrid Grajek: An Claire ist besonders faszinierend, dass sie sich nicht verstellt hat. Sie hat es immer geschafft, ihre Aussagen so zu treffen, wie sie sie meinte. Wenn sie wegen der Zensur nicht im Anzug und Krawatte auftreten durfte, dann hat sie als Kompromiss eben einen Stiftrock angezogen. Die Aussage blieb die gleiche. Oder die brisante Tatsache, dass sie ein Loblied auf Frauenbeine sang. Das entschärfte sie einfach, indem sie in die Rolle eines Schuhputzjungen schlüpfte. Damit konnte sie die Zensur geschickt umgehen. Claire war ein Berliner Original, ihre Beliebtheit in allen Kreisen ist beachtlich. Mit Tucholsky war sie befreundet, mit Heinrich Zille zog sie durch die Kneipen und mit ihrer Freundin Olly war sie eine angesehene Szenegröße im Berlin der 20er Jahre. Sie hatte eine unheimlich große Bandbreite an Publikum, weil sie mit ihren Liedern sowohl die Fabrikbesitzer als auch die Fabrikarbeiter ansprach. Das erreichte sie eben dadurch, dass sie "vom Leben singen" wollte. Deshalb habe ich auch diesen Satz von ihr als Titel für den Abend ausgewählt.
Die Leute, die Claire live erlebt haben, sterben aus. Es gibt noch ein paar, die Kinder waren als sie sie gesehen haben. Und wenn sie von dem Erlebnis erzählen, bin ich immer überwältigt von der Begeisterungswelle, die auch nach 7 Jahrzehnten davon ausgelöst wird. Die alten Leute strahlen aus allen Knopflöchern, wenn sich von Claire berichten. Diese Frau muss eine so außerordentliche Persönlichkeit gewesen sein, den Menschen so viel Freude bereitet haben und über eine unglaublich positive Kraft verfügt haben, daß es einfach ein sehr großer Verlust wäre, diesen Menschen der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Die Lieder, die sie gesungen hat, sind teilweise auch heute noch von einer Aktualität, daß man nicht glauben mag, daß sie 100 Jahre alt sind.
Sigrid Grajek, Jahrgang 1963, studierte Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie und machte schließlich eine Schauspielausbildung. Bis 1991 arbeitete sie als Schauspielerin und Regieassistentin in der Theatermanufaktur Berlin. Nach der Arbeit als Regieassistenz bei den Jedermann-Festspielen konzentrierte sie sich aufs Schauspiel. Sie spielte in der freien Szene, im Stadttheater Bremerhaven und war von 1995 bis 2011 Ensemblemitglied des Kabaretts Berliner Brett´l. Darüber hinaus tritt sie als Comedy-Figur Coco Lorès als Moderatorin und mit ihrem Solo-Programm "Cocooning" auf.
Zum 50. Todestag von Claire Waldoff 2007 stellte sie das Programm "Claire Waldoff: Ich will aber gerade vom Leben singen..." fertig. Seitdem gastiert sie deutschlandweit damit.
Mehr Infos unter: www.sigridgrajek.de
Fotos von Sigrid Grajek: Martina Puchalla