33 Szenen aus dem Leben - Julia Jentsch im Interview - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 13.11.2008


33 Szenen aus dem Leben - Julia Jentsch im Interview
Henriette Jankow

In der deutsch-polnischen Koproduktion von Malgosia Szumowska spielt sie ihre erste Hauptrolle seit "Sophie Scholl". AVIVA-Berlin sprach mit ihr über ihre Rolle, den Film und die Kunst an sich.




Zu Beginn ihrer Karriere konnte sie nicht viel mit Interviews anfangen. Sie fragte sich, warum sie ihre Rolle noch erklären müsse. Reiche es denn nicht, dass sie sie spiele? Spielen, das kann sie. Mit ihrer Interpretation der "Sophie Scholl" hat sie es unter Beweis gestellt und wurde dafür gerühmt. Aus aller Welt bot man ihr Rollen an, viele von ihnen kamen nie zu Stande. "33 Szenen aus dem Leben" ist eine deutsch-polnische Koproduktion und nach Jiri Menzels "Ich habe den englischen König bedient" ihr zweiter internationaler Film. Dass sie seit "Sophie Scholl" auch über die Grenzen Deutschlands hinaus gehandelt wird, lässt sie sich nicht zu Kopf steigen. Sie wirkt bodenständig, eher zurückhaltend als offensiv und vor allem natürlich. Ihr war das Spielen – auf der Bühne und vor der Kamera - stets wichtiger als die Aufregung um ihre eigene Person.
In ihrem neuen Film "33 Szenen aus dem Leben" spielt sie die junge Künstlerin Julia, die innerhalb kürzester Zeit ihre Eltern verliert. Die Geschichte beruht auf der persönlichen Erfahrung der Regisseurin Malgosia Szumowska, die auch das Drehbuch schrieb.

AVIVA-Berlin: Frau Jentsch, bei "33 Szenen aus dem Leben" handelt es sich um Ihre zweite internationale Filmproduktion. Was hat Sie an der Rolle besonders gereizt oder herausgefordert?
Julia Jentsch: Für mich war die Art des Films und die Rolle besonders und in gewisser Weise ungewöhnlich. An der Julia, der Hauptfigur, hat mich fasziniert, dass sich innerhalb kürzester Zeit ihr Leben komplett verändert. Ihr Hund stirbt, sie verliert ihre Eltern, ihre Ehe geht in die Brüche, sie beginnt eine Affäre. Sie verhält sich in dieser Zeit, wo so viele traurige, dramatische Ereignisse passieren, wie ich finde, sehr ungewöhnlich. Sie reagiert sehr aggressiv auf ihre kranke Mutter oder schlägt auf ihren betrunkenen Vater ein. Einerseits war es schön und realistisch beschrieben, andererseits hat es mich ein bisschen befremdet. Ich war mir sicher, dass ich in solchen Situationen ganz anders reagieren würde. Später fand ich es toll, dass ihre Gefühle so direkt sind, sie sich selbst nicht bewertet und sich auch nicht irgendwelchen moralischen Vorstellungen unterordnet.


AVIVA-Berlin: Der Film trägt starke autobiographische Züge der Regisseurin Malgoska Szumowska. Hat das Wissen um das persönliche Schicksal von Frau Szumowska Ihnen den Zugang zur Rolle erleichtert oder war es möglicherweise eher schwerer, einen zu finden?
Julia Jentsch: Erst mal finde ich es spannend, wenn ein Regisseur Selbsterlebtes in einen Film mit einbringt, weil es eine andere Motivation ist, genau diese Geschichte zu erzählen. In den Gesprächen mit Malgoska habe ich aber gemerkt, dass sie sich von ihren eigenen Erlebnissen sehr stark gelöst hat, was für diesen Film sehr wichtig ist. Sie hat ihre Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen benutzt, um dann jedoch etwas Fiktives zu erzählen, was dem Ganzen eine größere Allgemeingültigkeit gibt. Von den Schauspielern hat sie erwartet, dass sie eine eigene Interpretation mit einbringen. Natürlich konnte sie sehr klar und streng sein, wenn sie eine bestimmte Vorstellung von einer Szene hatte. Aber es musste nicht unbedingt so sein, wie Malgosia es wirklich empfunden hat. Sie hat sich doch mehr zurückgehalten als ich dachte und mich mir bei der Rollenfindung größtenteils selbst überlassen.


AVIVA-Berlin: "33 Szenen aus dem Leben" spielt in Polen. Wo genau haben Sie gedreht?
Julia Jentsch: Das meiste in Krakau, wo auch die Malgosias Geschichte stattgefunden hat. Dann haben wir aber auch in kleineren Dörfchen gedreht, deren Namen ich jetzt nicht mehr kenne.

AVIVA-Berlin: Sie haben im Zuge der Zusammenarbeit mit Jiri Menzel, mit dem Sie in Tschechien den Film "Ich habe den englischen König bedient" gedreht haben, bereits Erfahrung sammeln können, wie es ist, einen Film in einer anderen Sprache zu drehen. Hat Ihnen diese Erfahrung bei den Dreharbeiten in Polen geholfen?
Julia Jentsch: Ja, die Dreharbeiten mit Jiri Menzel in Tschechien haben sehr viel Spaß gemacht und durch diese Erfahrung hatte große Lust, mich wieder in eine fremde Kultur zu begeben. Aber anders als bei dem Menzel-Film war es nicht von Anfang an klar, dass ich die Landessprache lernen musste. Als ich Malgosia das erste Mal traf, erzählte sie mir, dass meine Rolle so lippensynchron wie möglich gespielt werden sollte. Dazu musste ich die meisten meiner Texte in Polnisch lernen und spielen. Also habe ich mich die letzten Wochen vor Drehbeginn intensiv mit einer Dolmetscherin zusammengesetzt und die Sätze in Aussprache und Bedeutung gelernt.

AVIVA-Berlin: Hatten Sie während der Dreharbeiten die Chance, das Nachbarland ein bisschen kennen zu lernen?
Julia Jentsch: Ja, wir haben in Krakau nichts im Studio gedreht. So waren wir mitten in der Stadt und haben viel gesehen. Ich bin zwischendurch auch nie nach Hause gefahren, da ich in der ganzen Drehzeit nur eine oder zwei Theatervorstellungen hatte. Dann konnte ich mir an meinen freien Tagen die Umgebung anschauen.

AVIVA-Berlin:Maciej Stuhr, Malgorzata Hajewska, Andrzej Hudziak sind in Polen sehr bekannte SchauspielerInnen. Haben Sie Filme von ihnen gesehen?
Julia Jentsch: Nein, ich kannte niemanden. Malgosia hat mir ein bisschen über sie erzählt, auch dass die meisten vom Theater kamen und sehr bekannte Schauspieler sind. Die Arbeit mit ihnen war sehr toll. Wir haben viel geprobt, bevor es ans Drehen ging und es hat trotz der Sprachbarriere gut funktioniert.

AVIVA-Berlin: Haben sich daraus Freundschaften oder engere Kontakte entwickelt?
Julia Jentsch: Also, es gibt auf jeden Fall ein paar Leute aus dem Team, mit denen ich immer noch in Kontakt bin. Wir telefonieren und schreiben uns. Zwischen Malgosia und mir ist auch eine Verbundenheit entstanden, obwohl unsere Zusammenarbeit sehr dynamisch war. Es war teilweise sehr schön und harmonisch. Wir konnten uns aber auch gut streiten. Am Ende waren wir sehr einverstanden miteinander und froh über die Zusammenarbeit.

AVIVA-Berlin: Der Film beschreibt im Grunde den Reifeprozess einer jungen Frau. Wir erleben anfangs eine fast kindliche Julia, die im Laufe des Films die Härte des Lebens zu spüren bekommt und sich am Ende wünscht, wieder Kind zu sein. Geht Ihnen das auch manchmal so, dass Sie sich wünschen, wieder Kind zu sein?
Julia Jentsch: Ich glaube, es gibt manchmal so Momente im Leben, meistens, wenn man an bestimmte Ort zurückkehrt, in denen man sich gern an die Kindheit erinnert. Man wünscht sich, noch einmal zu empfinden, wie sich das genau angefühlt hat. In anderen Momenten hat man dieses Gefühl, noch sehr behütet zu sein, nicht so viel Verantwortung übernehmen zu müssen. So geht es ja auch der Julia im Film. Sie bewegt sich erst noch in so einer Blase, einer eigenen Welt, in die die Realität noch nicht so richtig reinkommt. Plötzlich bricht das zusammen. Ich glaube, das ist etwas, womit jeder in seinem Leben zu tun hat, haben wird oder hatte: Der Prozess, sich zu lösen und mit Verlusten klarzukommen.

AVIVA-Berlin: Die Julia im Film ist Künstlerin, wie Sie selbst auch. Während die Mutter im Sterben liegt, entwirft Julia ein Kunstwerk, das den Krebs ihrer Mutter thematisiert. Steckt in der Kunst, Ihrer Meinung nach, eine heilende Kraft?...
Julia Jentsch: Ich denke, dass Menschen Kunst aus den verschiedensten Gründen machen, zumal auch niemand genau weiß, was "Kunst" eigentlich ist. Wenn sie nun besessen davon sind, etwas zu erschaffen, das Gefühl haben, etwas Inneres rauslassen zu müssen, dann glaube ich schon, dass Kunst eine heilende Wirkung haben kann. Aber das kann man nicht verallgemeinern, wie die Menschen damit umgehen, ist so unterschiedlich.

Bei der Julia war für mich so spannend, dass ihre Motivation nicht ganz klar ist. Einerseits ist das Bild vom Krebs ihrer Mutter eine Art Verarbeitung, dessen, was gerade in ihrem Leben passiert. Andererseits sucht sie auch nach einer Inspiration. Je nachdem, wie man es betrachtet, kann man dafür mehr oder weniger Verständnis haben. Aber im Endeffekt wird nicht gesagt, wie Kunst zu sein hat und wie nicht und das finde ich gut.

AVIVA-Berlin: Noch eine Frage zum Thema Kunst: Ich habe mehrfach gelesen, dass Sie lieber auf Theaterbühnen als vor der Kamera stehen. Stimmt das?
Julia Jentsch: Stimmt nicht. (lacht) Es ist so lustig, in fast jedem Interview wird man mit einem vermeintlichen Zitat konfrontiert. Nein, also soweit ich mich erinnern kann, habe ich bis jetzt immer gesagt, dass es für mich das Schönste ist, beides abwechselnd machen zu können. Mir würde etwas fehlen, wenn ich entweder auf das Theater oder den Film verzichten müsste.

AVIVA-Berlin: Frau Jentsch, egal ob auf der Bühne oder vor der Kamera, wir freuen uns auf jeden Fall auf Ihre nächste Rolle "Effi Briest". Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!
Julia Jentsch: Danke auch!

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Beitrag vom 13.11.2008

AVIVA-Redaktion