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Beitrag vom 13.01.2009
Stalking-ExpertInnen - Ein Interview mit Susanne Schumacher
Henriette Jankow
Die Berliner Journalistin war Mitte der 1990er Jahre selbst von Stalking betroffen. Als sie feststellen musste, dass es hierzulande kaum Erkenntnisse zum Thema gab, wurde sie selbst zur Expertin...
...In ihrem Buch "Stalking- geliebt, verfolgt, gehetzt. Ein Ratgeber für Betroffene" und auf ihrer Homepage berät sie Betroffene. Im Februar 2009 folgt die Eröffnung einer Beratungsstelle in Berlin. AVIVA-Berlin sprach mit ihr darüber, was zum Thema Stalking in der deutschen Öffentlichkeit bereits getan worden ist und was noch kommen muss.
AVIVA-Berlin: Frau Schumacher, Sie haben die Website www.liebeswahn.de in´s Leben gerufen und auch ein Buch zum Thema Stalking geschrieben. Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema und warum?
Susanne Schumacher: Ich beschäftige mich auf Grund einer eigenen Erfahrung schon seit Mitte der 90er Jahre mit dem Thema. Als Betroffene mit eigenen Fragen fing es an. Daraus ist die Erkenntnis entstanden, dass es in Deutschland damals überhaupt nichts zu Stalking gab, dass noch nicht mal das Wort existierte. Dann habe ich beschlossen, einen Ratgeber für Betroffene zu schreiben. Es war das erste deutschsprachige Werk zu Stalking und hat damals die ganze Diskussion hier in Deutschland in Gang gesetzt.
AVIVA-Berlin: Damit haben Sie einen Teil dazu beigetragen, dass die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam gemacht und in Folge dessen der §238 verabschiedet wurde. Wie schätzen Sie die rechtliche Lage jetzt, nach Einführung des Nachstellungsparagraphen, ein?
Susanne Schumacher: Ich habe als Expertin im Bundesrechtsausschuss fungiert, als es darum ging, ob dieses Gesetz in der Art, wie es festgelegt wurde, sinnvoll ist.
Grundsätzlich halte ich das Gesetz für sehr, sehr sinnvoll, weil Stalking ja nicht nur eine Straftat, beispielsweise im Sinne einer Sachbeschädigung meint, sondern es passieren verschiedene, wiederholte Straftaten über einen langen Zeitraum. In der Vergangenheit war es so, dass Gerichte nur die schwerwiegendsten Vergehen bestraft haben. Wenn aber jemand permanentes Stalking erlebt, und die Durchschnittsdauer liegt bei 24 bis 28 Monaten, wird die Strafe eines Ordnungsgeld dem erlebten Psychoterror nicht gerecht.
Insofern war ich eine große Befürworterin für einen Straftatbestand und bin auch sehr glücklich, dass es ihn gibt. Die Umsetzung ist im Moment allerdings noch "gemächlich". Es gibt Richter, die die Notwendigkeit noch nicht ganz sehen können, oder denen die Beweise nicht ausreichen. Gott sei Dank setzt sich aber eher die Erkenntnis durch, dass das Gesetz dringend nötig war.
AVIVA-Berlin: Alles in allem ist es also ein Fortschritt?
Susanne Schumacher: Auf jeden Fall! Auch in Bezug auf die Polizeiarbeit ist es ein Fortschritt. Die Polizei hatte vorher Handlungsunsicherheit. Jetzt gibt es eine Rechtssicherheit. Mit dem Straftatbestand nach §238 sind die Beamten angehalten, zu ermitteln. Vorher musste immer erst eine einstweilige Verfügung vor einem Zivilgericht erwirkt werden. Erst wenn die Polizei einen richterlichen Beschluss über ein Kontaktverbot hatte, konnte sie handeln. Jetzt kann die Polizei schon frühzeitig tätig werden, indem sie den Betroffenen rät, Anzeige zu erstatten um dann auch den Stalker damit zu konfrontieren. Je früher man versucht, das Stalkerverhalten mit einer gezielten Intervention bei der Polizei zu unterbinden, umso schneller kann man diese Fälle auch wieder beenden Ich sehe das eher präventiv, wenn Sie so wollen.
AVIVA-Berlin: Sie befinden sich gerade im Aufbau einer Beratungsstelle für Stalking-Betroffene. Können Sie uns etwas über das Konzept sagen?
Susanne Schumacher: Ich berate seit dem Jahr 2000 Betroffene. Das wurde aus der Not heraus geboren, weil damals noch keiner so richtig etwas wusste. Damals habe ich zunächst diese Homepage aufgebaut, um erste Ratschläge zu geben. Seit 2005 schule ich die Berliner Polizei auf Stalking-Fälle. Aber auch von den Frauenberatungen in dieser Stadt erhielt ich immer mehr Schulungsaufträge. So habe ich die Notwendigkeit einer Beratungsstelle gesehen. Im Juli 2008 haben wir den Verein Stalking-Opferhilfe Berlin e.V. gegründet, der u.a. auch die Bundesjustizministerin als Gründungsmitglied hat. Zusammen mit der Diakonie werden wir ab Februar 2009 Beratungen in der Schönhauser Allee anbieten.
Das mache ich zunächst zusammen mit einer Psychologin, weil die Erfahrung auch zeigt, dass viele Betroffene sehr stark traumatisiert sind. Es wird keine Rechtsberatung geben. Vielmehr geht es darum, Interventionsstrategien mit Betroffenen zu erarbeiten und darum, wie sie mit dem Stalking-Geschehen besser umgehen können, aber auch darum, was sie ganz gezielt selber machen können, machen müssen, um das Stalking zu beenden.
AVIVA-Berlin: Es gibt hier in Berlin auch eine Beratungsstelle für StalkerInnen, Stop Stalking Berlin.
Susanne Schumacher: Ja, an der habe ich mitgearbeitet. Einer der Mitarbeiter ist im Vorfeld an mich herangetreten, und so war ich quasi an der Konzeptausarbeitung ein bisschen beteiligt und stehe nach wie vor mit ihnen in einem ständigen Austausch. Stop Stalking hat eine ganz rege Nachfrage. Es ist angedacht, dass wir in irgendeiner Form zusammen arbeiten, bzw. uns austauschen werden. Unter der Voraussetzung, dass der/die Stalking-Betroffene auch Interesse daran hat, könnten wir Stop Stalking z.B. eine Rückmeldung geben, ob deren Täter-Beratung greift. Aber das werden wir sehen, wenn wir unsere Arbeit aufgenommen haben, wie es sich entwickelt und ob eine derartige Zusammenarbeit möglich ist.
Auch andere Länder, die in der Gesetzgebung und Forschung schon wesentlich weiter sind als wir, zeigen großes Interesse an Stop Stalking. Es scheint fast, als ob wir in Deutschland die ersten mit dieser Form der Täterberatung sind. Ich finde gut, dass es so eine Einrichtung gibt. Sicher wird sie nicht von jedem angenommen und nicht jeder Stalker sieht sich als jemand, der dort hingehen muss.
AVIVA-Berlin: Eine Frage zum Abschluss: Wie stellen Sie sich den weiteren Umgang mit dem Thema Stalking vor?
Susanne Schumacher: Ich glaube, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit steht nach wie vor ganz oben auf der Agenda. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft Mädchen lernen, Nein zu sagen und Jungs dieses Nein richtig interpretieren. Da liegt noch eine ganze Menge Arbeit vor uns. Ich hoffe, dass wir zumindest mit der Beratungsstelle ein gutes Angebot hier für Berlin schaffen, dass der/die Einzelne sich nicht so allein gelassen fühlt. Dazu gehört sicherlich auch eine Form von Runder Tisch, an den man verschiedene Institutionen heranholt und dann versucht, den Fall für alle transparent zu machen, zu steuern und damit sinnvoller zu gestalten.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Ihre Arbeit!
Seit dem 12.02.2009 finden Sie die Stalking Opferhilfe Berlin e.V. in der Schönhauser Allee 141
10437 Berlin
Fon: 030 - 44 32 37 17
Lesen Sie auch auf AVIVA-Berlin unser Feature "Stalking – Wenn Liebe zum Wahn wird" sowie unsere Interviews mit der Strafrechtlerin Stefanie Thieme und dem Psychologen und Mitarbeiter der Stalker-Beratungsstelle "Stop Stalking", Berlin Wolf Ortiz-Müller.