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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 27.09.2009


Interview mit Sabine Fuchs
Sharon Adler

Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Herausgeberin der Anthologie Femme! radikal – queer – feminin" spricht auf AVIVA über Ignoranz und Abwertung in lesbischen und queeren ...




... Zusammenhängen, den Gebrauch von Sprache sowie die größten Herausforderungen und schönsten Erfolgserlebnisse während der Arbeit


AVIVA-Berlin: In Ihrer Einleitung schreiben Sie: Entgegen dem Vorurteil, welches Femininität mit reaktionärer oder auf Anpassung abzielende Politik in einen Topf wirft, setzen Femmes Femininität mit radikaler Gender- und Sexualpolitik in Verbindung und wandeln sie in Femme-ininität um. Bitte erläutern Sie diese These für unsere LeserInnen.
Sabine Fuchs: Das Bild einer "typischen" Lesbe ist kein feminines. Und mit weiblicher Femininität wird nach herrschenden Denk- und Wahrnehmungsmustern ganz selbstverständlich Heterosexualität verbunden. Um Femme zu sein, müssen Femmes also eine transformative und widerständige Leistung vollbringen, ihr Gender und ihre Sexualität reflektieren und auf radikale Weise bearbeiten. Daher ist die Beziehung von Femmes zu Femininität immer eine mehrfach gebrochene. Femme-ininität, also die Femininität von Femmes, beruht nicht auf der vermeintlich naturgegebenen Femininität eines weiblichen Körpers, sondern ist eine transformative, queere Inszenierung. Ganz im Widerspruch zu der angeblichen ´Natürlichkeit´ und ´Unwillkürlichkeit´ weiblicher, heterosexueller Femininität erarbeiten Femmes sich eine oppositionelle, feminine Position in den lesbischen oder queeren Szenen, in denen Femininität verpönt ist und entweder das Gebot der Geschlechtsneutralität, Androgynie oder eine Überschätzung von (trans)maskuliner Souveränität vorherrscht. Angesichts Ihrer paradoxen Positionierung in den Systemen von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität können Femmes also nicht einfach "zufällig" oder "automatisch" feminin und queer sein. Femme-ininität ist stattdessen eine Widerstandsform gegen Geschlechternormen und Sexualitätsnormen. Sie ist außerdem eine Kampfansage an die traditionelle Vorstellung von Femininität als schwach, hilflos und unbedeutend. Femmes sind Kämpferinnen für Freiheit im sexuellen und Genderausdruck. Sie kämpfen für eine genderfreundliche und sexpositive Kultur, für sich und andere.

AVIVA-Berlin: Wodurch entstand die Idee zu dieser Anthologie und seit wann haben Sie daran gearbeitet?
Sabine Fuchs: Die Idee zu einem Femme-Buch entstand im Rückbezug auf Diskussionen in der Community des Internet-Forums von Butch-Femme.de, dem einzigen Ort, an dem die Diskriminierung und Unterrepräsentation von Femmes zu der Zeit in Deutschland thematisiert und problematisiert wurde. Alle Literatur zum Thema war englischsprachig, das einzige deutsche Buch zur Butch/Femme-Dynamik bereits zehn Jahre alt. In unseren Diskussionen verständigten wir uns durch und über englischsprachige Texte. Das schloss leider diejenigen aus, die nicht in der Lage sind, Englisch zu lesen. Der Wunsch nach breiter zugänglicher Literatur über Femme/Butch, aber auch besonders über Femmes in deutscher Sprache wurde hier wiederholt eingebracht. Als eine der ganz wenigen Autorinnen, die schon auf Deutsch zu Femmes veröffentlicht hatten (sie ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen) war ich motiviert, die Sache in die Hand zu nehmen, ermutigt vor allem auch durch mir nahestehende Butches, die die Bedeutung des Femme-Projektes verstanden und mich nach Kräften unterstützten. Es gingen also Jahre kollektiver Vorbereitung in der Community voran, bis meine Arbeit am deutschen Femme-Buch dann ab Herbst 2007 konkret wurde.

AVIVA-Berlin: Was waren die größten Herausforderungen?
Sabine Fuchs: Die Finanzierung. Es war fast unmöglich Fördergelder zu erhalten. Ich habe sehr viele Anträge geschrieben und bin auf wenig Verständnis gestoßen. Verzicht auf Honorare, ehrenamtliches Engagement und privates Sponsoring haben es letztlich möglich gemacht. Gelernt habe ich, dass unkonventionelle Wege zu gehen bedeutet, ohne finanzielle Förderung von Institutionen und Stiftungen auskommen zu müssen. Denn gefördert wird meist nur ohnehin schon Bekanntes und Etabliertes. Was aus dem Rahmen fällt, hat es schwerer und Unterstützung kam allein aus der engeren Community.

AVIVA-Berlin: Die schönsten Erfolgserlebnisse?
Sabine Fuchs: Schön waren für mich die Reaktionen von Femmes, die mitbekamen, dass ein Femme-Buch in Arbeit ist und mir schrieben: "endlich!", "darauf habe ich schon so lange gewartet" und "danke!" – noch bevor sie auch nur eine Zeile hätten lesen können. Das hat mir das Gefühl gegeben, dass ich auf dem richtigen Weg bin und dieses Buch gebraucht und erwartet wird. Eine tolle Motivation!
Und dann kam die Zusage von Joan Nestle, dieser großen, von allen verehrten Femme-Pionierin, Dichterin und Aktivistin, der wir Femmes alle soviel zu verdanken haben. Sie war sofort bereit, ein Vorwort zum ersten deutschsprachigen Femme-Buch beizutragen – was für eine unerwartete Ehre! Joan besitzt neben ihrer beeindruckenden Güte und Großherzigkeit als Dichterin auch als Historikerin einen Weitblick, der Zeit und Raum überspannt: Im Alter von fast siebzig Jahren ist sie leidenschaftlich interessiert an dem, was junge Femmes heute denken, wie sie queeres Leben gestalten. Und dieses Interesse ist nicht nur generationenübergreifend, sondern auch Raum-, Nationen- und Religionen-übergreifend: Als Jüdin aus New York lebt Joan Nestle jetzt mit ihrer australischen Lebensgefährtin in Melbourne. Über ihre Friedensarbeit in Israel und Palästina kann man sich auf ihrer Website und ihrem Blog informieren: joannestle.blogspot.com

AVIVA-Berlin: Wie beurteilen Sie den Gebrauch und die Präsenz von Sprache in queeren fem(me)ininen Zusammenhängen, inwieweit kann und soll ein Vokabular entwickelt werden, um Femme in ihrer Komplexität und Diversität mehr Repräsentanz zu verschaffen und wo sind Ihrer Meinung nach Veränderungen dringend notwendig?
Sabine Fuchs: Die westlichen Lesben- und Schwulenbewegungen betreiben traditionell sogenannte Sichtbarkeitspolitik, eine Politik der Visualität, bei der die Zuschreibung von Identität auf einem gekoppelten Wissens- und Blicksystem beruht. Aber wo Sichtbarkeitspolitik betrieben wird, fallen insbesondere Femmes durch das Raster, weil sie visuell oftmals nicht die Zeichen aufweisen, die herkömmlicherweise als lesbisch dechiffriert werden. Und hier kommt die Bedeutung von sprachlicher Kommunikation ins Spiel: Um ´Femme´ zu repräsentieren, reichen visuelle Mittel nicht aus. Es bedarf dazu einer Kontextualisierung, für die sprachliche und visuelle Repräsentation zusammengehen müssen. Es geht dabei auch um den Zusammenhang von Erkanntwerden und Anerkanntwerden. Wenn Femmes rein visuell nicht erkennbar sind, folgen daraus erschwerte Bedingungen für ihre Anerkennung. Da braucht es etwas mehr an Reflexion und die Überprüfung eigener Wahrnehmungsmuster.
Außerdem müssen wir alle an der Verwendung von gegenderter Sprache arbeiten: Feminin besetzte Begriffe oder Konzepte werden immer noch zur Trivialisierung und Beleidigung von Menschen benutzt, ganz gleich welchen Geschlechts. Jemand ist z.B. ein "Mädchen" oder "eine "Pussy" und "zickt herum". "Der Cheerleader" und "die Barbiepuppe" dienen als Abgrenzungsfiguren oder zur Belustigung (scheinbar) emanzipierter(er) ZeitgenossInnen. Die Verbindung von Femininität mit Dummheit oder Unselbstständigkeit gilt noch immer als Konsens und gesellschaftsfähig. Femininitätsfeindlichkeit betrifft natürlich nicht nur Femmes, sondern ist ein allgemeineres gesellschaftliches Phänomen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Form der Diskriminierung, die noch nicht als das wahrgenommen wird, was sie ist. Selbst Feministinnen und Vertreter_innen von Geschlechtergerechtigkeit haben in dieser Hinsicht bisweilen Nachholbedarf.

AVIVA-Berlin: Es ist Ihnen ein Anliegen, feminine Lesben aus der Anonymität heraus zu holen und ihnen (mehr) Akzeptanz zu verschaffen - wie gehen Sie selbst in Ihrem Alltag mit Ignoranz und Abwertung um, inwieweit fechten Sie täglich neue Kämpfe aus?
Sabine Fuchs: Da mein Äußeres alleine keine Störungen im Wahrnehmungssystem der Heterowelt hervorruft, muss ich mich meist der Sprache bedienen, um einen Bruch hervorzurufen. Auch in lesbischen oder queeren Zusammenhängen werde ich nicht "selbstverständlich erkannt" und akzeptiert, sondern muss auch hier Signale setzen, was meist mit verbaler Kommunikation einhergeht, um die falschen Schlüsse, die aus meiner visuell wahrnehmbaren Selbstpräsentation gezogen werden, nicht durchgehen zu lassen. Ich empfinde die in lesbischen und queeren Zusammenhängen erfahrene Ignoranz und Abwertung zwar nach so vielen Jahren immer noch als schmerzhaft, fühle mich deswegen aber ganz und gar nicht als Opfer. Es gibt verschiedene Wege, z.B. politische und erotische, mit dieser Situation der Verkennung kreativ und gewinnbringend umzugehen. Es lässt sich taktischer Nutzen aus meiner "Tarnung" ziehen, und dieser Nutzen könnte auch anderen Gender-Queers zugute kommen: Eher "brav" aussehend, habe ich Zugang zu Bereichen und dort Einfluss, der z.B. optisch scheinbar weniger "angepassten" queeren Verkörperungen nicht so einfach offensteht. Wenn ich als Biofrau mit Handtäschchen bewaffnet z.B. politisch für Transgender-Rechte eintrete, stoße ich in bestimmten (unter Umständen eher konservativen) Zusammenhängen vielleicht einfacher auf Gehör. Das ist keine reaktionäre "Anpassung", sondern die Arbeit einer "Doppelagentin". Dominique Grisard hat im Femme-Buch einen schönen Aufsatz über Mata Hari und die Femme als Doppelagentin geschrieben. In meinem Aufsatz über das Paradox der sichtbaren Unsichtbarkeit der Femme schreibe ich über die Erotik von Körper-Inszenierungen, deren Codes nur von Eingeweihten gelesen und dechiffriert werden können. So lassen sich aus Vorurteilen durchaus auch Vorteile ziehen.

AVIVA-Berlin: Was erhoffen Sie sich von der Anthologie, wird es Veranstaltungen zu dem Thema geben?
Sabine Fuchs: Ich wollte mit "Femme! radikal – queer – feminin" kein reines Wissenschaftsbuch machen, sondern auch eines für die Community, insbesondere für die Femmes und Femme-Verehrer_innen. Darum habe ich mir für diese Publikation den Querverlag ausgesucht und darum gibt es in der Anthologie neben wissenschaftlichen Aufsätzen auch Interviews und Essays. Ich hoffe, dass die sich langsam zu formieren beginnende Femme-Bewegung im deutschsprachigen Raum von der Anthologie profitieren wird. Ich hoffe auf eine Vervielfältigung der Wahrnehmung von alternativen Genderlandschaften, wo bislang queere weibliche und trans-männliche Maskulinität vorherrscht.
Außerdem wünsche ich mir, dass das breitere Thema "kritische Femininität" auch über den queeren Rahmen hinaus feministische Diskussionen anregt.
Und ja, es soll möglichst bunte Veranstaltungen geben. Gemeinsam mit jeweils ein bis zwei Autor_innen, bzw. Übersetzerinnen stehe ich für Buchpräsentationen gerne zur Verfügung.

AVIVA-Berlin: Sie sind Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, und publizieren im Bereich Gegenwartsliteratur, Populärkultur, queer-trans*-feministische Theoriebildungen und Praxisformen und kämpfen für die Femme-inistische Revolution. Wie könnte die Femme-inistische Revolution vorangetrieben und etabliert werden?
Sabine Fuchs: Den ironisch hoch gegriffenen Begriff einer "Femme-inistischen Revolution" einzusetzen, war für mich eine spielerische Art, sich kämpferisch und doch humorvoll zu zeigen. Ein Buch ist ein Anfang, ein materieller und symbolischer Referenzpunkt, auf den wir uns fortan beziehen können, natürlich gerne auch kritisch. Ich hoffe, damit Anstöße in Richtung neuer Forschungsarbeiten der Gender und Queer Studies zu geben, aber auch außerhalb des begrenzten akademischen Rahmens Diskussionen in den queer-feministischen und Transgender-Communitys anzuregen. Und ich wäre froh, wenn Femmes und solche, die es vielleicht noch werden wollen, sich in ihrem individuellen Sosein ein wenig mehr bestätigt und ermächtigt fühlen. Das sind die ersten Schritte und ich hoffe, dass sich daraus mittelfristig auch kollektivere Politikformen entwickeln werden. Gleichgesinnte lassen sich im Forum der deutschen Butch/Femme-Website finden (www.butch-femme.de). Alle Femmes und Femme-Verbündeten sind in diesem Internet-Forum willkommen, nicht nur die Femmes, die auf Butches stehen. Dort gibt es auch die Rubrik "Networking" – eine gute Sache.

AVIVA-Berlin: Arbeiten Sie bereits an neuen Projekten, falls ja, was werden wir demnächst von Ihnen lesen können?
Sabine Fuchs: Für den Sammelband "Szenen von Widerspenstigkeit. Geschlecht zwischen Affirmation, Subversion und Verweigerung" schreibe ich zur Zeit einen Beitrag. Dort geht es um "Queere Fem(me)ininität als kritische Mimesis. Widerspenstige Inszenierungen von Gender und Sexualität". Ich bleibe also weiter dran am Femme-Thema.
Danach möchte ich meine Doktorarbeit abschließen, in der ich mich mit "dem Trivialen" in Kultur und Kulturwissenschaft befasse, besser gesagt mit Prozessen der Trivialisierung, Abwertung und Verwerfung von Populärkultur aufgrund ihrer Einschreibungen von Weiblichkeit/Femininität und Queerness.
Und dann werde ich mich einem mir sehr am Herzen liegenden Buchprojekt widmen. Es geht dabei um die Krebserkrankung einer Transgender-Butch, ihren Kampf ums Überleben in gesellschaftlichen und familiären Verhältnissen, in denen sie mit ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität nicht vorgesehen ist. Ein Buch über unseren Umgang mit Krebs und der Möglichkeit des Todes, eine unmöglich gemachte Transgender-Existenz, den ungebrochenen Willen weiter zu leben und zu lieben und die Begleitung eines Sterbens. (Auto-) Biografischer Hintergrund dieses Buches ist der Weg meiner im letzten Jahr verstorbenen Lebensgefährt_in.

AVIVA-Berlin: Viel Erfolg mit "Femme! radikal – queer – feminin" und alle zukünftigen Projekte!

Lesen Sie auch die AVIVA-Rezension von "Femme! radikal – queer – feminin".


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Beitrag vom 27.09.2009

Sharon Adler