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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 18.05.2010


Interview mit der Regisseurin Mona Achache
Adriana Stern

Schon im November 2009 wurde ihr Filmdebüt "Die Eleganz der Madame Michel" bei dem 33. Internationalen Filmfestival mit drei Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem für die beste Regie.




AVIVA–Berlin traf die junge jüdische Regisseurin vor der Premiere ihres Regiedebüts "Die Eleganz der Madame Michel" in Köln. Mona Achache, 1981 geboren, wollte eigentlich immer Schauspielerin werden. Doch dann entdeckte sie den viel größeren Reiz darin, selbst im Hintergrund zu bleiben und Filme zu gestalten, statt in ihnen mitzuspielen. Sie ist in ihrem Metier eine wahre Autodidaktin, drehte vor ihrem Kinofilmdebüt bereits zwei Kurzfilme, einen davon über ihre Großmutter, die 1942 von den Nazis verhaftet wurde. Schon bevor Die Eleganz des Igels von Muriel Barbery zu einem Bestseller wurde, sicherte sich die Regisseurin die Filmrechte.

AVIVA–Berlin: "Die Eleganz der Madame Michel" ist Ihr Regiedebüt und lehnt sich an den Bestseller: "Die Eleganz des Igels" der Autorin Muriel Barbery an. Dieses wundervolle Buch ist voller Diskurse in die Geschichte der Philosophie und lebt sehr stark von den inneren Monologen und Betrachtungen der Madame Michel und der Jugendlichen Paloma. Was hat Sie dazu bewogen, gerade dieses Buch verfilmen zu wollen?
Mona Achache: Es ging in erster Linie um die drei Hauptfiguren, die drei Personen, die die tragende Rolle spielen und mir gefiel sehr, dass das mit sehr viel Poesie gemacht wurde, aber auch, ja, wie Sie schon gesagt haben, mit einer Prise Philosophie und dann habe ich mich natürlich auf das Portrait dieser zwei ganz unterschiedlichen Frauen konzentriert, die sich eben auch ein bisschen außerhalb der Norm befinden.

AVIVA–Berlin: Welcher Reiz lag für Sie darin, einen Film mit nur einem einzigen Handlungsort zu machen.
Mona Achache: Also, im Buch gibt ja auch andere Orte, aber für mich war es so, dass das Haus selbst im Laufe des Filmens so wichtig wurde, beinahe wie eine vierte Hauptfigur. Es gibt in dem Film dieses Bild von dem Goldfisch, der in seinem Glas lebt und diese doch sehr geschlossene Welt wollte ich mit diesem Bild noch einmal mehr verstärken. Dadurch bekam das Haus eine zentrale Bedeutung, wurde förmlich zu einer zusätzlichen Figur.

AVIVA–Berlin: Im Film haben Sie sich die Freiheit genommen, die elfjährige Paloma in den Vordergrund zu stellen, während im Buch eher Madame Michel den größeren Raum einnimmt. Wie ist es zu diesem Perspektivwechsel gekommen? Was hat Sie an der Figur des Mädchens gereizt?
Mona Achache: Es ist immer sehr kompliziert bei einem Drehbuch zu entscheiden, aus welchem Blickwinkel die Geschichte gezeigt werden soll. In diesem Fall fand ich es sehr viel interessanter, die Geschichte aus zwei Blickwinkeln zu erzählen, nicht nur aus einem und vor allem auch aus zwei parallelen Blickwinkeln, die zuerst unabhängig voneinander existieren und sich dann irgendwann treffen, sich gegenseitig bereichern. In dem Film ist es so wie die Übergabe eines Staffelstabes.

AVIVA–Berlin: Sie haben Paloma in Ihrem Film verschiedene Talente gegeben, die sie im Buch nicht hat. So malt Paloma mehr als beeindruckend und vor allem filmt sie, während sie im Buch Tagebuch auf sehr hohem Niveau schreibt. Wie sind Sie auf diese Ideen gekommen?
Mona Achache: Das Buch ist ja ein sehr literarisches Werk, in dem Philosophie und die Weltliteratur eine große Rolle spielen. Bei Paloma wie auch bei Renée gibt es viele innere Monologe, die diese Literatur widerspiegeln. Aber im Film musste ich natürlich visuell und mit den Mitteln des Kinos arbeiten. Und da war es dann einfach sinnvoller, von der Literatur ein bisschen wegzugehen und Mittel zu suchen, wie ich genau diese Monologe filmisch umsetzen konnte.
Bei Renée waren mir diese Momente der Stille sehr wichtig und auch, sie bildlich darzustellen, zum Beispiel, wie sie allein mit ihrer Katze in der Küche sitzt und liest. Bei Paloma kamen noch visuelle Ideen dazu. Wie sie filmt und wie sie malt und auch die Selbstmordidee ist visuell angedeutet mit dem Wandkalender. Diese Frühreife und Palomas Intelligenz, die im Buch über das Tagebuch ihren Ausdruck findet, sollte visuell dargestellt werden.

AVIVA–Berlin: Im Film harmonieren Josiane Balasko, Garance Le Guillermic und Togo Igawa wunderbar miteinander. Was war es, das Sie vor allem bei diesen drei SchauspielerInnen überzeugt hat?
Mona Achache: Ich habe diese drei SchauspielerInnen ausgewählt, weil sie den Bildern, die ich schon vorher im Kopf hatte, ganz stark entsprochen haben. Die Alchemie, die da zwischen den dreien entstand, war von Anfang an spürbar und wuchs noch während der Dreharbeiten. Es war ganz wichtig, dass sich diese Liebe, die ja auch schon in der Geschichte steckt, auch auf die Atmosphäre während des Arbeitens übertrug. Es ist ja eine Geschichte, die nur von sehr kleinen Dingen lebt, die sehr schwer nachvollziehbar sind und gerade deshalb musste ich vor allem diese Alchemie im Film spürbar werden lassen. Den Charme, den sie versprühten, und die Anziehung, die sie füreinander empfunden haben, genau das wollte ich festhalten.
Und diese harmonische Stimmung hat sich schnell auf das gesamte Team übertragen. Das war unglaublich wichtig, weil ich nur in dieser Stimmung diesen Film so machen konnte. Dazu gehörte auch, dass wir uns viele Witze erzählt haben, dass es viele Partys gab, dass wir wirklich Freude an der Arbeit hatten. Bei einem anderen Film, bei einem anderen Thema, würde ich vielleicht anders arbeiten, aber für diesen Film und mit diesem Thema ging es nur so.

AVIVA–Berlin: Die Filmbeschreibung besagt, dass sich der Film "nur" an den Roman von Muriel Barbery anlehnt. Muriel Barbery hat an diesem Film und an dem Drehbuch mitgewirkt. Wie sah diese produktive Zusammenarbeit aus? Wie hat sich die Zusammenarbeit für Sie auf den Film ausgewirkt? Und welches Feedback hat Muriel Barbery Ihnen zum fertigen Film gegeben?
Mona Achache: Muriel Barbery hat nicht am Drehbuch mitgearbeitet. Also, es war schon so, dass wir uns getroffen haben und Muriel Barbery mich daraufhin ausgesucht hat, das stimmt. Aber das war´s dann auch. Von Anfang an fanden wir es beide viel gesünder, getrennte Wege zu gehen und von diesem Punkt an hat Muriel Barbery auch überhaupt keinen Einfluss mehr auf den Film genommen. Es wäre für mich auch eine Art Handicap gewesen, wenn sich die Autorin zu sehr eingebracht hätte. Dann hätte ich nicht so frei mit dem Material umgehen können. Es ist ganz klar: in dem Moment, in dem ich eine Adaption zu einem Buch mache, eigne ich mir die Vorlage an, und ich habe dann meinen eigenen Standpunkt und der ist anders als der Standpunkt der Autorin oder auch der der LeserInnen eines Buches. Ich habe versucht, mir treu zu bleiben und das, was ich gefühlt habe, als ich das Buch gelesen habe, auf diesen Film zu übertragen. Und es ist wahr, dass jede Adaption in gewisser Weise ein Verrat ist an dem, was der Autor sich in seinem Werk überlegt hat.

AVIVA–Berlin: Welches Feedback hat Muriel Barbery zum fertigen Film gegeben?
Mona Achache: Sie hat mir gar nichts dazu gesagt. Die Autorin lebt jetzt in Japan und wir haben überhaupt keinen Kontakt mehr zueinander.

AVIVA–Berlin Wie kam es dazu, dass Sie Gabriel Yared für Ihren Film gewinnen konnten, der für seine Filmmusiken zu Filmen wie Der englische Patient, Camille Claudel, Der talentierte Mr. Ripley mehrfach ausgezeichnet wurde, sowohl mit dem Oscar als auch mit dem Golden Globe, dem Grammy, dem César und weiteren Preisen?
Mona Achache: Oh, das ist eine lange Geschichte.
Anfangs habe ich es überhaupt nicht gewagt, Gabriel Yared anzusprechen. Ich dachte, er ist viel zu teuer und hat garantiert keine Zeit, ist zu bekannt. Ich wollte auf jeden Fall den, der die Musik macht, schon vor dem Dreh treffen. Es gibt natürlich nichts Abstrakteres, als über die Musik zu einem Film zu reden, der noch gar nicht gedreht worden ist, aber ich war der Meinung, dass auch beim Musiker eine Art Alchemie entstehen müsste, und so habe ich mich dann für jemand anderen entschieden, aber es tat mir leid, dass ich Gabriel Yared nicht gefragt habe, obwohl ich mir gewünscht habe, dass er die Musik macht.
Und dann war es so, dass die Zusammenarbeit mit dem anderen sehr unglücklich war. Mitten in den Dreharbeiten erhielt ich eine E-Mail von Gabriel, dem das Buch "Die Eleganz der Madame Michel" so gut gefiel und der Lust hatte, die Musik zu diesem Film zu machen und nicht länger an so großen Hollywoodstreifen zu arbeiten wie bisher. Ich sagte ihm dann mit großem Bedauern ab, denn ich hatte ja schon jemanden. Dann aber stellte sich heraus, dass es mit dem Komponisten einfach nicht ging. Und dann war ich schon mitten beim Schnitt und hatte nur noch einen Monat Zeit und habe Yared gefragt, ob es jetzt vielleicht doch noch geht, dass er die Musik macht. Wir trafen uns sofort in einem Restaurant und haben uns drei Wochen lang fast jeden Tag gesehen. Wir haben zusammen nachgedacht, unglaublich viel geredet und er hat dann wirklich in dieser superkurzen Zeit die Musik komponiert und sie ist einfach perfekt geworden.

AVIVA–Berlin: Wann wurde der Film in Frankreich gezeigt und wie wurde er dort aufgenommen?
Mona Achache: Der Film ist im Juli vorigen Jahres in Frankreich angelaufen und sehr freundlich aufgenommen worden. Natürlich schafft man es nicht, dass mit einem Film immer alle einverstanden sind, aber er wurde insgesamt doch sehr positiv bewertet.

AVIVA–Berlin: Nach diesem wunderbaren Debüt möchten die Leserinnen von AVIVA natürlich wissen, wie es jetzt weitergeht. Wie sehen Ihre zukünftigen Projekte aus? Worauf dürfen wir uns freuen?
Mona Achache: Ich arbeite seit längerer Zeit an einem Drehbuch, an dem ich schon gearbeitet habe, bevor ich beschloss " Die Eleganz des Igels" zu verfilmen. In diesem Drehbuch geht es um drei Generationen: Um eine Heranwachsende, ihre Mutter und ihre Großmutter und eben um die Frage der Weiblichkeit, der Lust, der Femininität. Das ist das Thema, mit dem ich mich zur Zeit beschäftige.
AVIVA–Berlin: Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Herzlichen Dank für dieses Interview!

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Das Interview wurde auf Französisch geführt und das Gespräch vom Übersetzer Jörg Faszman begleitet.



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Beitrag vom 18.05.2010

AVIVA-Redaktion