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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 01.09.2011


Interview mit Cherilyn McNeil
Tatjana Zilg

Die in Südafrika geborene charmante Neuberlinerin legt als Dear Reader ihr zweites Album "Idealistic Animals" vor. Mit AVIVA-Berlin sprach sie kurz vor dem Release über Kreativität und ...




... Songwriting, der Trennung von ihrem Duo-Partner und der Entscheidung, nach Berlin zu ziehen.

AVIVA-Berlin: Dein neues Album kommt wie ein Konzeptalbum daher. Wie ist die Idee entstanden, als roten Faden alle Songs nach Tieren zu benennen?
Cherilyn McNeil: Es geht darum, dass Menschen in manchen Aspekten oft Tieren ähnlich sind. Der Song in der Mitte des Albums, "Man", geht vom Menschen aus. Alle anderen Songs sind nach unterschiedlichen Tierarten benannt. Ich erlaube mir, einer Idee nachzugehen, die gegensätzlich zu den Grundsätzen ist, mit denen ich innerhalb eines christlichen Umfelds in Südafrika aufgewachsen bin: ´Menschen sind höhergestellt als Tiere, nur Menschen haben Seelen, Tiere keine.´ Dieser Ansatz entstand aber spontan. Ich nahm mir nicht vor, unbedingt ein Konzept zu finden, das für ein ganzes Album gelten kann.
Ich habe für jeden Song ein Tier als Leitmotiv gesucht, das ausdrückt, wie ich mich gerade fühle, oder das mich an etwas anderes erinnert. Es ist erstaunlich, wie viel Menschliches bei der Beobachtung von Tieren und ihren Verhaltensweisen entdeckt werden kann. Wenn man eine Giraffe anschaut, erscheint sie etwas unbeholfen, zur gleichen Zeit aber auch würdevoll. Ich spiele einfach gerne mit den Vorstellungen, die Menschen über Tiere haben, wie beim Fuchs, dem sehr vielschichtige Bedeutungen zugeordnet werden.

AVIVA-Berlin: Bist Du auch durch spirituelle Traditionen Afrikas beeinflusst worden, in denen Tiere eine bestimmte Bedeutung haben?
Cherilyn McNeil: Eher nein. Meine Kindheit und Jugend waren britisch geprägt, wobei meine SchulkameradInnen aus allen möglichen Ländern kamen, darunter Schottland, Holland, Belgien. In Südafrika findet man eigentlich alles. Alle mögliche Religionen, die Leute haben sehr verschiedene Herkunftsgeschichten, besonders in Johannesburg, wo ich herkomme. Natürlich kann es sein, dass ich auch von traditionellen afrikanischen Lebensweisheiten beeinflusst bin, da ich mittendrinnen in diesem Melting Pot aufgewachsen bin, aber mehr in einer allgemeinen Art, so wie auch Bezüge hergestellt werden könnten zu Native Americans und anderen kulturellen Lebensarten, in denen die Harmonie mit der Natur eine wichtige Rolle spielt.

AVIVA-Berlin: Wie findest Du zu Deiner Musik, improvisierst Du viel? Wie entscheidest Du, welche Instrumente Du einbinden möchtest?
Cherilyn McNeil: Die Kompositionen habe ich alle zu Hause geschrieben, nur mit Piano und Gitarre, eher dem konventionellen Songwriting-Prozess entsprechend. Die meisten Songs entstanden relativ schnell und waren bereits gut in sich geschlossen. Danach habe ich mit dem Produzenten Brent Knopf und einer Handvoll FreundInnen in Leipzig in einem kleinen Studio die Songs weiter ausgearbeitet und ihre Strukturen verfeinert. Dabei hatten wir viel gejammt: Wir spielten zusammen einfach drauf los zu den Songs, ohne vorher viel abzusprechen. Das war für die MusikerInnen natürlich schwieriger. Zum Beispiel die Drums direkt beim Hören des Songs zu schlagen, ohne vorher die Melodie und den Rhythmus zu kennen. Die Ergebnisse waren beeindruckend, aber es gab natürlich auch vieles, was komplett falsch war.
Es dauerte recht lange, bis wir zu den endgültigen Versionen gefunden haben. Wir haben sehr viel Material aufgenommen, es immer wieder angehört und verglichen, bis wir die Parts herausgefiltert hatten, die wir verwenden wollten und diese wie in einem Puzzle zusammengefügt. Das war ein ganz anderer Ansatz als sonst bei der Studioarbeit üblich und auch als bei der klassischen Musik, für die ich während meiner Jugend ausgebildet wurde. Da ist in der Partitur alles genau festgelegt, alles wird einem zuvor diktiert.
Deshalb hatte ich erst Angst, beim Jammen Fehler zu machen, aber Brent hat mich ermutigt. ´Klar wirst Du auch Fehler machen, aber genauso wirst Du ganz wundervolle Sachen entdecken und selbstbewusster werden und herausfinden, wie viel möglich ist.´

AVIVA-Berlin: Als Du Dein Debütalbum "Replace Why With Funny" veröffentlicht hattest, lebtest Du noch in Johannesburg. Wie kam es zu der Entscheidung, Berlin zu Deinem neuen Wohnort zu machen?
Cherilyn McNeil: Ich war wegen meinem ersten Album öfter in Deutschland, unter anderem zum Touren. Jedesmal verbrachte ich einige Zeit in Berlin, schon allein deshalb, weil mein Label "Cityslang" hier seinen Sitz hat. So traf ich eine Menge Leute und es gefiel mir sehr gut. Da ich einen Plattenvertrag vorweisen konnte und mein Debüt erfolgreich war, bekam ich ein Visum, um hier als Künstlerin dauerhaft zu leben. Das macht auch mehr Sinn für meine Arbeit, denn Südafrika ist weitab von Europa. Es gibt dort nur einen sehr kleinen Markt für die Musik, die ich mache. Da reicht es, wenn ich ein- bis zweimal nach Hause fahre und in Berlin wohne, von wo aus ich mehr Möglichkeiten habe, meine Musik europaweit publik zu machen. Und ich hatte einfach Lust für einen Neuanfang, dessen Startpunkt der Umzug war.

AVIVA-Berlin: Berlin entwickelt sich schnell und wird immer beliebter bei KünsterInnen und jungen Leuten. Wie gefällt es Dir hier?
Cherilyn McNeil: Oh ja, Berlin gefällt mir sehr gut. Ich mag die Freiheit, die ich hier habe, dass ich alleine weggehen kann, spazieren gehen, mit dem Rad fahren. Es ist wirklich nett, Teil einer FußgängerInnen-Kultur zu sein. Ich fühle mich hier sicher, meine Miete ist günstig. Das ist sicher ein Grund, warum es soviele KünstlerInnen hierher zieht. Ich denke, die Leute wissen es eben zu schätzen, dass man in Berlin gute Bedingungen vorfindet, kreativ tätig zu sein und gleichzeitig Spaß und ein gutes Leben zu haben.
Mit dem Wetter kämpfe ich etwas und meine Familie vermisse ich natürlich auch. Aber ich bin sehr glücklich hier. Ich möchte mich deshalb richtig einleben und versuche, nicht nur mit Zugezogenen zusammenzukommen, was anfangs einfacher ist, sondern auch BerlinerInnen kennenzulernen. Ich finde es bedauerlich, dass viele Leute hierher kommen, aber kein Interesse daran haben, sich mit der Kultur und den StadtbewohnerInnen auseinanderzusetzen und nach einer Weile wieder wegziehen. Ich möchte der Stadt etwas zurückgeben. Deshalb lerne ich auch seit einiger Zeit deutsch.

AVIVA-Berlin: Viele Menschen verbinden Südafrika spontan mit der Geschichte der Apartheid, die vor nicht allzu langer Zeit ihr Ende gefunden hat. Wie hast Du diesen zeitgeschichtlichen Prozess erlebt, wie war es, in dieser Zeit des Wandels aufzuwachsen?
Cherilyn McNeil: Ich war elf, als der Regierungswechsel stattfand. Als Kind waren mir die Konflikte kaum bekannt, denn ich wurde in einer sehr beschützten Umgebung aufgezogen, in einem Mittelklasse-Vorort. Meine Eltern haben mit mir darüber nicht viel gesprochen. Erst später wurden mir die Veränderungen bewusster. Es hat sich alles mehr durchmischt und durch die Schule habe ich schwarze Kinder kennen gelernt. Die politische Entwicklung in Südafrika ist sehr kompliziert und die Auswirkungen des Apartheids-Regimes sind leider noch spürbar, vor allem in den Unterschieden zwischen Arm und Reich.
Es wird also mehr zu einer Klassengesellschaft. Probleme wie Korruption und hohe Arbeitslosigkeit bleiben bestehen und es kommen neue hinzu, es ist schwierig , Lösungen zu finden. Als einzelner Mensch fühlt man sich auch manchmal, als könne man nur wenig dagegen tun. Selbst wenn man den ganzen Tag BettlerInnen 50 Cent gibt, so begegnet man dennoch ständig welchen, denen man noch nichts gegeben hat.

AVIVA-Berlin: Wie kam es dazu, dass Du Dich von Deinem Duo-Partner Darryl Torr getrennt hast und nur noch Du alleine hinter dem Namen Dear Reader stehst?
Cherilyn McNeil: Darryl ist weiterhin ein sehr guter Freund und wir haben oft Kontakt, aber er wohnt in Johannesburg und heiratet bald. Als wir das Debüt von Dear Reader veröffentlichten, war er bereits ein erfolgreicher Produzent und sein Geschäft in Südafrika läuft sehr gut. Er ist viel zu etabliert in der dortigen Musikindustrie und kann deshalb nicht einfach wegziehen. Er hatte mich dazu gebracht, mit Popmusik anzufangen und war in der ersten Zeit mein Mentor. Aber dann kam der Punkt, sich zu trennen und anders weiterzumachen. Ich wollte über mich selbst hinauswachsen und habe während der Arbeit an meinem zweiten Album viel dazugelernt.
Natürlich macht es einen Unterschied, allein zu arbeiten oder als enges Team. Mit Darryl habe ich von Anfang an in einem sehr gut ausgestatteten Studio gearbeitet, wo es wirklich alles gab. Bei meinem aktuellen Album war das ganz anders, wir haben die Songs vorrangig mit einer Inbox aufgenommen, das ist eine kleine Homerecording-Anlage mit einem eher einfachen Mikrofon. Dabei habe ich mehr über Aufnahmetechnik gelernt als zuvor, als ich einen Soundingenieur als Gegenüber hatte.

AVIVA-Berlin: Welche Idee steckt hinter Deinen Künstlerinnennamen Dear Reader? Hattest Du nach der Trennung von Darryl Torr darüber nachgedacht, unter Deinem tatsächlichen Namen Cherilyn McNeil zu veröffentlichen?
Cherilyn McNeil: Ich mag den Namen sehr und wurde auf ihn aufmerksam, als ich das Buch "Jane Eyre" gelesen habe, in dem die Protagonistin sich mit der Ansprache Dear Reader direkt an ihre LeserInnenschaft wendet. Darin zeigt sich, wie sie ganz bewusst über die Wirkung ihrer Bücher auf die einzelne Leserin, und somit auch mich, nachdenkt. Auch mag ich es, dass in dem Wort dieselben Buchstaben in verschiedenen Abfolgen verwendet werden. Diese Wiederholung erlaubt viele kleine Spielereien. Aber gesamt gesehen möchte ich mit den Namen keine besonders tiefe Bedeutung hervorrufen.
Beibehalten habe ich den Namen, weil er mir gefällt und ich mit ihm bereits erste Erfolge hatte und er somit mit mir in Verbindung gebracht wird.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview, viel Erfolg und Spaß in Berlin!

Dear Reader im Netz: dearreadermusic.com

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Beitrag vom 01.09.2011

AVIVA-Redaktion