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AVIVA-BERLIN.de 8/2/5784 - Beitrag vom 24.02.2008


Eran Riklis im Interview
Tatjana Zilg

Im Rahmen der 58. Berlinale wurde sein Film "Lemon Tree" mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet. AVIVA-Berlin traf den Regisseur zu einem Gespräch über die Entstehung der ...




... Geschichte von der Witwe Salma, die im Grenzgebiet von der Familie des israelischen Verteidigungsministers - ihren neuen Nachbarn - unter Druck gesetzt wird, ihren wunderschönen Zitronenhain aufzugeben.

AVIVA-Berlin: Gibt es eine wahre Geschichte, die Sie als Vorlage für das Skript von "Lemon Tree" verwendet haben?
Eran Riklis: Das Skript bezieht sich nicht nur auf eine einzige wahre Geschichte, sondern auf hunderttausende. Es gibt sehr viele PalästinenserInnen, die ihr Land, ihre Häuser, ihre Gärten und ihre Bäume aufgrund von Kriegen, Streitigkeiten und Sicherheitsangelegenheiten, die oft absurd und übertrieben sind, verloren haben. Nicht alle dieser Konflikte werden vor Gericht ausgetragen. Aber manche finden die Stärke und die Kraft, vor Gericht zu gehen. Die Option gibt es zumindest. Ob sie erfolgreich sein werden, ist natürlich ungewiss. Gerichtsentscheidungen werden, wie alles im Leben, immer auch von der aktuellen Politik beeinflusst. Leider findet der Alltag im Kontext der Besatzung statt, und Besatzung ist natürlich niemals eine gute Sache.

AVIVA-Berlin: Konnte Salma denn davon ausgehen, eine reale Chance zu haben, den Prozess zu gewinnen?
Eran Riklis: Doch, absolut. Das Oberste Gericht wird von vielen IsraelerInnen angegriffen. Viele sehen die Entscheidungen als zu liberal an. Das Gerichtssystem in Israel ist so gut oder schlecht wie überall in der Welt. Juristische Entscheidungen brauchen oft viel Zeit. Die Verfahren werden sehr langsam fortgeführt. Aber am Ende werden oft überraschende Entscheidungen gefällt. Ich denke schon, dass jedeR vor Gericht eine Chance hat, einen Prozess auch zu gewinnen. Im Bezug auf Salma gab es keinen Grund, im vornherein anzunehmen, dass ihr Verfahren aussichtslos sei.

AVIVA-Berlin: Wie waren die Bedingungen, unter denen Sie den Film gedreht haben? Gab es Schwierigkeiten?
Eran Riklis: Nein, Israel ist ein sehr demokratisches Land. Man kann dort jeden Film realisieren, auch sehr kritische. Dieser Film wurde auch mit Geldern von der israelischen Regierung unterstützt. Das ist wirklich kein Problem. Natürlich gab es die üblichen Probleme bei der Gestaltung des Settings: Die zwei Häuser mit dem Zitronenhain in der Mitte so in Szene zu setzen, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das sind normale Hürden beim Filmemachen.

AVIVA-Berlin: Würden Sie sagen, dass hinter Ihrem Film eine besonders hohe politische Motivation steht?
Eran Riklis: Nein, denn ich glaube nicht an politische Botschaften, sondern an menschliche. Natürlich kann alles auch in einem politischen Zusammenhang gesehen werden, besonders im Mittleren Osten. Wenn man dort einen Film dreht, kann man der Politik nicht ausweichen. Ich versuche aber, dahinter zu sehen, die menschliche Seite der Politik zu reflektieren: Wie betrifft die Politik die einfachen Leute in der Region? Es ist zugleich ein Problem, das es überall auf der Welt gibt. Entscheidungen werden gefällt. Sie haben eine sofortige Auswirkung auf uns, ohne dass wir sie selbst kontrollieren können. Das ist es, worüber der Film handelt, neben einigen anderen Sachen. Ich sehe mich selbst schon an einem bestimmten politischen Standpunkt. Ich versuche aber, nicht didaktisch zu sein, sondern eine demokratische Haltung einzunehmen. Ich möchte, dass die Leute, wenn sie meine Filme sehen, selbst entscheiden können, welche Meinung sie sich über die gezeigten Themen bilden.
Ich denke, je mehr der Dialog zwischen den Leuten angeregt wird, und die Menschen merken, dass es gar nicht so schlecht ist, mehr von den anderen zu erfahren, werden sich die Dinge auch verändern. Bisher denken viele IsraelerInnen leider nicht viel über ihre Nachbarn nach. Sie versuchen nicht, mehr über sie zu erfahren.

AVIVA-Berlin: Der Film hat ein sehr trauriges Ende. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Eran Riklis: Ich selbst würde das Ende als bittersüß bezeichnen. Es ist ein wenig wie der Saft einer Zitrone. Es ist nicht nur traurig. Es enthält auch Hoffnung, die, wie ich denke, hauptsächlich im Inneren entsteht. Entscheidungen sind Entscheidungen, und wenn man innerlich stark ist, kann man in der Zukunft erneut versuchen, die Entscheidungen zu verändern. Salma hat zwar verloren, aber es ist nicht das Ende ihres Lebens. Sie hat noch viel Zeit, etwas in Bewegung zu setzen. Sie hat auch ihre Liebe verloren, aber aus verschiedenen Gründen war es eine unmögliche Liebe. Ich denke, es ist ein Film darüber, wie Menschen in Mauern gefangen gehalten werden, in psychologischen, physischen und emotionalen Mauern. Diese bestehen in der Realität, deshalb hätte ich da kein anderes Ende finden können.

AVIVA-Berlin: Haben die Zitronen eine besondere symbolische Bedeutung?
Im Judentum werden die Zitronen ja als Symbol für das menschliche Herz angesehen.
Eran Riklis: Ja, sie können als Symbol des Herzens gesehen werden, aber auch für alles, was rund oder halbrund ist, für den Zirkel des Lebens. Zuerst dachte ich an Oliven-Bäume, aber es gibt schon so viele Projekte und Filme, die Oliven-Bäume verwenden. So wollte ich etwas anderes finden, und ich suchte nach etwas Leichterem, nicht so Kräftigem wie die Olivenbäume mit ihrem dunklen Farbton. Zitronen sind bittersüß wie das Ende des Filmes, der manchmal eine Komödie ist und manchmal eine Tragödie.

AVIVA-Berlin: In "Lemon Tree" steht wie in "Die syrische Braut" eine Frau im Mittelpunkt der Konflikte. Mildert dass die Härte des Konflikts ab? Wie wäre es, wenn ein Mann im Zentrum stehen würde? Würde dann doch ein Kriegszustand zwischen den Beteiligten entstehen? Haben Sie absichtlich einen weiblichen Hauptcharakter gewählt, um diese leisen, inneren Veränderungsprozesse überhaupt zeigen zu können?
Eran Riklis: Ich denke, es ist eine Mischung. Ich wollte auch die unterdrückte Position von Frauen zeigen, auf beiden Seiten. Die Ehefrau des Ministers wird in ihrer Rolle und Handlungsmöglichkeiten unterdrückt, in einer anderen Art, aber dennoch ähnlich dem, wie es Salma ergeht. Das war für mich ein interessanter Punkt bei der Entwicklung der Geschichte. Es ist schon so, dass Frauen besonders im Grenzgebiet unter Druck von allen Seiten leiden. Aus dem Grund habe ich mich in einer Art Verpflichtung gefühlt, eine Frau in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen. Es war aber auch der Gedanke dabei, die Frage aufzuwerfen, ob die Konflikte sich nicht entschärfen ließen, wenn mehr auf die Stimme der Frauen gehört werden würde. Wobei die Beziehung, die sich zwischen den beiden Frauen entwickelt, nur in non-verbaler Weise entfaltet. Sie sprechen nie lange miteinander.

AVIVA-Berlin: Die israelische Familie bestellt für ihre Einweihungsfeier arabisches Essen. Wie sehr ist arabische Kultur in das alltägliche Leben in Israel eingebunden?
Eran Riklis: Mein Lieblingsessen ist Humus. Es gibt ein arabisches Restaurant in Tel Aviv, das sehr beliebt ist. Viele Juden gehen dort hin. Für mich ist das natürlich nur die Fassade der ganzen Sache. Der Minister bestellt arabisches Essen für seine Party und er lässt zwei arabische Musiker für das Unterhaltungsprogramm sorgen. Das bringt ihn aber keinen Schritt weiter, um sich seinen Nachbarn emotional näher zu fühlen. Deswegen habe ich das so inszeniert. Es ist Teil der Problems, eine Seite des Spieles, das die Leute jeden Tag spielen. Wer sagt "Ich liebe arabisches Essen", ist noch weit entfernt davon, zu sagen "Ich liebe die AraberInnen". Ohnehin, warum sollte es notwendig sein, das so zu sagen? Man sollte, wenn man über diese Beziehungen unter Menschen redet, nicht von Liebe und Hass sprechen. Man kann eine einzelne Person hassen oder lieben, das ist dann eine persönliche Sache. Aber wenn man von AraberInnen, JüdInnen, Hindu, Christen spricht, sollte man nicht verallgemeinernd davon reden, sie zu lieben oder zu hassen. Man kann sich nur auf sie als einzelne Menschen beziehen.

AVIVA-Berlin: Können Sie einschätzen, wie die Reaktionen in Israel auf den Film sein werden?
Eran Riklis: In Israel wird er sicher ein großer Erfolg werden. In Palästina wird er leider nicht gezeigt werden können, da gibt es keine Möglichkeit, einen Distributor zu finden. Vielleicht gibt es Gelegenheiten, ihn dort vor ausgewählten Publikum zu zeigen. Ich denke, in "Lemon Tree" geht es vor allem um Ehrlichkeit. Und wenn die Leute das spüren, haben sie keinen Grund, den Film nicht zu mögen. Sie können darüber diskutieren, argumentieren, sich streiten, aber akzeptieren werden sie ihn.

AVIVA-Berlin: Der Film ist eine Koproduktion von Israel, Deutschland und Frankreich. Warum kamen die beiden Länder hinzu?
Eran Riklis: Da ging es vor allem ums Geld. Die israelischen Budgets sind nicht besonders hoch. Es ist mir schon öfter aufgefallen, dass in Europa eine sehr offene Haltung gegenüber dieser Art von Themen besteht, ohne dass die Geldgeber dabei inhaltlich in die Projekte hineinreden wollen. Früher gab es mal eine Zeit, ich nenne sie "The Europe Pudding", da war das leider anders. Es entstanden Filme, die waren ein ganz furchtbarer Pudding aus kulturellen Elementen aus verschiedenen Ländern, die so in der Realität überhaupt nicht bestanden. Heute wird so etwas glücklicherweise nicht mehr verlangt. Man kann seinen Film vor Ort nach den eigenen Vorstellungen machen. Natürlich muss das Skript gut sein. Es muss eine universelle Aussage enthalten, denn der Film soll in seinem Kern überall verstanden werden. Deutsche Fonds sind mittlerweile sehr gute Förderer. Und dann ist da natürlich ARTE, die in Frankreich und Deutschland ansässig sind.

AVIVA-Berlin: Haben Sie schon Pläne für Ihre nächsten Filme?
Eran Riklis: Ich habe bereits zwei Skripts für meine nächsten Projekte, in denen es aber nicht um palästinensisch-israelische Konflikte gehen wird. Ich werde wahrscheinlich in diesem Jahr und 2009 je einen Spielfilm drehen.
In dem Einen geht um einen Mann, der die Leiche einer Frau, die in Jerusalem bei einem Suizidanschlag getötet wurde, zurück nach Russland bringen möchte. Sie hatte in seiner Fabrik gearbeitet: Das wird eine Art Road Movie.
Der Andere spielt in Deutschland. Es geht um einen Basketball-Trainer, der als Kind während der Nazi-Zeit den Holocaust überlebt hatte und später in Israel ein berühmter Trainer wurde. Im Jahre 1980 wird ihm der Job als Trainer des deutschen Basketball-Nationalteams angeboten. Er muss sich entscheiden, ob er dafür nach Deutschland zurückkehrt. Seine Mutter ist dagegen. Er fühlt sich aber sehr angesprochen von der Möglichkeit, dieses einmalige Jobangebot anzunehmen und zugleich an den Ort zurückzukehren, wo er früher lebte, trotz oder gerade wegen der Vergangenheit. Einen Teil des Filmes werde ich in Berlin drehen.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg und Spaß bei der Berlinale!

Lemon Tree
Drama, 100 Min.
Buch/Regie: Eran Riklis
ProduzentInnen: Eran Riklis, Bettina Brokemper, Antoine De Clermont-Tonnerre und Michael Eckelt
Koproduktion mit Eran Riklis Production (Israel), MACT (F) und Riva Film (D)
Produktion von der Filmstiftung NRW gefördert.
DarstellerInnen: Hiam Abass, Ali Suliman, Rona Lipaz-Michael, Doron Tavory, Tarik Copty, Amos Lavie, Amnon Wolf



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Beitrag vom 24.02.2008

AVIVA-Redaktion