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AVIVA-BERLIN.de 8/25/5784 - Beitrag vom 13.03.2013


Aquarell in Grau - Bilder über und dank Mascha Kalékos Poesie
Inessa Dolinskaia

Wenn Berlins Bilder in Poesie gefasst werden und die Stimmung dieser Gedichte wiederum zu Fotografien inspiriert, dann haben sich die Arbeiten zweier Künstlerinnen gefunden: Inessa Dolinskaia...




... folgte den Spuren der Dichterin durch die Stadt, in der Kaléko ein "paar leuchtende Jahre" lang gelebt hatte.



"als die Zeit still stand"


Entdeckt habe ich Mascha Kalékos Poesie in 2007. Damals schenkte mir Marina Gerschenowich eine von ihr selbst ins Russisch übersetzte Gedichtsammlung von Mascha Kaléko. Schon damals dachte ich an eine fotografische Umsetzung, aber andere Projekte hielten mich auf. So lag das Buch viele Jahre im Bücherregal, ohne dass ich meine Idee realisieren konnte.



"grundlos vergnügt"


Als meine Tochter zweieinhalb Jahre alt war, fragte sie mich, warum die Wolken fliegen, aber nicht herunterfallen. Ich antworte, ohne lange nachzudenken: "Weil sie vom Wind getragen werden." In Mascha Kalékos Poesie ist es ähnlich – auch sie erscheint wie vom Wind getragen.





1918 kam Mascha mit elf Jahren nach Berlin. Elf Jahre später, im Alter von 22, veröffentlichte sie ihre ersten Gedichte. Beim Lesen ihrer Werke spürt man, dass sie nach all den Jahren in Berlin angekommen und mit der Stadt vertraut war.



"Heimweh"


Hier treffen sich Maschas und meine Lebensgeschichte, denn auch ich war im selben Alter, als ich mit meinen Eltern aus Chernyakhovsk, Russland, nach Berlin kam. Im Laufe der Jahre entdeckte ich die Stadt immer mehr, die für mich wie auch für Mascha eine schöpferische Quelle wurde.



"Seiltänzerin"


Maschas Schaffenszeit in Berlin waren die 1930er Jahre. Mit ihren Gedichten traf sie den Nerv der Zeit. Sie skizzierte das Berliner Alltagsleben wie auch Freundschaften, Liebesbeziehungen und viele Berliner Orte und Schauplätze, die in mir Bilder wecken, wie unsere Stadt in den 1930er Jahren wohl aussah, wie sie sich anfühlte, wie das Leben in ihr wirkte.



"Bleibtreu"


Die Zeit in Berlin waren Mascha Kalékos "paar leuchtenden Jahre". Sie liebte ihre Stadt und konnte sich nur schwer von ihr trennen, als sie 1938 ins Exil nach Amerika auswandern musste.



"Schlaflose Nacht"


Und die Verbindung zu mir? Was bedeutet die Zeit in Berlin für mich?

Berlin ist mein Zuhause. Hier habe ich meine ersten Freundschaften entwickelt, hier habe ich meine erste große Liebe gefunden, hier habe ich mit 23 Jahren meine Liebe zur Fotografie entdeckt. Hier lernte ich zu träumen und zu fliegen. Ging es Mascha genau so? Ich bin mir sicher.





Was unterscheidet Berlin von anderen Städten? Jede Stadt hat eine positive, schöne, attraktive, aber auch eine weniger ansehnliche Seite. Bei Berlin ist dies meines Erachtens nicht der Fall. Denn das, was auf den ersten Blick unansehnlich wirkt, trägt eine innere Schönheit, die vorbeieilende Menschen oder auch Touristen nicht unbedingt erkennen können. Mascha hatte diesen besonderen Blick für diese unscheinbaren Dinge, denn sie war eine Beobachterin, die ihre Sicht mit Wörtern beschreiben konnte und dies mit viel Ironie tat.





Mitte, Charlottenburg und Steglitz waren Maschas Bezirke. Auch mein Leben und meine Arbeit sind geprägt von diesen Orten, da ich nur unweit von vielen Schauplätzen aus Mascha Kalékos Lyrik lebe. Durch die unmittelbare Nähe war es mir möglich, viele Fotoarbeiten direkt in der Straße oder im eigentlichen früheren Wohnhaus von Kaléko zu machen. Natürlich hat sich das heutige Berlin zu dem früheren verändert, doch denke ich, dass Mascha Berlin heute auch geliebt hätte. Gerade der Herbst, über den sie in zahlreichen Gedichten sinniert hatte, ist für mich bis heute die schönste Jahreszeit in der Hauptstadt. Der Herbst ist eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit der Entscheidungen und wichtiger Ereignisse in meinem Leben. Und diese Geschichte beginnt wieder im Herbst.



"Ein Abend im Herbst"


An dieser Stelle möchte ich etwas los werden. Die Arbeit habe ich für und mit Hilfe von AVIVA-Berlin gemacht. Ich habe die Arbeit so konzipiert, dass neben jedem Bild ein Gedicht von Mascha platziert wird, welches ich nach meiner Empfindung interpretiert habe. Aber, da Mascha nicht mehr am Leben ist, wird ihr Nachlass durch eine dritte Person verwaltet, die meine Bilder nicht passend fand und mir und der Redaktion nicht erlaubt, hat diese zu verwenden. Eine Art von Zensur, die auch im Jahr 2013 zu finden ist. Aus diesem Grunde habe ich für einige Bilder einen Namen vergeben, die einen direkten Bezug zum Gedicht haben und mit ein bisschen Geschicklichkeit kann man in Google schnell rausfinden um welches Gedicht es sich handelt.



"Du bist nicht mehr da"


Mascha Kaléko kam am 7. Juni 1907 in Chrzanów als Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter zur Welt.
1914 flohen die Eltern mit Mascha und ihrer jüngeren Schwester Lea in den Westen.

1918, nach Ende des Ersten Weltkriegs zog die Familie nach Berlin.
1928 heiratete sie den Journalisten und Philologen Saul Kaléko. Ab 1929 veröffentlichte sie Gedichte in Zeitungen, bevor 1933 ihr erstes Buch "Das lyrische Stenogrammheft" im Rowohlt Verlag erschien.
Schon 1934 folgte das zweite, "Kleines Lesebuch für Große". Doch schon kurz darauf, 1935, wurde sie aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und ihre Bücher durften nicht länger verkauft werden.

1938 wanderte die Dichterin mit ihrem zweiten Ehemann Chemjo Vinaver und dem gemeinsamen Sohn Steven nach New York City aus.
1945 erschien der Band "Verse für Zeitgenossen" in Cambridge, USA.
Im Januar 1956 trat Kaléko ihre erste Deutschlandreise nach dem Krieg an, der Rowohlt Verlag brachte in diesem Jahr eine Neuauflage des "Lyrischen Stenogrammhefts" im Taschenbuch heraus, 1958 erschienen dort ihre Exilgedichte "Verse für Zeitgenossen" in einer überarbeiteten Ausgabe.

1959 zog das Ehepaar Kaléko-Vinaver nach Jerusalem um. Im Juli 1968 starb Ihr Sohn Steven im Alter von nur 31 Jahren. Nach langer schwerer Krankheit starb 1973 auch ihr Mann Chemjo. Im Sommer 1974 trat sie ihre letzte Europareise an, von der sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr nach Hause zurückkehren konnte.

Am 21. Januar 1975 verstarb Mascha Kaléko in einer Zürcher Klinik. Sie wurde auf dem Israelitischen Friedhof Friesenberg beigesetzt.








Zur Autorin:

Die Fotografin Inessa Dolinskaia
wurde 1980 im russischen Saratow geboren. Bis zu ihrem 13. Lebensjahr lebte sie in Chernyakhovsk, Kaliningrad, bevor sie mit ihrer Familie nach Berlin auswanderte. Seit 2006 arbeitet sie freiberuflich als Fotografin. Sie ist Absolventin der Neuen Schule für Fotografie Berlin (Abschlussklasse 2009). Erste Ausstellungen hatte sie in den letzten Jahren in Berlin, Köln und München sowie 2012 in Hamburg. 2010 wurde sie mit dem Canon Profifoto Förderpreis ausgezeichnet.

Inessa Dolinskaias Arbeiten und mehr sind auf ihrer Website zu sehen:

www.tramvaj.de


Quellen:

Mascha Kaléko. Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden
Studienausgabe
Herausgegeben und kommentiert von Jutta Rosenkranz
Deutscher Taschenbuch Verlag, Oktober 2012
Übersetzung der fremdsprachigen Briefe und Textstellen: Britta Mümmler und Efrat Gal-Ed
Redaktion und Transkription des Briefbestandes: Eva-Maria Prokop
Originalausgabe 4.068 Seiten
ISBN 978-3-423-59087-7
www.dtv.de

Mascha Kaléko
In meinen Träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlass

Deutscher Taschenbuch Verlag
192 Seiten
ISBN 978-3-423-01294-2
www.dtv.de

Jutta Rosenkranz
Mascha Kaléko: Biografie

Deutscher Taschenbuch Verlag
300 Seiten, mit 26 s/w-Abbildungen
ISBN 978-3-423-24591-3
www.dtv.de

Mascha Kaléko
Die paar leuchtenden Jahre

Mit einem Essay von Horst Krüger
Herausgegeben und mit einer Biographie von Gisela Zoch-Westphal
Deutscher Taschenbuch Verlag
368 Seiten
ISBN 978-3-423-13149-0
www.dtv.de



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Das Projekt "Jüdische Frauengeschichte(n) in Berlin - Writing Girls - Journalismus in den Neuen Medien" wurde ermöglich durch eine Kooperation der Stiftung ZURÜCKGEBEN, Stiftung zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft



und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)



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Beitrag vom 13.03.2013

AVIVA-Redaktion