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AVIVA-BERLIN.de 3/23/5785 - Beitrag vom 20.05.2022


Genrevielfalt beim Jüdischen Filmfestival vom 14. bis 19. Juni 2022
AVIVA-Redaktion

Unter dem Motto JEWCY MOVIES werden in diesem Jahr beim Jüdischen Filmfestival Berlin | Brandenburg 43 Filme und 2 Serien in Potsdam und Berlin zu sehen sein. Eine Hommage wird in diesem Jahr der Regisseurin und Präsidentin der Akademie der Künste Jeanine Meerapfel gewidmet. Eröffnet wird das JFBB 2022 am 14. Juni im Hans Otto Theater Potsdam mit ihrem Film EINE FRAU.




Die Genrevielfalt reicht von der französischen Generationen-Komödie ROSE (Aurélie Saada, FR 2021) über die argentinische Mockumentary THE RED STAR (Gabriel Matías Lichtmann, AR 2021) und die israelische Nahost-Reflexion CINEMA SABAYA (Orit Fouks Rotem, IL/BE 2021), die den Konflikt im Rahmen eines Workshops mit jüdischen und arabischen Israelinnen reflektiert, bis zu BERENSHTEIN (Roman Shumunov, IL 2021) dem Portrait eines ukrainisch stämmigen Partisanen und Spions der Roten Armee.

Zum Programm gehören außerdem dokumentarische Essays wie Sergei Loznitsa BABY YAR. CONTEXT (NL 2021), persönliche Geschichtsbetrachtungen wie 1341 FRAMES OF LOVE AND WAR (Ran Tal, IL 2022) und zwei High-End-Serien, die in diesem Jahr israelische Kreatorinnen in den Fokus rücken. Abgerundet durch ein Kurzfilmprogramm.

Im Mittelpunkt des Festivals stehen die beiden Wettbewerbe um den besten Spiel- und Dokumentarfilm.

Im Spielfilmwettbewerb sind in diesem Jahr acht Filme vertreten:

In EVOLUTION (Kornél Mundruczó, HU/DE 2021, 97 Min) werden die generationsübergreifenden Auswirkungen und Traumata der Shoah in surrealen Bildern aufgezeigt. Der neue Film des ungarischen Kult-Regisseurs beruht auf seinem gleichnamigen Theaterstück:
"So ein künstlerisches Triptychon sieht man selten. In drei verschiedenen Pinselstrichen, durch drei Generationen hindurch, in nur drei Einstellungen malt dieser Film ein Bild davon, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst." (Arkadij Khaet, Programmkollektiv)

BERENSHTEIN (Roman Shumunov, IL 2021, 105 Min) feiert beim JFBB 2022 Deutschlandpremiere. Ein filmisch vielschichtiges Portrait des ukrainischen Sowjet-Partisanen und Spions Leonid Berenshtein. Der letzte lebende Ex-Kommandeur einer Partisanen-Einheit erinnert sich an die unfassbaren Schrecken des Krieges, die auch er nicht verhindern konnte und an den schließlichen Sieg. Ungewöhnliche Mischung aus Reenactment und Zeitzeugen-Interview.

CINEMA SABAYA (Orit Fouks Rotem, IL/BE 2021, 95 Min) zeigt im Stil eines dokumentarischen Workshop-Videotagebuchs die schwierige Annäherung zwischen Jüdinnen und Araberinnen in Israel. Schwere Themen, mit Lebenslust und großem Respekt inszeniert - von der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Männern bis zu essenziellen Fragen gesellschaftlicher Partizipation: warum wird auch in solchen Dialog-Workshops immer nur Hebräisch gesprochen?

Im Zentrum von CONCERNED CITIZEN (Idan Haguel, IL 2022, 82 Min) steht ein schwules Paar, das zur falschen Zeit in eine schöne Wohnung am falschen Ort einzieht. Eine alltagsnahe Reflexion um liberale Lebenslügen, immanenten Rassismus, Mitschuld und Verantwortung und Zivilcourage. "Das macht die Komfortzone für den modernen liberalen Betrachter unangenehm. Schwulenrechte, Frauenrechte, Gentrifizierung, Fremdenfeindlichkeit und Privilegien. Dieser Film lässt, durch die gezeigten realen Dilemmata neu bewerten, was Sie über diese Schlagzeilen zu wissen glauben." (Amos Geva, Programmkollektiv)

DER PASSFÄLSCHER (Maggie Peren, DE/LUX 2022, 116 Min) erzählt die bisher weitgehend unbekannte Geschichte von Cioma Schönhaus, der mit 20 Jahren begann, als Passfälscher zu arbeiten und dadurch Hunderten Berliner Jüdinnen und Juden eine neue Identität verschaffte.

WE MIGHT AS WELL BE DEAD (Natalia Sinelnikova, DE 2022, 93 Min) . Der psychologisch ausgefeilte Konzeptfilm über die Angst, nicht zur geschlossenen Gesellschaft dazuzugehören, eröffnete die diesjährige Berlinale-Sektion Perspektive deutsches Kino. "Warum ist es so schwer, in dieser Gesellschaft anzukommen? Und warum fällt es uns so schwer, andere in unser Gesellschaft mitmachen zu lassen? Ein treffender Zwischenruf über Transparenz und Ausgrenzung, offenbar zwei Seiten derselben Medaille." (Bernd Buder, Programmdirektor)

Die Mockumerntary THE RED STAR (Gabriel Matias Lichtmann, AR 2021, 72 Min) entwirft eine Biografie über eine der größten Mysterien argentinisch-jüdischer Geschichte: Laila Salama. Sie spionierte für den MI6 und war 1960 offenbar an der Entführung von Adolf Eichmann in Buenos Aires beteiligt. Eine Biografie, die so hätte existieren können.

ROSE (Aurélie Saada, FR 2021, 103 Min) ist die locker, leichte, sinnliche französische Komödie des diesjährigen JFBB. Es geht um die Frage, ob eine jüdische Witwe, die im fortgeschrittenen Alter ist, das Leben noch einmal genießen darf. "Eine ältere Frau als Protagonistin. Super! Es geht um Begehren und Sexualität im Alter und dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikt." Dr. Lea Wohl von Haselberg (Programmkollektiv)

Im Dokumentarfilmwettbewerb feiert ADAM & IDA des Berliner Regisseurs Jan Tenhaven (DE 2022, 83 Min) Weltpremiere beim diesjährigen JFBB. Dieser Film erzählt die Geschichte der scheinbaren Zwillinge Adam und Ida Paluch, die als Kleinkinder im Ghetto getrennt wurden, den Holocaust überlebten und sich 53 Jahre später auf wundersame Weise wiedergefunden haben.

WE WEPT WITHOUT TEARS (Gideon Greif/ Itai Lev, IL 2022, 72 Min) hat beim JFBB 2022 Deutschlandpremiere. Diese filmische Erinnerung an die Shoah verarbeitet die wichtigsten Zeitzeug*innenaussagen derer, die im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau unter Zwang die Opfer der Shoah beseitigen mussten.

1341 FRAMES OF LOVE AND WAR (Ran Tal, IL 2022, 90 Min) ist eine Foto-Chronik in bewegenden Bildern: Als Fotograf dokumentiert Micha Bar-Am wichtige Ereignisse und Kriege Israels, vom Eichmann-Prozess 1961 bis zum Libanon-Krieg 1982. Micha Bar-Am reflektiert über Geschichten und Erlebnisse hinter den Fotos – und seine Rolle als einer der wichtigsten Chronisten Israels.

In HOUSEWITZ (Oeke Hoogendijk, NL 2021, 71 Min) versucht die Filmemacherin Oeke Hoogendijk, die Geschichte ihrer Mutter zu begreifen. Erst allmählich versteht man, dass die kauzige ältere Dame, die hier in ihrem Wohnzimmer mit ihrer Katze fernsieht, dieses Wohnzimmer nie verlässt. Das Porträt einer klugen Frau, die jeden Tag mit dem Holocaust als Mitbewohner lebt.

BABI YAR. CONTEXT (Sergei Loznitsa, NL 2021, 121 Min): Das Massaker von Babyn Jar, bei dem deutsche nationalsozialistische Einsatzgruppen und lokale Polizeieinheiten mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden erschossen, gehört zu den grauenvollsten Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts. Sergej Loznitsas assoziative Montage aus Archivmaterialien erschließt präzise eine Leerstelle europäischer Geschichte.

Mit der Blue Box, einer kleinen metallenen Spardose, sammelte der Jüdische Nationalfonds Gelder, um in der Gründungsphase des Staates Israel von Araber*innen in Palästina Land zu kaufen. Im gleichnamigen Film BLUE BOX (Michal Weits, IL/CA/BE 2021, 80 Min) reflektiert die Filmemacherin die komplexe Geschichte ihres Urgroßvaters Yosef Weitz – ein "Gründungsvater", der aus dem kargen Boden Israels wunderbare grüne Wälder schuf, das Land dafür aber zuweilen mit moralisch fragwürdigen Methoden akquiriert hat.

In ihrem jüngsten Film A WOMAN (Jeanine Meerapfel, DE/AR 2021, 104 Min) beschäftigt sich Jeanine Meerapfel, der dieses Jahr die Hommage des JFBB gewidmet ist, mit der Biographie ihrer Mutter. Auf intime Art und Weise erinnert sie sich an eine Frau, für die das Gefühl von Heimatlosigkeit ein Dauerzustand war. Zugleich ist es die Geschichte der Exilerfahrungen einer ganzen Generation im 20. Jahrhundert.

LEAVING PARADISE (Ofer Freiman, IL 2020, 86 Min) zeigt, dass sich jüdisches Leben auch im brasilianischen Dschungel abspielt: Der 60-jährige Cleo bewirtschaftet mit seiner Großfamilie eine Farm im ländlichen Brasilien. Der Clan lebt wie eine Kommune und praktiziert ein sehr individuelles Judentum. Als die Kinder ihre Jüdischkeit ausleben und nach Israel ziehen wollen, sieht Cleo sein Lebenswerk in Gefahr. Welches ist nun das Gelobte Land?

RAYMONDE EL BIDAOUIA (Yaël Abecassis, IL 2020, 77 Min), erzählt die Geschichte der populären Sängerin Raymonde El Bidaouia. Die sephardische Jüdin wanderte mit 18 Jahren aus Casablanca nach Israel ein und überwand manchen Schicksalsschlag. Wie die Musik ihr dabei half, zeigt dieser Dokumentarfilm: "Während 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert werden, geht das jüdische Leben in Nordafrika auf die Bibel zurück. Der Film gibt einen Einblick in die Kultur des marokkanischen Judentums durch die Musik von El Bidaouia, beobachtet von ihrer Tochter, der israelischen Schauspielerin und Regisseurin Yaël Abecassis." (Amos Geva, Programmkollektiv)

SUMMER NIGHTS (Ohad Milstein, IL 2021, 53 Min), zeigt die Welt aus der Sicht eines 6-jährigen Kindes. Ein sensibel inszeniertes Portrait einer Vater-Sohn-Beziehung und ein zutiefst berührendes Herantasten an die große Frage, was Mensch-Sein eigentlich bedeutet. "Was kann von Generation zu Generation weitergegeben werden? Was bleibt in uns eingebettet, wenn diese Generation nicht mehr da ist?" (Amos Geva, Programmkollektiv)

Verliehen werden in den beiden Wettbewerben die Gershon-Klein-Preise, gestiftet von Familie Klein, in Erinnerung an die Berliner Kinolegende Gershon Klein. Dotiert mit jeweils 3.000 Euro.

Eine Hommage wird in diesem Jahr der Regisseurin und Präsidentin der Akademie der Künste Jeanine Meerapfel gewidmet. Eröffnet wird das JFBB 2022 am 14. Juni im Hans Otto Theater Potsdam mit ihrem Film EINE FRAU (Jeanine Meerapfel, DE/AR 2021, 100 Min).

"Das Jüdische Filmfestival Berlin|Brandenburg eröffnet an meinem Geburtstag mit meinem neuen Film EINE FRAU– was gibt es schöneres als endlich wieder gemeinsam zu feiern und im Kino Filme zu sehen? Ich freue mich auf die Hommage und die Gespräche mit anderen Filmemachern und dem Publikum." (Jeanine Meerapfel)

In der Sektion "Serial Fresh" zeigt das JFBB ausgewählte israelische Serien. 2022 mit einem Schwerpunkt auf Arbeiten von weiblichen Regisseurinnen.

Das JFBB wirft in diesem Jahr ein Schlaglicht auf die Veteraninnen der israelischen TV-Schaffenden, auf Pionierinnen, die ihre eigenen Kreationen auf den Bildschirm gebracht haben. Dana Modan mit SIGNIFICANT OTHER und Keren Margalit mit SLEEPING BEARS.

In Kino Fermished zeigt das JFBB 2022 eine ganz besondere Filmauswahl vom Leben und Arbeiten im Kibbuz in Israel (Apples and Oranges, Yoav Brill, IL 2021), über BELINA - MUSIC FOR PEACE (Marc Boettcher, DE 2021), die jüdisch-polnische Chanson- und Schlagersängerin, die in den 1960er Jahren musikalisch den Weg der Aussöhnung bestritt, bis zu einem zu Stalins Lebzeiten nie veröffentlichten Schwarzbuch über die Ermordung von Juden und Jüdinnen auf dem Territorium der UdSSR (The Mystery of the Black Book, Boris Maftsir, IL 2019).

Ein besonderes Filmerlebnis wird die Aufführung des Stummfilmklassikers Broken Barriers (Charles E. Davenport, US 1919, 78 Min) mit Live-Vertonung. Diese erste US-Adaption der Geschichte um Tewje, der Milchmann (Roman von Scholem Alejchem, später bekannt als Anatevka (Fiddler on the Roof) wird vom Berliner Musiker Daniel Kahn live begleitet.

Das JFBB bietet in diesem Jahr außerdem ein Filmbildungsprogramm, das sich an Schüler*innen der Sekundarstufe 2 richtet. Gezeigt werden drei ausgewählte Filme: Masel tov Cocktail (DE 2021, Arkadij Khaet, Mickey Paatzsch, 32 Min), Der Passfälscher (DE 2022, Maggie Peren, 116 Min) und Displaced (DE 2020, Sharon Ryba-Kahn, 87 Min). Im Anschluss finden Diskussionen mit den Filmemacher*innen statt. Die Veranstaltungen werden gemeinsam mit DAGESH-Jüdische Kunst im Kontext durchgeführt.

Die diesjährige "sommer school jüdischer Film" richtet sich an Studierende: Mit Unterstützung und in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland lädt die sommer school Master-Studierende und Promovierende unterschiedlicher Fachrichtungen ein, sich mit jüdischen Filmen zu befassen. Die Summer School wird von Prof. Dr. Doron Kiesel und der Filmwissenschaftlerin Dr. Lea Wohl von Haselberg (JFBB Programmkollektiv) geleitet.

Aktuelle Infos zum Jüdischen Filmfestival 2022, zu den Filmen und den Spielstätten und weiteren Aktivitäten rund um das Festival:

www.facebook.com/jffberlin und jfbb.info

Zur Geschichte und Gegenwart des Jüdischen Filmfestival Berlin und Brandenburg
Das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg wurde 1995 von Nicola Galliner, damals noch im Rahmen der Kulturarbeit der Jüdischen Gemeinde Berlin, gegründet. Seitdem entwickelte es sich kontinuierlich weiter, wurde bald unabhängig und dehnte sein Festivalgebiet auf ganz Berlin und Potsdam auf. Heute ist es das größte jüdische Filmfestival in Deutschland.


Quelle: Jüdisches Filmfestival. Copyright Plakat: JFBB/Esra Rotthoff


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Beitrag vom 20.05.2022

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