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Jüdisches Leben
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Beitrag vom 31.12.2003
Erica Fischer, Autorin von Jaguar & Aimée - Teil 1
Sharon Adler
1943 im englischen Exil geboren, wohin ihre Eltern - der Vater war Österreicher, die Mutter polnische Jüdin - 1938 geflüchtet waren. 1948 kehrte sie mit der Familie nach Wien zurück.
Seit 1994 lebt sie in Berlin. Sie arbeitet als Journalistin, Übersetzerin und Autorin, publiziert Aufsätze und Bücher über Gewalt gegen Frauen, Pornografie, Apartheid in Südafrika, Vergewaltigungen in Bosnien, Antisemitismus und Rassismus. Anfang der 70er Jahre war sie eine der Mitbegründerinnen der Neuen Frauenbewegung in Österreich sowie der feministischen Zeitschrift "Auf - Eine Frauenzeitung" und der Buchhandlung "Frauenzimmer". Ihre bekanntesten Bücher sind "Aimée & Jaguar" und "Die Liebe der Lena Goldnadel" Seit kurzem ist sie "stolze Betreiberin einer taufrischen Website" http://www.erica-fischer.de/
AVIVA-BERLIN: Sie veröffentlichen Geschichten von Menschen, die sich Ihnen anvertrauen. Kann man sagen, Sie "sammeln" sie, um sie aus ihrer Vergessenheit zu retten? Sind sie auch Mittel zum Zweck, um zu bestimmten Fragen vorzudringen? Sind Sie damit Traumatisierungen auf der Spur, die auch die stärkste Liebe nur selten überwinden kann?
Erica Fischer: Ich bin nicht missionarisch tätig, ich schreibe über Dinge, die mich interessieren.
Die Leute fragen mich manchmal, warum ich "Aimee & Jaguar" geschrieben habe.
Es ist einfach eine wahnsinnige Geschichte. Punkt. Es ist nicht so, dass ich die Menschen vor dem Vergessen retten will, es ist einfach mein eigenes Bedürfnis. Das Schreiben von "Aimee & Jaguar" hat mir sehr geholfen, weil ich denke, dass die Familie der Felice Schragenheim der meiner Mutter ähnlich war. So konnte ich mich meinen mir unbekannten (weil ermordeten) Großeltern annähern.
Die Arbeit zu "Lena Goldnadel" war für mich sehr beglückend - Juden in aller Welt zu suchen. Wobei mir aufgefallen ist, dass ich keine Geschichte über orthodoxe Juden geschrieben habe. Die würden mich wahrscheinlich doch nicht akzeptieren.
AVIVA-BERLIN: Aimée & Jaguar: Sie haben sich für den Wandel der Mutter, also für Lilly Wust interessiert und sind dann auf ein ganz anderes Thema gekommen....
Erica Fischer: Ja, das stimmt. Ich fand erst faszinierend, dass diese Mutter von vier Kindern sich so verändert. Im Zuge der Recherche habe ich mich immer mehr mit der Jüdin identifiziert, mich hat die jüdische Geschichte interessiert.
Mit „Aimee & Jaguar“ wollte ich neben der Liebesgeschichte die Situation von Juden in Berlin während der Nazi-Zeit vermitteln, insbesondere den Alltag, also jenseits von Millionen von Toten die allmähliche Verschlechterung der Lebensbedingungen, die allmähliche Entmenschlichung der Menschen zeigen. Da ich ein analytisch und politisch denkender Mensch bin, schält sich die Botschaft von selbst heraus.
Aber ich schreibe nicht, um eine Botschaft zu vermitteln.
Bei „Lena Goldnadel“ war die Ausgangsthese, dass das Trauma fortwirkt.
Letztlich geht es immer auch um mich selber. Eine der zehn in aller Welt recherchierten Geschichten ist ja auch autobiographisch. Bei allen Beteiligten wirkt die Schoah nach, auch bei den ganz jungen. Das hat meine These bestätigt, ohne dass ich gezielt nach gerade solchen Geschichten gesucht hätte.
Rückblickend muss ich aber auch sagen, dass dieses Herumreisen eine Flucht vor meiner eigenen tragischen Familiengeschichte war. Ich habe mich nach dem Tod meiner Mutter und dem Selbstmord meines Bruders in die Arbeit gestürzt, bin von Ort zu Ort gereist. Es war ein rauschhaftes Arbeiten und letztlich ein Verdrängungsprozess. Ich war high, es hat mir so viel Spaß gemacht, bei anderen Menschen auf Spurensuche zu gehen. Nur nicht bei mir selbst.
AVIVA-BERLIN: Hatten Sie Angst, dass die Verfilmung von Aimée & Jaguar im Bilderrausch des Gebrauchskinos endet? Denken Sie, die Ambivalenz der Liebesgeschichte und der Symbolik des Dritten Reichs ist genügend Rechnung getragen worden?
Erica Fischer: Ich hatte große Angst vor der Verkitschung. Weil mir bewusst war, dass diese Geschichte alle Ingredienzien für einen großen kitschigen Hollywood-Film hat.
Ich habe ja auch in meinem eigenen Buch „Aimee & Jaguar“ immer versucht, gegen die Romantik anzuschreiben. Ich wollte dieses schöne, geglättete Bild, das mir Lilly Wust vorgegaukelt hat, durchbrechen. Ich denke, es ist mir gelungen. Beim Film hatte ich Angst, dass gerade der politische Aspekt verloren geht. Ich war dann aber ganz angetan von Max Färberböcks Drehbuch. Die filmische Umsetzung gefiel mir weniger gut als das Drehbuch.
Ich hätte gern selbst am Drehbuch mitgearbeitet, aber da hatten die überhaupt kein Interesse dran. Die Produktionsfirma Senator ist ziemlich barsch mit mir umgegangen. Ich frage mich, ob das so war, weil ich eine Frau bin, denn ich kenne männliche Autoren, denen man sehr wohl angeboten hat, das Drehbuch zu schreiben. Das hat mich verletzt und verärgert.
Zum Film: Ich finde ihn für einen deutschen Film relativ gelungen. Färberböck hat weder nur eine romantische Liebesgeschichte daraus gemacht noch hat er sich vom Thema zu deutscher Schwere hinreißen lassen. Geprägt haben den Film aber letztlich die Schauspielerinnen. Die schauspielerische Leistung, vor allem von Juliane Köhler, finde ich hervorragend, genauso habe ich mir die Lilly von damals vorgestellt. Auch die Nebenrollen waren gut besetzt. Ich habe kein Problem damit, dass Färberböck sich nicht sklavisch an das Buch gehalten hat. Nur die Rahmenhandlung hätte er sich ersparen können. Nach Lektüre des Drehbuchs habe ich ihm geschrieben, es wäre doch origineller gewesen, wenn sich Lilly und Ilse in der Lesben-Disco wieder getroffen hätten statt im Altersheim. So stellt sich ein Mann wohl das Älterwerden von Lesben vor. Auf diese Anregung ist er nicht eingegangen.
Ästhetisch ich fand ich die Verfilmung nicht immer gelungen, es gab mir zu viel Werbeästhetik, er war mir zu glatt. Für einzelne Szenen allerdings bin ich ihm total dankbar. Zum Beispiel gibt es eine kurze Szene, die wahrscheinlich nur die verstehen, die etwas Bescheid wissen: "Mein Gott, was hast du getan", sagt Ilse, als sie erfährt, dass Lilly nach Theresienstadt gefahren ist, um Felice zu besuchen. Das wird nicht weiter ausgeführt, aber es ist genau der Punkt, worüber ich bei Lesungen mit dem Publikum diskutiere: Lillys Reise nach Theresienstadt war eine unüberlegte, eigensüchtige Handlung. Eine Woche später wurde Felice nach Auschwitz deportiert. Ob es einen Zusammenhang gab, wird man nie wissen, aber es hätte einen geben können.
Auf diesen kritischen Hinweis reagieren die Hörerinnen und Leserinnen sehr heftig. Es ist für sie schwer zu akzeptieren, dass eine solche Liebe in einer Zeit, in der Juden nie ihres Lebens sicher sein konnten, mit anderen Augen gesehen werden muss als heute. Es ist sehr interessant, was die Leute aus so einem Buch herauslesen, es hängt von den eigenen Erfahrungen, der eigenen Sensibilität und dem eigenen Interessen ab.
Eine Freundin aus Wien rief mich an, weil sie es unerträglich fand, wie antisemitisch Lilly Wust ist. Das haben sehr wenige herausgelesen. Lilly hat noch 1991 antisemitische Klischees reproduziert. Das steht alles unkommentiert in den O-Tönen im Buch. Da gibt es zum Beispiel diese eine Äußerung: "Sie sah nicht jüdisch aus, nur wenn sie ihre Tage hatte". Wenn ich die Leute darauf aufmerksam mache, sind sie ganz erstaunt: "Ach, wirklich, das habe ich überlesen."
AVIVA-BERLIN: Woran schreiben Sie im Augenblick?
Erica Fischer: Ich schreibe eine afghanische Familiengeschichte. Eine in Berlin lebende Afghanin - Mariam Notten - hat mich angesprochen und nun schreibe ich über hundert Jahre Afghanistan im Spiegel der Geschichte von vier Frauengenerationen. Sie erzählt mir und ich schreibe. Das ist eine sehr schöne Kooperation, und ich freue mich, dass Hanser das Projekt angenommen hat. Das Buch wird nächstes Frühjahr erscheinen.
Es ist eine persönliche, überaus turbulente Geschichte, die mit einer Blutrache beginnt. Das Schreiben dieser Geschichte macht mir großen Spaß, aber natürlich möchte ich auch etwas über Afghanistan vermitteln. Die Leute kennen das Land nur wegen der Taliban, aber das war nur ein kurzer Abschnitt in der afghanischen Geschichte. Ich will zeigen, dass die Frauen, obwohl sie niemals gleichberechtigt waren, trotzdem ihre eigene Stärke und ihre eigenen Strategien der Gegenwehr entwickelt haben, und wie sie zumindest im privaten Bereich durchaus durchsetzungsfähig waren und sind.
Es ist wunderbar: Ich kann mich in eine andere Welt hineinversetzten, ohne mein Büro zu verlassen! Die Lust am Schreiben und am Lernen steht immer im Vordergrund, die politische Message ergibt sich dann ganz von alleine.
AVIVA-BERLIN: Sie waren sehr stark in der Frauenbewegung aktiv. Woran liegt es Ihrer Meinung, dass wenige Frauen aus der 68er Bewegung ihren Protest direkt mit dem Verhalten ihrer Eltern und Großeltern in der Nazizeit in Zusammenhang brachten?
Erica Fischer: Ich selber bin 1968 nicht aktiv gewesen, sondern erst in der Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre in Wien. 1968 war ich ein unheimlich verschrecktes und schüchternes Mädchen. Und die 68er - auch die Frauen - waren so radikal und streng. Ich denke, dass man damals mehr Kritik an der Gesamtgesellschaft geübt und sich nicht so sehr die eigene Familiengeschichte angeschaut hat. Das machen die Kinder und Enkelkinder der Nazi-Täter ja heute immer noch nicht. Eigentlich tun das nur die Juden. Die Bewegung war gewiss eine Reaktion auf die Nachnazizeit, aber individuell wurde das gar nicht so wahrgenommen und vor allem nicht auf die eigene Familie bezogen.
Teil 2