Zentralrats-Präsident Paul Spiegel ist gestorben - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Juedisches Leben



AVIVA-BERLIN.de 3/23/5785 - Beitrag vom 30.04.2006


Zentralrats-Präsident Paul Spiegel ist gestorben
Sarah Ross

Am heutigen Sonntagmorgen, den 30.04.2006, verstarb der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland nach langer und schwerer Krankheit in Düsseldorf. Er wurde 68 Jahre alt.




Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, teilte heute mit, dass Paul Spiegel nach langer und schwerer Krankheit gestorben ist. Nach dem Tod von Ignaz Bubis im Jahr 1999 hatte Paul Spiegel das Amt des obersten politischen und religiösen Repräsentanten von mehr als 100.000 Juden in Deutschland übernommen, und wurde im Januar 2000 an die Spitze der Dachorganisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland gewählt. Obwohl Spiegel bereits Anfang Februar einen Herzinfarkt erlitten und sich zudem eine Lungenentzündung zugezogen hatte, kam sein Tod trotz allem sehr überraschend. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich tief betroffen: "Der verstorbene Präsident des Zentralrats der Juden war eine beeindruckende Persönlichkeit... Paul Spiegel hat sich konsequent zu den Grundfesten der Demokratie bekannt. Er mahnte, wo viele stumm blieben. Sein Einsatz für Zivilcourage, für Toleranz und gegenseitigen Respekt und gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hat Maßstäbe gesetzt", so die Kanzlerin.
Nach Kramers Angaben soll die Beerdigung in den kommenden Tagen stattfinden. Die StellvertreterInnen Charlotte Knobloch und Salomon Korn werden Spiegels Aufgaben nun übernehmen, was sie auch bereits während seiner Krankheit getan hatten.

Der Unternehmer, Journalist und Präsident des Zentralrats der Juden wurde am 31. Dezember 1937 in Warendorf als Sohn einer westfälischen Familie von Viehhändlern geboren. Spiegel war nicht einmal zwei Jahre alt, als seine Familie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1939 nach Brüssel floh. Versteckt von einer Bauernfamilie überlebte er den Holocaust in Flandern. Auch sein Vater überlebte die Shoah - er war in den KZs Buchenwald, Auschwitz und Dachau inhaftiert. Doch seine ältere Schwester Rosa wurde bei einer Razzia in Brüssel verhaftet und von den Nazis in das Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt. Dort ist sie ums Leben gekommen. Diese Ereignisse beschrieb Paul Spiegel auch in seinem Buch "Wieder zu Haus?" (Ullstein Verlag, 2003).
Nach dem Abitur 1958 begann er ein journalistisches Volontariat bei der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" in Düsseldorf. Dort war er bis 1965 als Redakteur tätig, wobei er in den 1960er Jahren auch für andere Zeitungen schrieb. 1964 heiratete er Gisèle Spatz, mit der er zwei Töchter hat, und betrieb schließlich seit 1986 eine internationale Künstler- und Medienagentur in Düsseldorf (www.paulspiegel.de).

Schon seit seinem 30. Lebensjahr engagierte er sich in jüdischen Organisationen: Von 1967 an war er im Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf vertreten, dessen Vorsitz er 1984 übernahm. Bereits 1993 wurde Mitglied der Exekutive des Zentralrats der Juden in Deutschland - zunächst als Vizepräsident und später dann als Präsident.

Paul Spiegel, der einer der letzten Zentralratsvorsitzenden war, der den Holocaust überlebte, warnte ohne Unterlass vor dem Wiederaufkeimen rechtsextremer und antisemitischer Strömungen und Gewalt in Deutschland. Denn jeder Angriff auf eine Minderheit ist nach Spiegel "ein direkter Angriff auf unsere Demokratie und damit auf jeden Staatsbürger". Besonders als im Oktober 2000 ein Brandanschlag auf die Synagoge seiner Düsseldorfer Gemeinde ausgeübt wurde, forderte er einen Monat später - auf einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin aus Anlass des Jahrestages der Pogromnacht 1938 - "deutliche Signale, dass die nichtjüdische Bevölkerung in ihrer Mehrheit uns und unsere jüdischen Gemeinden in diesem Land haben wollen".

Spiegel hat in seinem Leben, und besonders während seiner Amtszeit, einige wichtige Ziele erreicht, um nicht zuletzt auch das Miteinander jüdischer und nichtjüdischer BürgerInnen auf eine dauerhaft positive Basis zu stellen. Höhepunkte seines Wirkens als Präsident des Zentralrats der Juden waren unter anderem die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen Deutschland und dem Zentralrat im Januar 2003, die Vereinbarung über die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen sowie die Eröffnung des Holocaust-Denkmals in Berlin.
Am 11. Februar 2004 erhielt Paul Spiegel die Ehrendoktorwürde der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er war ebenfalls Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Warendorf.

(Quellen: www.abz.ch, www.ftd.de, www.n24.de und www.de.today.reuters.com)

Weitere Informationen finden Sie unter: www.zentralratdjuden.de



Jüdisches Leben

Beitrag vom 30.04.2006

Sarah Ross