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AVIVA-BERLIN.de 1/27/5785 - Beitrag vom 12.09.2007


Konservativer Feminismus
Elisa Klapheck

Es gibt sie also doch – die neue Frau – und damit auch die neue Jüdin, die als konservative Feministin an der alten Lehre festhält. Ein Beitrag von Rabbinerin Elisa Klapheck




Die Philosophin Margarete Susman hat einmal auf ein Paradox hingewiesen: Der ganz revolutionäre sei zugleich der ganz konservative Jude. Denn gerade der revolutionäre Jude hält an der alten Lehre fest – der Tora, die zu realer Freiheit und konkreter Verantwortung anspornt.

Daran musste ich in diesen Tagen denken, als der Egalitäre Minjan – die liberale Gruppierung innerhalb der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt - seine Bat Mizwa feierte. Zwölf Jahre existiert die Gruppe, und ihre Mitglieder beschlossen, das Jubiläum mit einem gruppendynamischen Prozess zu begehen. Im zwölften Jahr gestalten die Frauen eine kollektive Bat Mizwa – und im kommenden 13. Jahr werden die Männer die Bar Mizwa der Gruppe feiern.

Also: keine Bat Mizwa eines zwölfjährigen Mädchens, das ab jetzt im rituellen Sinne mündig ist, sondern das Mündigwerden einer ganzen Institution. Ein solche, von erwachsenen Frauen gestaltete Gruppen-Bat-Mizwa hat es in Deutschland meines Wissens noch nicht gegeben.

Der Gottesdienst enthielt viele originelle Momente. Zwar folgte er streng dem klassischen Ablauf, doch den Ton bestimmten die Lebenserfahrungen der Frauen. Viele sind nicht in Deutschland geboren. Fast alle sprachen während der Vorbereitungstreffen über ihr Erleben des Exils. Wo sonst in den Gebeten das jüdische Exil als eine Strafe für die Sünden der Vorfahren aufgefasst wird, da interpretierten die Frauen nun in dem Bat-Mitzwa-Gottesdienst ihr eigenes Exil als eine Chance. Wo sonst in der jüdischen Liturgie das Individuum hinter die Gemeinschaft zurücktritt, da betonten die Frauen, dass dieser Minjan eine Gemeinde von Individualisten sei, in der man gerade aus Liebe zum Individualismus Mitverantwortung für die Anderen mit ihren jeweils ganz unterschiedlichen Biographien empfinde. Wo die Tora Begriffe wie "Priesternation" und "heiliges Volk" in Abgrenzung zu den anderen Völkern anführt, da erklärten diese Frauen, dass auch der Abgesonderte immer noch unter Menschen lebt und mit seiner Absonderung lediglich eine andere Qualität in die zwischenmenschlichen Beziehungen einführe.

Bei den Vorbereitungen des Gottesdienstes entstand ein Foto. Man sieht zehn Frauen aller Altersstufen, die mit strahlenden Gesichtern und Tallitot, Gebetsschals, über den Schultern, um die geöffnete Tora-Rolle stehen. Dies sind keine Feministinnen, die mit lauten, männerfeindlichen Sprüchen das jüdische Patriarchat in Grund und Boden verdammen. Es sind vielmehr zehn Frauen, die an der jüdischen Tradition anknüpfen und sie von innen heraus neu interpretieren. Es sind keine Ausnahmefrauen, die als Einzelne die Regel des jüdischen Patriarchates bestätigen. Denn bei diesem Bat-Mitzwa-Ereignis hörten die Männer und Lebenspartner dieser Frauen angeregt zu – wissend, dass im nächsten Jahr ihr Echo gefragt ist.

Am Rande sagte jemand: Jetzt haben wir schon eine Kanzlerin, neuerdings eine Präsidentin des Zentralrates der Juden und jetzt feiert unser Minjan seine Bat Mizwa.

Es gibt sie - die neue Jüdin. Aber sie ist eine konservative Feministin. Sie hält immer noch an der alten Lehre fest. Sie überträgt das niemals verstummende Gebot der Tora, sich zur Freiheit und Verantwortung zu emanzipieren, in keine Utopie, sondern in eine konkrete Gegenwart. Dies ist nicht weniger radikal!


Mehr zu Rabbinerin Elisa Klapheck im Interview mit AVIVA-Berlin von 2004.

Lesen Sie auch unsere Rezension zu Elisa Klaphecks Buch So bin ich Rabbinerin geworden.



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Beitrag vom 12.09.2007

AVIVA-Redaktion