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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 04.04.2008


Mich hat man vergessen. Das Interview mit Eva Erben
Kristina Tencic

"Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist" – das ist das Motto von Eva Erben, denn dieses Vergessen hat ihr auf dem Todesmarsch von Auschwitz das Leben gerettet und hilft ihr,...




...weiterhin lebensfroh und humorvoll mit diesen Erfahrungen umzugehen.

Das Klassenzimmer in dem Berliner Gymnasium Lilienthal ist hell und geräumig. SchülerInnen der zehnten Klasse sitzen auf ihren zum Podium gerichteten Stühlen und hören zu. Die Frau, der sie so gebannt zuhören, sitzt nur wie durch ein Wunder auf dem Podium und spricht zu den SchülerInnen: Eva Erben ist eine Überlebende des Holocaust. Durch Glück, durch pures Glück, so sagt sie, hat sie überlebt und kann für die unzähligen Toten eine Stimme ergreifen.

Dass sie dieses Glück zu schätzen weiß, sieht man ihr auf den ersten Blick an. Fröhlich und dynamisch, wohl dynamischer als manch eine/r der Jugendlichen im Raum, tritt sie mit der Moderatorin des RBB, Shelly Kupferberg, in einen Dialog. Sie schaut ins Publikum, entdeckt eine Bekannte und wirft ihr eine Kusshand zu. Die Frau ist, wie sich später herausstellt, die Ehefrau von Günter Jauch. Die Jauchs haben sie und ihren Mann in Israel besucht, nachdem Frau Erben sie eher scherzhaft per Brief zum Kaffee eingeladen hatte, da sie ein großer Fan von "Wer wird Millionär" ist.

Als ob sie die Geschichte selbst zum ersten Mal hört, folgt sie aufmerksam den vorgetragenen Passagen aus ihrem Buch "Mich hat man vergessen". Es liest eine Schülerin, die etwa 15 Jahre alt ist, wie Eva Erben damals, als sie von Auschwitz aus auf den Todesmarsch geschickt wurde. Später erzählt sie dann, dass der Holocaust für sie wie ein Haus sei. Ein Haus mit vielen Gängen, Zimmern und Fenstern. Durch welches Fenster man auch blickt – immer offenbart sich dahinter eine neue Sichtweise des Erlebten. Eva Erben gibt jedem, der möchte, am liebsten aber den Kindern, einen Einblick in ihr Fenster. Sie macht es weit auf, empfängt alle herzlich und – erzählt.

AVIVA-Berlin: Frau Erben, wir haben gerade an einer Lesung Ihres Buches teilnehmen dürfen und Sie haben bereits auf viele Fragen aus dem Publikum geantwortet. Warum glauben Sie, dass man eine Geschichte über den Holocaust besser in einer kindlichen Sprache erzählen kann?
Eva Erben: Ich glaube nicht, dass das an der kindlichen Sprache liegt. Ich kann das nur in einer mehr oder weniger kindlichen Art erzählen, weil ich es nun mal als Kind erlebt habe.

AVIVA-Berlin: Sie wurden 1945 auf den Todesmarsch gejagt und unter einem Heuhaufen vergessen. Was glauben Sie, hat Sie vor dem Tod gerettet? War es Glück oder war es ihre Stärke?
Eva Erben: Es war pures Glück, überhaupt nicht meine Stärke. Nur Glück, weil diese Situation keine Frage von Weisheit oder Stärke war. Man war einfach der Willkür der deutschen Besatzer ausgeliefert und konnte überhaupt nicht über sich entscheiden, also es war nur, nur Glück.

AVIVA-Berlin: Im Ghetto Theresienstadt wurde Unterricht als Spiel getarnt. Haben Sie auch Unterricht in Form von Spielen erhalten?
Eva Erben: Ja, selbstverständlich. Wir haben nur durch Erzählungen gelernt, denn wir hatten ja kein Papier oder eine Tafel. Wenn jemand von der SS oder den Deutschen bei uns vorbeischaute, pfiff derjenige, der Wache hielt, ein bestimmtes Lied oder klopfte an die Tür. Dadurch wussten wir, dass Gefahr droht und haben sofort angefangen zu singen, denn singen war erlaubt.

AVIVA-Berlin: Sie beschrieben in ihrem Buch die Familie als einen "kleinen Staat". Kommt das von der Erfahrung der Staatenlosigkeit, die viele Juden im Holocaust gemacht haben?
Eva Erben: Ich denke, wenn Harmonie und Verständnis herrscht und man bereit ist, Kompromisse einzugehen, kann eine Familie gut funktionieren –so wie ein Staat dann auch gut funktioniert. Und eine glückliche Familie ist für den Staat förderlich, da aus einer glücklichen Familie meist glückliche Menschen kommen. Das ist doch besser als Geschiedene oder Problemkinder.

AVIVA-Berlin: Ihr Mann, Peter Erben war auch im Ghetto Theresienstadt gefangen. Mit ihrer Tante, die Sie nach dem Krieg aufnahm, konnten Sie über das Erlebte nicht reden. Haben Sie später mit ihrem Mann über Ihre Erfahrungen gesprochen?
Eva Erben: Selbstverständlich. Das Hauptthema ist natürlich das tägliche Leben, die Kinder. Aber beide sind wir von dieser Zeit geprägt. Wir waren an denselben Orten und haben dasselbe gesehen, das hat viel zu unserem Leben und unserem beidseitigen Verständnis beigetragen.
Und dann sind da auch meine Ängste. Nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich immer geträumt, dass man mir das Kind wegnimmt und fing an zu schreien. Peter hat es sofort verstanden und mir das Baby ins Bett gebracht. Ein anderer Mann hätte mich wohl für verrückt erklärt und zum Psychiater geschickt – was damals wohl auch nicht schlecht gewesen wäre (lacht).

AVIVA-Berlin: Wie wichtig ist Ihnen Humor bei dem Umgang mit Ihren Erlebnissen?
Eva Erben: Sehr. Es ist natürlich ein schwarzer Humor, aber man muss sich nicht immer so schrecklich wichtig nehmen. Man kann Dinge ein bisschen herunter spielen und sie dabei wiederum ganz klar machen. Aber ja, ich erzähle schlimme Sachen gerne mit Humor.

AVIVA-Berlin: Haben Sie je mit dem jüdischen Selbsthass, den manche Juden durch die Propaganda der Nazis entwickelt haben, Erfahrungen gemacht?
Eva Erben: Ja, manche Leute hatten den schon, den jüdischen Selbsthass. Bruno Kreisky zum Beispiel. Er war ein Jude, aber hat sich immer gegen die Juden gestellt. Selbstverständlich haben Juden auch manche schrecklichen Eigenschaften, so wie alle Menschen auf der Welt. Aber bei den Juden sieht man das viel strenger, da heißt es gleich: Das ist ein Jude. Wenn ein Nicht-Jude die gleichen Dinge tut, würde man sagen: Das hat der Herr Kaufmann gemacht - man sagt nicht: Das war der Katholik oder der Protestant!

AVIVA-Berlin: Im Jahre 1966 haben Sie das erste Mal nach Ihrer Emigration nach Israel eine Europareise mit Ihrem Mann und Ihren Kindern unternommen. Wie war es damals für Sie, als Sie nach Deutschland gekommen sind?
Eva Erben: Ich hatte große Angst in Deutschland. So wollten wir nicht in Deutschland schlafen, weshalb wir stundenlang gefahren sind, um an die tschechische Grenze zu kommen. Ich hatte Angst, dass irgendwo ein alter Nazi erkennt, dass wir aus Israel kommen und auch noch meinen Kindern etwas antut. Das Auto hatte ja ein israelisches Kennzeichen, daher wollte ich nicht anhalten, nichts kaufen, nicht sprechen und ich wollte in Deutschland auch nichts essen.

AVIVA-Berlin: Man glaubt ja, dass man keine Angst mehr haben kann, wenn man solche schrecklichen Dinge erfahren hat, aber Sie leben auch heute noch in Israel mit der Angst vor den Bomben.
Eva Erben: Nein, ich lebe absolut nicht in einer Angst, ich lebe in einer Hoffnung! Ich möchte gerne, dass zumindest meine Kinder in Israel den Frieden erleben! Jeder Mensch hat natürlich gewisse Ängste, aber Ängste helfen, Gefahren rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Überall auf der Welt kann jemandem etwas passieren - in Amerika kommt ein Verrückter in die Schule und erschießt sechs Menschen - es ist eine Glückssache und Angst habe ich nicht.

AVIVA-Berlin: In deutschen Medien erfuhr man vor ein paar Monaten, dass Holocaust-Ãœberlebende oft eine niedrige Rente beziehen, und manche von ihnen in Armut leben. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Eva Erben: Ja, ich weiß, dass es solche Menschen gibt. Aber ich und mein Mann sind sehr jung nach Israel gekommen, haben die ganze Zeit gearbeitet und somit auch eine gewisse Rente. Von den Reparationszahlungen könnte man nicht leben.Ich weiß erst heutzutage, was man uns damals alles gestohlen hat. Als ich 1930 geboren wurde, hat mein Vater 50.000 Kronen bei einer Schweizer Bank eingezahlt. Die ganzen Jahre über war das Geld dort und die Bank hat sich nicht gemeldet. Zufällig hat dann ein Freund im Internet den Namen meines Vaters gefunden. Nachdem ich ein Formular eingereicht habe, bekam ich 5000 Euro. Von 50.000 Kronen! Das war 1930 enorm viel Geld und wenn man die 60 Jahre Zinsen dazuzählt - ich hätte viel mehr bekommen sollen! Die ganze Welt hat sich gut an den Juden bereichert. Dadurch leben auch heute in Israel noch viele Menschen in Armut.

AVIVA-Berlin: Sie haben den SchülerInnen berichtet, dass Sie im Jüdischen Museum Berlin einmal auf sechs Neo-Nazis gestoßen sind. Was, glauben Sie, kann man dem Antisemitismus entgegen setzen?
Eva Erben: Ich glaube, Antisemitismus ist eine chronische Krankheit, die man niemals loswerden wird, weil sie so tief in den Menschen verankert ist. Leute, die nie einen Juden gesehen haben, sind Antisemiten. Das hat etwas mit Dummheit zu tun, mit Unwissenheit! Man hat was gegen die Juden, weil sie mit Geld handeln. Ja, damals haben sie mit Geld gehandelt, denn sie durften nichts anderes machen! Sie durften nicht in die Universität gehen, durften kein Land besitzen - auch die Religionen haben schrecklich viel zu dem Hass beigetragen.
Ich glaube, ich ignoriere den Antisemitismus einfach, ich lache darüber! Leider kann der Antisemitismus aber auch sehr gefährlich sein. Die Menschen wehren sich nicht genug dagegen, da sie, wenn sie keine Juden sind, sich nicht davon betroffen fühlen. Sie wollen sich nicht mit diesen schwachsinnigen Menschen anlegen.
Den Kindern im Museum habe ich gesagt: "Was ist das für eine Heldentat, in der Nacht auf einen Friedhof zu gehen und Hakenkreuze auf die Steine zu malen? Das ist doch eine Debilität ersten Ranges! Vielleicht liegt dort ein Arzt, der ein Medikament erfunden hat, welches dir heute das Leben rettet! Oder ein Musiker, dessen Musik das Leben schöner macht - also was soll dieser Hass?"
Das einzige, was vielleicht helfen könnte, ist die Erziehung – aber ich glaube, der Antisemitismus ist unausrottbar.

AVIVA-Berlin: Wenn Sie, wie heute, Kindern von Ihrer Geschichte erzählen, haben Sie dann das Gefühl, dass Sie von sich selbst sprechen?
Eva Erben: Nein, ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich mich da heraus halten muss. Ich lebe und erzähle über mich, aber in mir sind all die 15.000 Kinder (aus Theresienstadt, Anm.d.Red.) verkörpert, die nicht überlebt haben. Ich bin nun mal ein Zeuge einer solch außergewöhnlichen Zeit, aber ich will deswegen kein Mitleid. Ich habe mein Leben schön gelebt, da ich so eine Blutgruppe habe, die mich stark genug macht hat, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Mein Motto ist: "Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist". Denn die Gegenwart und die Zukunft habe ich in meiner Hand, und mit diesem Geschenk will ich behutsam umgehen. Ich habe gerne Menschen um mich und ich sehe nicht schwarz!

AVIVA-Berlin: Das sind hoffnungsvolle Worte zum Schluss! Ich bedanke mich sehr für dieses Gespräch!

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Kristina Tencic