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Beitrag vom 23.05.2017
Berlin Syndrom - Regie Cate Shortland. Kinostart 25. Mai 2017
Helga Egetenmeier
Cate Shortland kann Thriller aus dem Alltag schälen. Gezielt findet sie den Horror, den harmlos erscheinende Menschen in sich tragen. Als die australische Backpackerin Clare (Teresa Palmer) auf den Berliner...
...Englischlehrer Andi trifft, soll es für sie eigentlich nur eine kurze Affäre werden und nicht der Alptraum ihres Lebens. Nach dem gleichnamigen Berlin-Roman der Australierin Melanie Jooster verfilmte Cate Shortland deren touristische Erfahrungen als Psychothriller.
In ihren lebensnahen Kinofilmen nimmt die australische Regisseurin und Autorin Cate Shortland die subtilen Gefühlswelten couragierter junger Frauen in den Fokus. So verdichtete sie in ihrem ersten Spielfilm, "Somersault - Wie Parfum in der Luft", der 2004 im Wettbewerb in Cannes lief, das angstbesetzte Coming-of-Age einer 16-Jährigen. Darauf folgte mit "Lore" ein 1945 spielender NS-Historienfilm, der in Deutschland gedreht wurde. Thrillerelemente des Alltags nutzend, folgt die Kamera Lore, die sich mit ihren Geschwistern auf den Weg zu ihrer Großmutter macht, nachdem ihre Nazi-Eltern sie verlassen haben.
"Berlin Syndrom", ihr dritter Kinofilm, lief bereits auf der Berlinale 2017 im Panorama. Der Film pendelt zwischen Hauptstadtflair und nostalgischer Hinterhofeinsamkeit, bevor er sich zu einem bedrohlichen Kammerspiel entwickelt. Die in Brisbane gedrehten Innenaufnahmen lassen den beiden Hauptfiguren Clare und Andi trotz der Enge der Altbauwohnung viel Raum für ihr bedrohliches Spiel. Gekonnt kontrastieren dazu die in Berlin gedrehten Außenaufnahmen, bei denen die Kamera dicht an diesen beiden Charakteren bleibt.
Menschen in extremen Situationen
Fotomotive suchend, streift die verloren wirkende australische Touristin Clare - zurückgenommen, wie auch intensiv gespielt von Teresa Palmer - durch das sonnige Kreuzberg. Dabei fällt ihr der bürgerlich-intellektuell wirkende Andi (Max Riemelt) auf, der sich ihr als Englischlehrer vorstellt. Clare wird durch seine eigenwillige Fremdheit angezogen und da sie sich etwas einsam fühlt, beginnt sie eine Affäre mit ihm.
Doch nach einer schönen Nacht in seiner Wohnung erkennt sie die Wahrheit in den Zufällen, sie ist eingesperrt. Erst halbherzig und dann immer verzweifelter werden ihre Fluchtversuche. Dabei macht Clare eine Metamorphose durch und wird von der ziellos Suchenden zu einer kämpfenden Frau, die sich der Bedeutung von Freiheit allmählich bewusst wird. Doch auch Andi ist Gefangener seiner Vergangenheit, der versucht seine Macht über Clare, die ihm einzig nahe Person, zu behalten.
So zeichnet dieser Thriller mit Berlin-Flair auch das Bild zweier einsamer Menschen über die Ländergrenzen hinweg. Die zum Schluss angebotene Erklärung für den in der DDR aufgewachsenen Andi ist historisch interessant gedacht, bleibt jedoch aus weiblicher Sicht zu kurz gegriffen und damit unbefriedigend.
AVIVA-Tipp: Cate Shortlands Thriller startet langsam und bleibt zunächst nah am Alltag einer allein reisenden Berlin-Touristin, bevor deren Leben zu einem Alptraum wird. Intensiv und intim gespielt, steht die Hoffnung der Frau auf Zuneigung dem Machtgebaren des Mannes gegenüber, bevor sie dieses Verhältnis langsam verschiebt. Da der Film seinen Figuren gegenüber zugetan wie auch skeptisch bleibt, unterstreicht er die darin angelegte alltägliche Paranoia um Vertrauen und Lüge. Jedoch bremst der überfrachtete Schluss die Leichtigkeit der Inszenierung am Ende etwas aus.
Zur Regisseurin: Cate Shortland, geboren 1968 in Temora, Australien, mit einem Bachelor of Arts von der Universität Sydney, machte ihren Abschluss an der Australian Film Television and Radio School, dort erhielt sie als vielversprechende Studentin den Southern Star Award. In den Jahren 2001 bis 2002 führte sie bei mehreren Folgen der Fernsehserie "The Secret Life of Us" Regie und verfilmte "The Slap" ("Nur eine Ohrfeige") als 8-teilige, hochgelobte Miniserie, die auch auf ARTE lief, wofür sie für einen Bafta Award und den Emmy nominiert wurde. Mit ihrem ersten Kinofilm, dem Jugenddrama "Somersault – Wie Parfum in der Luft" (2004) gewann sie zahlreiche Auszeichnungen. Ihr in Deutschland gedrehter zweiter Kinofilm "Lore" war die offizielle australische Einreichung für die Oscarverleihung 2013 in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film".
Zur Hauptdarstellerin: Teresa Palmer, geboren 1986 in Adelaide, South Australia, begann ihre Karriere 2005 mit einer Nebenrolle im australischen Horrorfilm "Wolf Creek". Ihren ersten weltweiten Erfolg hatte sie mit der australischen Independent Produktion "2.37", der auf den Filmfestspielen in Cannes, wie auch auf dem Toronto International Filmfest gezeigt wurde. Seitdem spielte sie in vielen Filmen, wie in der Walt Disney Produktion "Bedtime Stories" (2008) mit Keri Russell und Courtney Cox, in der Zombie-Komödie "Warm Bodies" (2013) an der Seite von John Malkovich und in dem Remake von "Point Break" (2015) neben Edgar Ramirez. Sie unternimmt gerade erste Schritte als Regisseurin, Autorin und Produzentin.
Zur Produzentin: Polly Staniford hat einen Bachelor in Film and TV und einen Master in Drehbuchschreiben vom Victorian College of the Arts School of Film & TV in Melbourne. Als Produzentin bei Matchbox Pictures war sie verantwortlich für Dokumentationen und eine der Drehbuchautor*innen der ausgezeichneten Kinder-Dramaserie "Nowhere Boys". Mit Angie Fiedler und Cecilia Ritchie gründete sie die australische Aquarius Films-Produktionsfirma.
www.aquariusfilms.com.au
Berlin Syndrom
Australien 2017
Regie: Cate Shortland
Drehbuch: Shaun Grant
Nach dem Buch von Melanie Joosten
Darsteller*innen: Teresa Palmer, Max Riemelt, Matthias Habicht, u.a.
Produzentin: Polly Staniford
Verleih: MFA + FilmDistribution
Lauflänge: 116 Minuten
FSK: 16
Kinostart: 25.05.2017
www.mfa-film.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Lore - Ein Film von Cate Shortland nach dem Roman The Dark Room von Rachel Seiffert.
Als ihre Eltern als Nazis verhaftet werden, sind die 15-jährige Lore und ihre vier jüngeren Geschwister auf sich allein gestellt. Die beschwerliche Reise quer durch das von Alliierten besetzte Deutschland lässt das heile Bild, an das sich Lore klammert, Stück für Stück zerbrechen. (2013)
Somersault means fall forward and land on your feet
Die australische Regisseurin des Films "somersault" Cate Shortland im Gespräch mit AVIVA-Berlin über ihren Erfolg, das Erwachsenwerden und "little shithouse towns" in Australien. (2005)