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Beitrag vom 17.05.2011
Aber das Leben geht weiter - Ein Dokumentarfilm von Karin Kaper und Dirk Szuszies. Ab 1. Dezember 2012 auf DVD
Marie-Luise Wache
In der sensibel aufbereiteten Dokumentation wird das Thema "Flucht und Vertreibung" auf sehr persönliche Art anhand dreier Generationen von Frauen beleuchtet. Die Regisseurin setzt mit ihrem Film..
... ein Zeichen der Annäherung an die deutsch-polnische Geschichte und sowohl individuelle als auch kollektive Schicksale.
1975 reist Karin Kaper das erste Mal mit ihrer Mutter Ilse Kaper, geborene Queißer, in das alte Heimatdorf der Familie. Das heutige Platerówka, damals noch Niederlinde genannt, liegt circa 25 Kilometer von Görlitz entfernt auf polnischer Seite. Die Familie der Regisseurin musste nach Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat in Schlesien verlassen. Zur selben Zeit erhält Edwarda Zukowscy, welche ihrerseits aus Westpolen vertrieben wurde, für den Einsatz in der Rote Armee den Hof der Queißers als Entschädigung.
Seit dem ersten Besuch in den Siebzigern geht Karin Kaper die Geschichte ihrer Mutter und das Schicksal polnischer und deutscher Kriegsflüchtlinge nicht mehr aus dem Kopf.
Es entsteht der Kontakt mit der Enkelin Edwardas, Gabriela Matniszewska. Beide kommen auf die Idee, die Familien noch einmal an dem Ort, wo sich die Schicksale kreuzten, zusammenzuführen und die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten. Ilse Kaper reist mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester an. Das Treffen beider Familien ist zunächst von Unsicherheit, aber auch von Herzlichkeit geprägt. Die älteren Frauen unternehmen Streifzüge durch das Dorf und die darum liegenden Felder und Wiesen. Gemeinsam erinnert man sich, erzählt und hält fest, was sich alles verändert hat. So wird zunächst ein kleines Band zwischen den Frauen verschiedener Generationen und Nationen geknüpft. In gemeinsamen und einzelnen Gesprächen, in denen Gabriela Matniszewska durch ihre Übersetzungen die Verständigung aller Frauen unterstützt, werden die persönlichen Geschichten der ältesten Generation und die Auswirkungen auf die Leben der Jüngeren beleuchtet.
Als zwei von sieben Kindern wurden Ilse Kaper, die Mutter der Regisseurin, und Hertha Christ auf dem Hof im ehemaligen Niederlinde geboren. Der durch die Eltern Gustav und Hedwig Queißer bewirtschaftete Hof wurde seit Generationen in der Familie vererbt. Das Dorf blieb während des Zweiten Weltkriegs größtenteils von Kampfhandlungen verschont. Als die Rote Armee jedoch im März 1945 immer Richtung der deutschen Grenze vorstieß, musste die Dorfgemeinschaft Richtung Westen flüchten. Der Vormarsch der sowjetischen Truppen geriet ins Stocken, so konnte die Familie zunächst auf ihren Hof zurückkehren. Als die sowjetische Front schließlich doch näher rückte, sprengten im Dorf einquartierte Truppen der SS die Brücken über die Neiße. Die Bevölkerung konnte somit dem Einmarsch der Roten Armee nicht mehr entkommen. Ein Jahr später wurden die Queißers ihres Hofes enteignet und nach Deutschland umgesiedelt.
Gleichzeitig kommt Edwarda Zukowscy zu Wort, die ihr Schicksal bis zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit Familie Queißer schildert.
Edwarda, damals sechszehnjährig, wurde mit ihrer gesamten Familie 1940 aus dem ostschlesischen Teil Polens zur Zwangsarbeit nach Sibirien portiert. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion begnadigte Stalin viele ZwangsarbeiterInnen, darunter auch die Zukowscys. Da eine Rückkehr wegen der Kriegswirren unmöglich schien, machte sich die Familie im September 1941 auf einen mühsamen Weg Richtung Asien, bis sie in Kirgistan zunächst eine Endstation erreichten. 1943 wurde Edwarda zur Roten Armee einberufen. Wegen des Kriegseinsatzes für die Sowjetunion wird den polnischen HelferInnen und Soldaten nach Ende das Zweiten Weltkrieges Land zugesprochen. Edwarda Zukowscy bekommt den Hof der Familie Queißer in westpolnischem Gebiet. Nachdem es ihr gelang, die Familie aus Kirgistan in die neue Heimat zu holen, lebten beide Familie ein Jahr gemeinsam auf dem Hof. Die Umstände waren schwierig, so musste einerseits an der Ernte und der Milchverarbeitung verdient werden, andererseits mussten zwei Familien davon leben können.
In der bewegenden Dokumentation kommen alle sechs Frauen ohne eingreifende Kommentare eines OFF-Sprechers oder einer OFF-Sprecherin zu Wort. Gleichzeitig zu den gegenwärtigen Filmszenen werden alte Fotos und Ausschnitte von Super 8-Aufzeichnungen der Familie Kaper gezeigt. Die Vermischung alter und neuer Filmmaterialien macht neben der Aufarbeitung der Familiengeschichte auch weitere Anliegen Karin Kapers deutlich. Einerseits geht es ihr darum, einen Fokus auf die gemeinsame deutsch-polnische Geschichte zu lenken. Andererseits darum, Brücken zu schlagen zwischen den Nationen und Generationen, die wie Marionetten unter den Wirren deutscher und sowjetischer Kriegsstrategien tanzen mussten.
Zur Regisseurin: Karin Kaper, 1959 in Bremen geboren, absolvierte zunächst eine Schauspielausbildung am Bildertheater in ihrer Heimatstadt. In den achtziger Jahren belegte sie einen Filmkurs bei Janusz Przewozny, in welchem sie sich die Fähigkeiten für ihre späteren Produktionen aneignete. Nach einigen Rollen an Berliner Theatern gründete Karin Kaper mit anderen Mitgliedern das ZATA Theater. Seit dem Jahr 2000 entstanden unter ihrer Regie mehrere, teilweise von ihr produzierte, Kurz- und Dokumentarfilme (u.a.: "Die letzte Mahadevi", "Resist!" und "Another Glorious Day") welche auf vielen internationalen Festivals ausgestrahlt und mit einigen Priesen ausgezeichnet wurden.
Dirk Szuszies Der 1956 in Dortmund geborene Regisseur, Autor und Schauspieler studierte anfangs Soziologie und Pädagogik in Bielefeld. Nach einjährigem Schauspielunterricht am Theaterinstitut in Bologna, wurde Dirk Szuszies Mitglied des Living Theaters. Fünf Jahre war er in Italien, Polen, Deutschland und den U.S.A beschäftigt. Auch er ist einer der Gründungsmitglieder des ZATA Theaters. Seit 2000 führte er gemeinsam mit Karin Kaper Regie an mehreren Kurz- und Dokumentarfilmen. Im Jahr 2004 gründete er zusammen mit Karin Kaper den Karin Kaper Eigenverleih in Berlin.
AVIVA-Tipp: Mit dem Einsatz einfachster filmischer Mittel legt "Aber das Leben geht weiter" den Fokus auf die Geschichten der Protagonistinnen. Der Dokumentarfilm überzeugt durch den sensiblen, persönlichen und hoffnungsvollen Blick Karin Kapers auf ein Thema, was schon längst hätte Aufmerksamkeit erlangen sollen.
Aber das Leben geht weiter
Deutschland 2011
Regie: Karin Kaper und Dirk Szuszies
Kamera: Dirk Szuszies
Mitwirkende im Film: Edwarda Zukowska, Maria Wojewoda, Gabriela Matniszewska, Ilsa Kaper, Hertha Christ, Karin Kaper u.a.
Produktion und Verleih: Karin Kaper Film
Sprachen: Deutsch, Polnisch
Untertitel: Englisch
Bonusmaterial: Historische Hintergrundinformationen, Fernseh- und Radiobeiträge, Pressespiegel
FSK: ab 12 Jahren
Lauflänge: 104 Minuten
Preis: 19,90,- Euro, zuzüglich 2,00,- Euro Versand
Direkt zu bestellen bei Karin Kaper Film, Naunynstr.41a, 10999 Berlin
DVD-Start: 1. Dezember 2012
www.karinkaper.com