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Beitrag vom 20.11.2014
Being and Becoming. Ein Dokumentarfilm von Clara Bellar. Kinostart: 19. November 2014
Philippa Schindler
School`s out forever: In ihrem Dokumentarfilmdebüt erkundet die französische Schauspielerin und Regisseurin ein Konzept, das Kindern eine selbstbestimmte und alternative Form der Bildung ermöglicht
Stell Dir vor es ist Schule und niemand geht hin. Für Familien auf der ganzen Welt ist dies längst Realität. Ganz bewusst haben sie sich gegen ein Leben entschieden, das von Ferienzeiten und Klausurterminen strukturiert ist - und für ein Lernen, jenseits von Notendruck und Klassenzimmer. Sie sind Freilerner_innen. Unschooler_innen. Schulsystem-Aussteiger_nnen.
Die französische Schauspielerin Clara Bellar hat einige von ihnen besucht. Für ihre erste Dokumentation "Being and Becoming" ist die Filmemacherin zwei Jahre lang und Tausende von Kilometern gereist, durch die USA, nach Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Sie hat Expert_nnen befragt und Kindern beim Spielen zugesehen, hat mit Freilerner-Eltern gesprochen, Bücher gelesen und sich immer wieder selbst die Frage gestellt: Wie sieht der ideale Ort aus, an dem ihr eigener Sohn einmal wird lernen können?
Lernen, immer und überall
Selbstgesteuert, erfahrungsbasiert, interessengeleitet. Oder wie der von Clara Bellar zitierte US-amerikanische Pädagoge John Holt es in einem seiner Bücher sinngemäß schreibt: Aufhören, das Lernen zu denken, als eine in die Schule eingeschlossene und vom restlichen Leben abgetrennte Aktivität. Diese Ideen bewegen die Familien im Film dazu, ihren Kindern eine alternative Form der Bildung zu ermöglichen und sie lernen zu lassen, was sie begeistert – wann und wie sie möchten.
Die Drehbuchautorin und Regisseurin beobachtet die Wege und Entscheidungen dieser Familien mit großer Aufmerksamkeit. Fast ein wenig staunend wirkt dabei ihr Blick durch die Kamera, wenn sie diese angeborene Lust am Lernen, die unbändige Kreativität, ja, den Freigeist der Unschooling-Kinder auf Film zu bannen versucht. Auf ihrer Reise begegnet sie Menschen wie Arno Stern, auch bekannt durch Erwin Wagenhofers schulkritischen Film "Alphabet". Er baute im Paris der 1950er Jahren den "Malort" auf, ein Ort, an dem Kinder mit Pinsel und Farbe ihr Innerstes frei und unbeobachtet ausleben können.
Freies Lernen – ein neues Glücksversprechen?
Was bei "Being and Becoming" also zunächst mit der Frage nach einer Utopie zu beginnen scheint – Ist ein Leben ohne Schule möglich? -, wird bald zu einem euphorischen Bericht über freies Lernen. Clara Bellar versäumt es dabei nicht, einige kritische Fragen zu stellen, zum Beispiel die, ob Kindern mit dem Konzept des Unschooling nicht auch akademische und berufliche Möglichkeit in der Zukunft vorenthalten bleiben und ob es ihnen an Kontakten zu Gleichaltrigen fehlt.
Was die Regisseurin hin und wieder jedoch nicht vermag, ist den Film vor dem Abdriften ins Sentimentale zu bewahren. Und auch, wenn "Being und Becoming" dadurch nicht weniger schön ist - vielleicht ist er gerade dadurch sogar so besonders schön anzusehen – bedeutet dies, dass am Ende der Geschmack einer etwas weichgespülten Glückseligkeit bleibt: Freies Lernen als Katharsis von einem hirnvernebelnden Bildungssystem.
Wie absurd das Verbot des Freien Lernens – ergo: die Schulpflicht – ist, möchte gegen Ende des Filmes schließlich noch eine Mutter aus Deutschland erklären. Und zwar ganz plakativ: Hitler habe damals das Gesetz erlassen, dass alle Kinder zur Schule gehen müssen, um diese gleichschalten zu können. Schade, dass Clara Bellar dieser Fehler nicht selbst aufgefallen ist, denn die Schulpflicht gilt in Deutschland bereits, seit sie 1919 in der Weimarer Verfassung verankert wurde. Trotzdem. Schön vorzustellen ist es - wenn Schule wäre und niemand ginge hin. Oder etwa nicht?
AVIVA-Tipp: Zugegeben, an manchen Stellen wirkt Clara Bellars Dokumentarfilmdebüt "Being and Becoming" ein bisschen wie eine PR-Aktion für das Konzept des Freien Lernens. Die Begeisterung der Regisseurin kann beim Zusehen aber auch überspringen und hinterlässt im Nachgang so das kritische Bedürfnis, bislang geltende Selbstverständlichkeiten wie die Schulpflicht noch einmal zu überdenken.
Zur Regisseurin: Clara Bellar, geboren und aufgewachsen in Paris, ist Schauspielerin, Sängerin, Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin. Sie ist unter anderem durch ihre Hauptrolle in Eric Rohmers Film "Rendezvous in Paris" und die Rolle der Nanny Robot in Steven Spielbergs Film "A.I. - Künstliche Intelligenz" bekannt geworden. Clara Bellar studierte an der New Yorker Film Acadamy Regiearbeit. Ihr Kurzfilm "Watermelon Man" lief bei vielen Filmfestivals in Nordamerika. "Being und Becoming" ist ihr Debüt als Dokumentarfilmerin.
Clara Bellar im Netz: www.clarabellar.com
Being and Becoming
Frankreich 2014, 99 min
Regie: Clara Bellar
Buch: Clara Bellar
Kamera: Clara Bellar
Verleih: Pourquoi Pas
Starttermin 19. November 2014
Der Film im Netz: www.etreetdevenir.com
Weitere Infos:
Unter www.leben-ohne-schule.de gibt es neben einer bundesweiten Kontaktbörse und Freilerner_innen-Terminen viele weiterführende Informationen zum Thema.
Auf der Internetseite www.netzwerk-bildungsfreiheit.de stellt das Netzwerk Bildungsfreiheit e.V. seine Aktionen und Ziele vor.