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Beitrag vom 17.10.2020
I am Greta - Dokumentarfilm von Nathan Grossman, Kinostart: 16.10.2020
Helga Egetenmeier
Dass Greta Thunberg als Fünfzehnjährige einen Sitzstreik gegen die politische Ignoranz der Klimakrise vor dem schwedischen Reichstag begann, ist vielen bekannt. Dass von Anfang an eine Kamera dabei war, die damit die Entstehung der Fridays For Future Bewegung dokumentieren konnte, war Zufall und ein Glück für die weltweite Initiative für Klimagerechtigkeit.
Als Filmemacher, der über Umweltschützer*innen berichtet, interessierte sich Nathan Grossman schnell für Greta Thunberg und ihren Schulstreik vor dem Parlamentsgebäude in Stockholm. Dass aus seiner geplanten Momentaufnahme das Porträt einer Umweltbewegung und ihrer Initiatorin werden würde, ahnt jedoch am 1. August 2018 noch niemand.
"Was hilft die Bildung, wenn ich keine Zukunft habe?"
Doch Greta spricht mit ihrer Aktion viele, vor allem junge Menschen an, ihr Bekanntheitsgrad steigt und der Dokumentarfilmer Grossman begleitet sie weiter mit seiner Kamera. Der Film setzt im August 2019 ein, als Greta mit dem Segelboot zum Klimagipfel der Vereinten Nationen nach New York reist. Ruhig blickt sie auf den stürmischen Atlantik, bevor der Film ein Jahr zurück blickt und die turbulenten Entwicklungen aufgreift, die Greta und die Klimabewegung bis zu dieser Überfahrt durchgemacht haben.
"Was hilft die Bildung, wenn ich keine Zukunft habe." entgegnet sie im August 2018 einer Frau, die ihr empfiehlt, in die Schule zu gehen, anstatt "auf der Straße zu sitzen". In der Schule habe sie viel über Umweltzerstörung gelernt, entgegnet Greta, und das hätte sie in eine Depression gestürzt. Aus der sei sie dann mit den Gedanken "Why should I give up?" herausgekommen. Schön zeigt die Kamera, wie ihr ihre Familie Rückhalt gibt bei ihren Aktivitäten und sie, kritisch begleitend, ihren eigenen Weg finden lässt. Zu großen Demos und Veranstaltungen begleitet sie ihr Vater. Ihr Zuhause wirkt dazu wie ein ruhiger Gegenpol, mit ihrer Mutter, ihrer jüngeren Schwester und den Familienhunden.
Die Klimakrise und die Untätigkeit der Politiker*innen
Ihren ersten großen Auftritt hat Greta Thunberg bei der UN-Klimakonferenz im Dezember 2018 in Katowice, Polen. Wie der Film zeigt, ist dies ein Kraftakt für eine Jugendliche, die sich dort zwischen den vielen Politiker*innen und Vertreter*innen von NGOs zurechtfinden muss. Sie gibt sich jedoch keiner großen Illusion hin und erklärt danach ihrem Vater, der sie begleitet, (…) "sie haben die Jugend in der Gegenwart ignoriert, sie werden es auch in der Zukunft tun." Doch mit ihrer Aktion und ihrem Hashtag #FridaysForFuture spricht sie weltweit viele Jugendliche an und so kann Greta, ebenfalls im Dezember 2018, auf ihrem Smartphone deren Streiks in vielen Städten der Welt verfolgen.
Nach ihrem Auftritt in Katowice ist Greta weltweit bekannt. Der Dokumentarfilm zeigt die Aufnahmen von Greta mit bekannten Persönlichkeiten, die durch die globale Presse gingen und diese Anhäufung lässt den erschreckend oberflächlichen bis abfälligen Umgang mit ihr als Mensch und den Inhalten, die sie vertritt, erkennen. So ist ein gnädig blickender, die Arme verschränkt haltender französischer Präsident Emmanuel Macron zu sehen, und ein erschreckend ignoranter Jean-Claude Juncker. Sie leugnen zwar nicht den Klimawandel, nutzen aber die Popularität von Greta, um sich selbst in Szene zu setzen und leere Versprechungen zu machen. Dazu kommen Ausschnitte von Aussagen der rechts-konservativen Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro, die die Kamera als aggressive Männer und mächtige Leugner der Klimakrise entlarvt, die nicht in der Lage sind, inhaltlich zu argumentieren.
Fridays For Future, Klimagerechtigkeit und Corona
Die Doku schließt kurz nach der Gretas Auftritt beim Climate Action Summit 2019 in New York. Dort bringt sie mit einer eindringlichen und emotionalen Rede die Diskussionen um den Klimawandel auf den Punkt: "This is all wrong. I shouldn´t be up here. I should be back in school on the other side of the ocean. Yet you all come to us young people for hope. How dare you![...]". Beeindruckend kämpft sie auch dieses Mal wieder um Gehör für Klimagerechtigkeit und erinnert dabei erneut die machtvollen, aber untätigen Politiker*innen an die bedrohlichen Ergebnisse der Wissenschaftler*innen.
Grossman glückt ein Porträt von Greta Thunberg, ohne sie als Heldin darzustellen. Das gelingt ihm dadurch, dass er sie nie direkt in die Kamera sprechen lässt. Entweder ist sie im Gespräch mit befreundeten Klimaaktivist*innen zusehen, oder wir hören sie als Voiceover und allein im Bild, über ihre Wünsche, Hoffnungen und Zweifel nachdenken. Eine dieser ruhigen Einstellungen zeigt Greta langsam und allein durch den Hambacher Forst gehend, während ihre Stimme aus dem Hintergrund spricht: "Humanity sees nature as a bottomless bag of candy." Einzig die teilweise theatralische Filmmusik, die gelegentlich leise Momente übertönt, stört manchmal den Fluss des Films.
Gut drei Monate nach dem Ende der Aufnahmen, legte die Corona-Pandemie das öffentliche Leben lahm und verhinderte weitere Proteste. Doch der globale Virus zeigt, dass es auch möglich ist, schnell und weltweit zu handeln, um Menschen zu beschützen. Die Organisation "Fridays For Future" etwa nutzte die Zeit und gab eine Studie in Auftrag, an der namhafte Wissenschaftler*innen und Autor*innen, wie Prof. Dr. Claudia Kemfert (Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung) beteiligt waren und die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde. Die Studie belegt, dass die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung nicht vereinbar sind mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
AVIVA-Tipp: Ein Film, der Mut macht, den Platz nicht den Klimawandel-Leugner*innen zu überlassen, sondern gemeinsam und solidarisch Klimagerechtigkeit von den Politiker*innen einzufordern. So behutsam wie der Dokumentarfilm seine Hauptperson zeigt, so ernst nimmt er ihr Anliegen. Kein Film über eine Heldin, sondern ein Dokument über den Kampf gegen Ignoranz und Überheblichkeit, um die Zukunft der Menschheit nicht zu verspielen.
Regie und Kamera: Nathan Grossman, Absolvent der Stockholmer Kunsthochschule, ist ein schwedischer Dokumentarfilmer und Fotograf, der sich mit Umweltschutzthemen befasst. Bevor er sich auf das Filmemachen konzentrierte, begann er eine Karriere als Fotograf für den "Rolling Stone Indien". Bekannt wurde er mit dem Kurzfilm "The Toaster Challenge" (2015), den mehr als 15 Millionen Menschen bei YouTube sahen. Er vollendete 2017 seine erste TV-Serie "Köttets Lustar" für den öffentlich-rechtlichen Sender SVT über den steigenden Fleischkonsum in Schweden. Die Serie war in Schweden für den Kristall-TV-Preis für das beste Informationsprogramm des Jahres nominiert. 2018 arbeitete er als Film- und Storyeditor für den Dokumentarfilm "Zlatan: Ihr redet - ich spiele".
Greta Thunberg wurde im Januar 2003 in Stockholm als ältere von zwei Schwestern geboren. Ihre Mutter ist die Opernsängerin Malena Ernman und ihr Vater der Schauspieler Svante Thunberg. Nachdem sie sich im Alter von acht Jahren mit dem Klimawandel auseinandergesetzt hatte, entwickelte sie Depressionen, mit zwölf Jahren wurde bei ihr das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Ihr Klima-Engagement half ihr, ihre Essstörungen und Depression zu überwinden. Im Mai 2018 erhielt sie den Preis eines Schreibwettbewerbs zu Umweltpolitik, initiiert vom Svenska Dagbladet. 2019 kam die deutsche Ausgabe ihres gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester geschrieben Buches "Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima" heraus, und im Dezember 2019 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis.
I am Greta
Schweden, Deutschland, USA, Großbritannien 2020
Regie: Nathan Grossman
Mit: Greta Thunberg, Svante Thunberg, Emmanuel Macron, Justin Trudeau, Luisa Neubauer, Anuna De Wever, u.v.a
Schnitt: Hanna Lejonqvist, Charlotte Landdelius, Kamera: Nathan Grossman
Musik: Jon Petter Ekstrand, Rebekka Karijord
Produziert von Cecilia Nessen, Fredrik Heinig, B-Reel Films
Verleih: Filmwelt Verleihagentur GmbH
Lauflänge: 98 Minuten, Schwedisch, Englisch mit UT
Kinostart: 16. Oktober 2020
Mehr zum Film und der Trailer unter: www.filmweltverleih.de
Weitere Informationen unter:
www.fridaysforfuture.de
Link zur Studie, die im Auftrag der Klimaschutzbewegung von dem gemeinnützigen Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie durchgeführt wurde. Titel der Studie: "CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze".
www.fridaysforfuture.de
Die deutsche Webseite der Klimastreik-Bewegung, die sich als international, überparteilich, unabhängig und dezentral organisiert definiert.
www.scientists4future.org
Stellungnahme der Scientists for Future zu den "Forderungen von Fridays for Future Deutschland an die deutschen Vertreter*innen auf EU-Ebene"
www.pbs.org
Rede von Greta Thunberg auf dem UN Climate Action Summit, als Videoclip oder Text, veröffentlicht von dem nicht-kommerziellen US-TV-Sender PBS
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