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Beitrag vom 22.10.2005
Fremde Haut - Regie Angelina Maccarone
Tatjana Zilg
Fariba muss aus dem Iran fliehen, weil sie eine Liebesbeziehung zu einer Frau einging. Homosexualität ist dort strikt verboten. Aber in Deutschland ist dies kein Asylgrund. Mit Jasmin Tabatabai.
Als das Passagierflugzeug die iranische Staatsgrenze überfliegt, kann die Dolmetscherin Fariba (Jasmin Tabatabai) zunächst erleichtert aufatmen. Die unmittelbare Gefahr ist vorbei. In der Toilette legt sie nachdenklich ihr Kopftuch ab. Doch bei der Befragung durch die Grenzbeamten des Flughafens Frankfurt/Main stößt sie auf immense Schwierigkeiten: Wie soll sie verständlich machen, dass die Bekennung zur Homosexualität in ihrer Heimat für sie existenzvernichtend war? Obwohl sie gut deutsch spricht und auch ein persischer Übersetzer anwesend ist, findet sie keine Worte dafür. Gerade wegen ihres Landsmannes ist die Scham zu groß, denn sie hat gelernt, ihre Identität zu verleugnen. In der Not gibt sie politische Gründe an. Die Beamten verlangen das Todesurteil als beglaubigte Kopie, der Irrlauf gegen die deutsche Bürokratie ist eingeleitet.
Im Übergangslager, das direkt in die Flughafengebäude eingegliedert ist, lernt sie Siamak Mustafai (Navid Akhavan) kennen, einen jungen Mann, der im Iran wegen der Mitgliedschaft in einer Studentenbewegung inhaftiert werden sollte. Sein Bruder wurde schwer gefoltert. In einem Telefonat erfährt Siamak, dass er mittlerweile verstorben ist.
Schockierend ist zu sehen, dass die traumatisierten Flüchtlinge während der ersten Tage im fremden Land keinerlei psychologische Betreuung erhalten. Stattdessen sind sie großer Unsicherheit ausgesetzt. Sie müssen auf die Entscheidung warten, ob ihnen die Chance gewährt wird, in ein Asylverfahren einzutreten. Siamak hält seine inneren Konflikte nicht aus und begeht Selbstmord. Fariba, die abgeschoben werden soll, nimmt all ihren Mut zusammen und schlüpft in seine Identität. In Männerkleidung, mit kurzgeschnittenen Haaren und abgebundener Brust zieht sie in ein Asylbewerberheim in der schwäbischen Provinz. Tag für Tag muss sie sich nun nicht nur mit den Anforderungen der fremden Kultur auseinandersetzen, sondern auch in eine männliche Rolle schlüpfen. Mit hoher Willenstärke, Disziplin und zurückhaltendem Charme gelingt ihr das nahezu Unmögliche. Zwar ist die Umgebung wie vor allem auch ihr russischer Zimmergenosse Maxim (Jevgenij Sitochin) einige Male ziemlich irritiert über ihr Verhalten, aber wird dies meist in Verbindung mit der fremdländischen Herkunft gebracht.
Um endlich wieder die Chance zu erhalten, sie selbst sein zu können, nimmt Fariba alias Siamak einen Schwarzarbeitsjob in einer Sauerkrautfabrik an. Mit dem hart verdienten Geld will sie sich einen gefälschten deutschen Pass kaufen. In dem kleinen Familienbetrieb ist der seltsame Fremde eine willkommene Abwechslung. Einerseits sind die deutschen KollegInnen recht misstrauisch gegenüber den merkwürdigen Angewohnheiten - unter anderen duscht sie natürlich nie nach der Arbeit mit den Männern.
Andererseits sind sie auch sehr neugierig und interessiert. Besonders Anne (Anneke Kim Sarnau) fühlt sich zu Siamak hingezogen. Recht selbstbewusst fordert sie ihn zu einem Treffen außerhalb der Arbeit auf. Fariba ist hin- und hergerissen. Sie findet Anne sehr attraktiv und möchte mit ihr in näheren Kontakt kommen. Wenig später brausen die beiden auf Annes Roller durch die schwäbische Landschaft.
Der Konflikt ist vorprogrammiert, denn Anne ist zwar alleinerziehende Mutter, aber seit einiger Zeit mit Uwe (Hinnerk Schönemann) zusammen, der auch in der Fabrik arbeitet. Mit seinen Freunden stellt er die beiden Frauen und aus der Rollertour wird ein gemeinsamer Kegelabend. Doch die Gefühle sind nicht mehr aufzuhalten. Allmählich verliebt sich Anne in Fariba, ohne zu wissen, wer sie wirklich ist. Als diese auch in der Identität des Siamak abgeschoben werden soll, überschlagen sich die Ereignisse. Sie finden zu ihrer Liebe und kämpfen für deren Zukunft. In der Not gelingt ihnen der Diebstahl eines Autos, mit dem Fariba den falschen Pass bezahlen will. Letztlich misslingt der Plan jedoch, wozu Uwes Eifersucht maßgeblich beigetragen hat.
Der Regisseurin Angelica Maccarone ist ein sehr sensibler und spannender Film über Identitätsfindung unter schwierigsten Bedingungen gelungen. Der Plot berührt tief durch die feinabgestimmte Überlagerung der Themen Flucht und Entwurzelung, der Suche nach sexueller Selbstbestimmung und der Darstellung deutscher Wirklichkeit in unsicheren Zeiten. Jasmin Tabatabai und Anneke Kim Sarnau spielen ihre schwierigen Rollen im höchsten Maße glaubwürdig und mit aufrüttelnder Intensität. Dabei bleibt der Film trotz der politischen Brisanz unaufdringlich und ermöglicht so den ZuschauerInnen, sich allmählich in die Charaktere einzufühlen. In ihren Augen erscheint das Vertraute ungewohnt und es wird spürbar, welche Energie in der Hauptprotagonistin stecken muss, damit sie nicht in der Fremde verzweifelt, sondern zur Kämpferin wird, die alles riskiert, um ein authentisches Leben führen zu können.
AVIVA-Tipp: Ein wichtiger Film, der auf keinen Fall versäumt werden sollte. Realitäten deutscher Gegenwart werden erlebbar, die sonst leicht übersehen werden wie die Komplexität der Asylproblematik und deren Auswirkungen im Alltag. Gleichzeitig ist der Film eine bewegende, melodramatische Liebesgeschichte. Das sanfte Sich-Verlieben der beiden Frauen ist wunderschön anzusehen und die feinen, erotischen Schwingungen zwischen ihnen sind in jedem Moment spürbar.
Fremde Haut
Deutschland 2005, 97min
Buch: Angelina Maccarone & Judith Kaufmann
Regie: Angelina Maccarone
DarstellerInnen: Jasmin Tabatabai, Navid Akhavan, Anneke Kim Sarnau, Hinnerk Schönemann, Jens Münchow, Simon Schwarz
Verleih: wmmmfilm.de
Start: 20.10.05