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Beitrag vom 23.12.2009
Mercedes Sosa - Cantora
Claire Horst
Die Argentinierin war die bekannteste Sängerin ihres Landes und eine der größten Musikerinnen Lateinamerikas. Im Oktober 2009 ist sie in Buenos Aires verstorben. Doch nicht nur als Sängerin, auch...
... mit ihrem politischen Engagement für Demokratie und BürgerInnenrechte wird sie in Erinnerung bleiben.
Die auch "La Negra" genannte Sängerin war seit 2008 Botschafterin des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und hatte internationale, ebenfalls politisch engagierte KünstlerInnen zu einer gemeinsamen Aufnahme aufgerufen. Auf dem Album "Cantora", das in Argentinien bereits Platinstatus erreicht hat, sind diese Duette nun zu hören. Zum Teil sind es sehr bekannte KünstlerInnen wie Lila Downs und Shakira, von anderen haben in Europa nur Eingeweihte schon einmal gehört - hier sind also Entdeckungen zu machen.
Dem Anlass entsprechend, interpretieren die KünstlerInnen hier zum großen Teil Lieder mit sozialkritischen Texten. Thematisiert werden Armut, Krieg und Ungerechtigkeit, doch zugleich rufen die MusikerInnen zum Weitermachen, zur Lust am Leben auf. Dieser Thematik ist es vielleicht zu verschulden, dass einige der Titel haarscharf am Sozialkitsch vorbeischrammen - Streicherensembles eignen sich eben hervorragend, um Lieder über die Ungerechtigkeit der Welt zu vertonen.
Doch es wäre ungerecht, das Album als hohlen Pathos abzutun. Die grandiose und unglaublich ausdrucksstarke Stimme von Mercedes Sosa rettet noch den abgeschmacktesten Titel. Wie vielseitig ihr musikalisches Talent war, zeigt dieses Album noch einmal ganz deutlich. Der Sängerin gelingt es, mit den unterschiedlichsten PartnerInnen zusammenzuwirken und sich dabei selbst immer treu zu bleiben. Ganz hervorragend zeigt das der Song "Cancion para un nino en la calle", (Lied für ein Kind auf der Straße) der Sosas gefühlvolle Gesangspartien mit dem Rap von René Perez Joglar verbindet. Perez Joglar ist Sänger der puertoricanischen HipHop-Combo "Calle 13", die ihrerseits Reggaeton, Salsa und folkloristische Elemente verschmelzen lässt. In diesem Track gelingt etwas sehr Kompliziertes: Moderne und Tradition, Coolness und politische Botschaft zu verbinden und dabei glaubwürdig zu bleiben.
Ganz anders dagegen die beiden ersten Titel auf dem Album. Sie richten sich an ein traditionelleres Publikum und bleiben durchgängig auf einer gefühligen, schmelzenden Linie. Gerade der Einstiegstitel, "Aquellas Pequenas cosas" ("Diese kleinen Dinge"), den Sosa mit dem katalanischen Liedermacher Joan Miguel Serrat singt, erinnert mit seinen dahinplätschernden Pianopassagen und schmachtenden Geigen leider eher an amerikanische Filmmusik - wenn da nicht ihre Stimme wäre. Einige weitere Titel wie der zweite, "Zona de promesas" ("Ort der Versprechungen") mit dem Argentinier Gustavo Cerati, wirken ebenfalls, als hätte da jemand zu tief in die Packung mit dem Weichspüler gegriffen. Tatsächlich hat Cerati mehrere Soundtracks komponiert. Auch das Duett mit Jorge Drexler "Sea" ist ein emotionaler Schmusesong. Der uruguayische Musiker erhielt für den Titelsong zum Film "Die Reise des jungen Che" einen Oscar.
Doch bekanntlich sind die Geschmäcker verschieden, und das ist ein Pluspunkt des Albums: Die große Bandbreite der musikalischen Stile von HipHop und Rock über Tango, Bossa Nova und Folklore führt nicht zu einem willkürlichen Einerlei, sondern lässt die Bewunderung für Mercedes Sosas künstlerisches Können wachsen. Schon ein kurzes Anspielen der ersten Titel beweist die große Bandbreite des Albums und damit einmal mehr die unglaubliche Vielseitigkeit der Künstlerin.
Gemeinsam mit Fito Páez und Liliana Herrero hat sie einen beschwingten und temperamentvollen folkloristischen Song eingespielt, "Zambas del cielo" ("Samba des Himmels"). Wie in den meisten hier vertretenen Liedern ist es die zugrunde liegende melancholische Grundhaltung, die die Stimme der "Negra" hervorragend zur Geltung bringt. Auch dieser Titel ist nichts für kalte Gemüter, denn mit Gefühlen wird hier nicht gegeizt. Timbre in der Stimme gehört dazu. Paez stammt wie Sosa aus Argentinien und verbindet Rock und Folklore.
Folklore, das bedeutet auch traditionelle Instrumentierung von den Panflöte bis zum Tamburin und zur Harfe. Ein besonderer Anspieltipp ist der Titel "Razon de Vivir" ("Lebenszweck") , den die Künstlerin gemeinsam mit der mexikanischen Sängerin Lila Downs eingespielt hat. Die starken Stimmen der beiden Frauen werden von der zurückhaltenden Instrumentierung hervorgehoben. Der spanische Liedermacher Joaquin Sabina dagegen verbindet in "Violetas para Violeta" ("Veilchen für Violeta") rockigen Gesang, traditionelle Instrumente und Rockgitarren - nichts für Puristen.
AVIVA-Tipp: Musik für kalte, lange Winterabende. Obwohl nicht alle Titel gleichermaßen überzeugen, ist das Album eine gelungene Zusammenstellung. Es präsentiert die beeindruckende Vielseitigkeit der spanischsprachigen Musik und bietet MusikerInnen wie Shakira die Möglichkeit, sich von einer neuen Seite zu präsentieren. Nicht zuletzt wird die Lebensleistung der Ausnahmekünstlerin Mercedes Sosa so noch einmal gewürdigt. Mit ihrem Tod ist das Album zu einem Nachruf an sie geworden.
Zur Künstlerin: Mercedes Sosa wurde 1935 geboren. 1950 erhielt sie ihren ersten Plattenvertrag, nach dem Putsch 1976 wurden ihre Platten verboten. Nachdem sie auf einem Konzert verhaftet worden war, ging sie 1980 ins Exil nach Moskau. Wenig später kehrte sie nach Argentinien zurück. Sie setzte sich ihr Leben lang für die Rechte der Indigenas und Campesinos ein und kämpfte gegen die argentinische Diktatur.
Die Künstlerin im Netz: www.mercedessosa.com.ar (spanisch)
Mercedes Sosa
Cantora
Sony/RCA Victor
VÖ: 30. Oktober 2009