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AVIVA-BERLIN.de im September 2023 - Beitrag vom 14.02.2002


Flirten in Montréal
Kathrin Schrader

Ein Blick, dann eine Bitte um die Uhrzeit oder Feuer...




© Kathrin SchraderLetzte Rauchzeichen...

In der Cafeteria des Musée des Beaux Arts in Montréal sind wenige nackte Tische für die Raucher geblieben - ganz hinten, im Raum mit den ungeputzten Fenstern, direkt vor der Toilette.
Jedes Mal, wenn ich hier bin, treffe ich auf eine Truppe Museumspersonal, Männer und Frauen in blauen Anzügen, während ihrer Pause. Einige dösen in den Kaffee, doch die meisten schwatzen und flirten.
Ein junger Mann neckt die hübscheste Frau am Tisch, indem er ihr immer wieder den Aschenbecher wegzieht, einen Lidschlag, bevor sie ihre Zigarette darin landen kann.

Nächstes Jahr soll das Rauchen in allen öffentlichen Gebäuden verboten werden und die Verdrängung des Zigarettenrauches aus der Öffentlichkeit hat schon begonnen.
Ich mache mir Gedanken um das Museumspersonal. Wo sollen sie sich dann treffen? Wo werde ich sie treffen können? Und doch bin ich überzeugt, dass die Aschenbecher nicht ganz verschwinden werden. Schon jetzt tauchen sie an Orten ihrer Illegalität wie geheime Boten einer Untergrundbewegung regelmäßig auf. Sie werden von Tisch zu Tisch weitergereicht und ihre Herkunft bleibt ein Geheimnis. Montréal, dein großes, zärtliches Herz wird niemanden im Stich lassen.

...von illegalen Orten

© Kathrin SchraderNächstes Jahr soll das Rauchen in allen öffentlichen Gebäuden verboten werden und die Verdrängung des Zigarettenrauches aus der Öffentlichkeit hat schon begonnen.
Ich mache mir Gedanken um das Museumspersonal. Wo sollen sie sich dann treffen? Wo werde ich sie treffen können? Und doch bin ich überzeugt, dass die Aschenbecher nicht ganz verschwinden werden. Schon jetzt tauchen sie an Orten ihrer Illegalität wie geheime Boten einer Untergrundbewegung regelmäßig auf. Sie werden von Tisch zu Tisch weitergereicht und ihre Herkunft bleibt ein Geheimnis. Montréal, dein großes, zärtliches Herz wird niemanden im Stich lassen.

Feuerwerke, Jazz und ein Festival des Lachens

Nirgendwo in Kanada versteht man, das Leben so zu genießen wie hier. Den Ruf, die "Wasserträger der Nation" zu sein, haben die Frankokanadier längst hinter sich gelassen. © Kathrin SchraderMontréal hat sich zu einer Industrie- und Wissenschaftsmetropole gemausert, doch die Arbeitslosenrate in Québec liegt etliche Prozent höher als in den anderen Provinzen.
Noch lange kein Grund, sich den Spaß am Leben nehmen zu lassen. In Montréal reißen die Feierlichkeiten nicht ab: Kaum eine Sommerwoche vergeht, in der nicht ein grandioses Feuerwerk über dem alten Hafen seine Pracht entfaltet. An das weltberühmte Festival du Jazz im Juli, das ganz Montréal zum Swingen bringt, schließt sich nahtlos das Festival du Rire an, das Fest des Lachens. Und gelacht wird viel und gern in Montréal. Auch während des eisigen Winters, der die Stadt monatelang umklammert. Wie begegnen die Québecer dem Frost? Sie feiern Schneefeste.

soit un couple...c´est un must!



Abends bleibt man unter keinen Umständen allein. Das würde auch auffallen, denn die Montréaler treten© Kathrin Schrader nur paarweise in Erscheinung. Ob es das ältere Pärchen ist, das, Hand in Hand, jeder einen Campingstuhl unter dem Arm, am Nationalfeiertag zu Feuerwerk oder Rockkonzert geht, oder die Scharen jüngerer Leute, die dem Magneten in ihrer Brust folgen und sich wie von selbst mädchen-jungen-weise formieren. Später, wenn ich nach Europa zurückkomme, wird mir sofort die homogene Menge aus Männern und Frauen jeden Alters auffallen, in der Beziehungen nur schwer zu orten sind.

Ein Blick, dann eine Bitte um die Uhrzeit oder Feuer...

Anders in Montréal: ein Blick, dann eine Bitte um Uhrzeit oder Feuer, ein Kompliment für meinen Strohhut. In Deutschland heißt das "Anmache" und ärgert viele Frauen. Mich nicht. Nicht hier. Ein Lächeln, ein winziger Dialog und wir sind das, was unsere Bestimmung in dieser Stadt ist - ein Paar. Ein Mann und eine Frau, die gelassen durch den Sommerabend schlendern. Die Frage, ob jemand anders irgendwo wartet, gehört zum Eröffnungsritual und ist längst geklärt.
Wir schauen dem Straßenkünstler eine Weile zu, schlecken ein Eis, bummeln durch Läden, probieren bei einem Händler Ringe, landen schließlich in einem Restaurant und reden.
Am Ende gibt es einen Kuss auf die rechte Wange, einen Kuss auf die linke Wange, eine Telefonnummer, schnell auf ein Stück Papier gekritzelt und - danke, es war ein schöner Abend.

Die Spielregeln...et voilà!

Niemand wartet ernsthaft auf meinen Anruf. Ich lasse die Zettel mit den Telefonnummern aus dem Wagenfenster davonwehen.
Die Männer zeigen Gefühl und viel Schmuck. Eine stärkere Akzeptanz dessen, was als weiblich gilt und - weniger Angst vor Frauen.

Ein Abend kann auch weiter gehen, an den grünen Hängen des Mont Royal oder in © Kathrin Schradereinem Appartement, je nachdem. Das Angebot steht, die Entscheidung liegt bei mir. Sie wissen, dass die Frau wählt und nicht der Mann. Sie warten. So, wie der kleine Prinz tagelang auf die Entfaltung seiner Rose wartete, sind sie bereit zu warten, was eine Frau von ihrer Weiblichkeit preisgeben wird. Plötzlich werde ich mir meiner Blütenblätter bewusst, zarte, weiche Flügel, Ziel einer Sehnsucht. Sie haben den schönen Mut, diese Sehnsucht zu zeigen und nehmen Frauen die Angst, sich zu öffnen.

Andrew bittet mich ganz direkt, mit ihm zu spielen. Wir begegnen uns an einem ziemlich einsamen Waldsee und plötzlich wird mir klar, dass ich verrückt sein muss, mich allein mit meinem Fahrrad in diesen Wald begeben zu haben, in dem die Reifen alle zehn Meter im Sand stecken bleiben. Das kommt davon, wenn man zu wenig fernsieht.
Er drückt seine Liebesabhängigkeit aus, indem er sich mit einem verführerischen Augenaufschlag als großes, ewiges Baby beschreibt.
Seine samtbraunen Augen flehen, ein Blick, der mein Herz und meine Knochen fein zermahlt, wie der warme Sand, auf dem wir liegen.


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Beitrag vom 14.02.2002

AVIVA-Redaktion