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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 06.03.2008


Tatjana Gräfin Dönhoff und Rainer Berg – Die Gustloff
Silvy Pommerenke

Zeitgleich zum ZDF-Zweiteiler erscheint der Roman über den Untergang des zivilen Passagierschiffs Gustloff im Januar 1945. Eine wahre Begebenheit, die als fernseh- und romantauglicher Stoff...




...stellenweise leider sehr populistisch von der Journalistin Tatjana Gräfin Dönhoff und dem Drehbuchautor Rainer Berg umgesetzt wurde.

Das einstige "Kraft-durch-Freude" Schiff, die Wilhelm Gustloff, war in den letzten Kriegsmonaten für viele Flüchtlinge aus dem Osten die langersehnte Hoffnungsträgerin, um der herannahenden russischen Front im Rücken zu entfliehen. Das Schiff, das nur für fünf Tage seiner Funktion als Flüchtlingstransport nachkommen konnte, war ursprünglich für etwa 2.000 PassagierInnen ausgerichtet. Bei seiner letzten Fahrt nahm es allerdings knapp 10.000 Menschen auf, von denen später nur wenige überlebten. So viel zu den hard facts, die man in jedem Geschichtsbuch nachlesen kann.

Die AutorInnen haben es sich nun zur Aufgabe gemacht, eine historische Begebenheit allgemeinverständlich und vor allem konsumentInnenfreundlich umzusetzen. Das ist ihnen mit Sicherheit gelungen, denn über 180 Minuten wurde der Film zum Buch vom Regisseur Joseph Vilsmaier, der sich schon durch Arbeiten wie "Schlafes Bruder" oder den "Comedian Harmonists" auszeichnete, exemplarisch umgesetzt. Wie bringt man nun aber ein Thema gewinnbringend unter das Volk, damit keine verstaubte Geschichtsstunde daraus wird? Das Rezept dafür ist ganz einfach: zuerst einmal wird zwischen "Gutmenschen" und "den Bösen" unterschieden.

Der dienstverpflichtete zivile Kapitän Hellmut Kehding (im Film überzeugend dargestellt von Kai Wiesinger) ist definitv einer von den Guten. Er soll die Gustloff mit Tausenden von Ostflüchtlingen über die Ostsee von Gotenhafen aus ins sichere Kiel bringen. Natürlich stellt er sich allen SS-Schergen und Ober-Unter-Hauptgauführern beharrlich in den Weg, um die nötigen Rettungswesten, Beiboote und mehr als die vorgesehenen Flüchtlinge auf dem Schiff aufzunehmen. Keine Drohung lässt ihn von seinem Vorhaben abkommen lassen, und genau so hätten wir uns unseren deutschen Helden im Dritten Reich gewünscht. Aber mal ganz ehrlich: Wenn es solche Männer tatsächlich gegeben hätte, dann wären nicht einige Millionen Opfer in den Jahren 1933 bis 1945 bittere Realität geworden.

Natürlich hat der wackere Kapitän auch eine Liebste. Marinehelferin ihres Zeichens, auch eine von den Guten, mit Namen Erika Galetschky (im Film dargestellt von Valerie Niehaus). Sie stellt sich ebenfalls konsequent gegen Braunhemden und Hitlerdeutschland, muss dies mit Arrest büßen, kommt dann doch irgendwie aus der Zelle frei und letztendlich auf die Gustloff.

Gott sei Dank, kann man da fast sagen, gibt es den Schlechtmenschen Harald Kehding (im Film dargestellt von Heiner Lauterbach), Bruder des Gutmenschen Hellmut, der überzeugter "Sicherungsdivisionist" ist (was auch immer das heißen mag), und der auch gerne mal den Auftrag zum Töten von Menschen gibt. Auch er hat Frau und Kind im Jahr 1944 bei den Luftangriffen auf Hamburg verloren. Das scheint Erklärung genug zu sein für sein ehrgeiziges, unbarmherziges und brutales Verhalten. Wie schön, dass er in letzter Minute dann doch noch Läuterung erfährt.

Und dann gibt es natürlich noch den Obernazi Korvettenkapitän Wilhelm Petri, der zu allem Überfluss nicht ohne Schäferhund "Hasso" auftritt, immer noch an den "Endsieg" glaubt und den entscheidenden indirekten Befehl für den Untergang der Gustloff gibt. Um diese Figuren werden noch etliche andere gesellt, die vor allem eines sind: auf der Flucht. Ein Konsalik hätte diesen Roman nicht besser schreiben können ...

Wer von allen überlebt, wer untergeht und ob letztendlich das Gute über das Böse siegt, lesen Sie bitte selbst.

Zur Autorin: Tatjana Gräfin Dönhoff, geboren 1959 in München, absolvierte zunächst eine verlagskaufmännische Ausbildung beim Kölner Stadt-Anzeiger und studierte dann Politik, Geschichte und Journalistik. Nach dem Diplom arbeitete sie als Reporterin beim "Stern", lebte lange in London, war Chefreporterin bei "The European" und zurück in Hamburg bei "Max". Als freie Journalistin schrieb sie für verschiedene deutsch- und englischsprachige Zeitungen und Magazine.1999 gründete sie ihr eigenes Medienunternehmen "brain drain" in Hamburg und veröffentlichte 2004 "Weit ist der Weg nach Westen" ein politisches Reisebuch auf der Fluchtroute ihrer Großtante Marion Gräfin Dönhoff durch das nördliche Polen. (Quelle: Verlagsinformationen)

Zum Drehbuchautor: Rainer Berg, seit 2004 Headwriter für die ZDF-Serie "SOKO Wismar" und Autor für viele Folgen der "Rettungsflieger", hat sich als Dramaturg, Dozent und Scripteditor viel mit deutschen Themen auseinandergesetzt. "Die Gustloff" sieht er als Aufarbeitung der deutschen Geschichte." (Quelle: ZDF)

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AVIVA-Fazit: Das Buch und der Film ist ein gutgemeinter Versuch, Geschichte für die Allgemeinheit verständlich zu machen, beides fühlt sich allerdings nach Geschichtsklitterung an, denn etwas weniger Deutschtümelei und ein kritischerer Blick hätten dem durchaus interessanten Thema mehr als nur gut getan. Der Roman wird weder den Ereignissen, erst recht nicht den Opfern gerecht, und eine differenziertere Herangehensweise wäre dem Thema deutlich zuträglicher gewesen.

Tatjana Gräfin Dönhoff und Rainer Berg
Die Gustloff

Bloomsbury Verlag, erschienen Februar 2008
Gebunden, 325 Seiten
ISBN: 3827007763
19,90 Euro


Literatur

Beitrag vom 06.03.2008

Silvy Pommerenke